© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Dorn im Auge
Christian Dorn

Wir können auch anders!“, drohen die zwei Mitarbeiterinnen des Gesundheitsamtes bei der hygienisch vorbildlich geführten Gastronomie im Westsektor, als der Betreiber sich zunächst weigert, die vor der Küchentür angebrachten drei Postkarten – ein Gruß aus Mostar mit Blick auf die Brücke, die JF-Werbung („Achtung / Sie verlassen jetzt den politisch korrekten Sektor“) und das Kampagnemotiv „#free billy“ – zu entfernen. Offenkundig ist es die Wut der Inspektorinnen, keine wirklichen Beanstandungen vorbringen zu können. Wenig später werde ich dort Hauptdarsteller einer unglaublichen Szene: Ein Anruf mit anonymer Nummer beim Gastronomen fordert Auskunft über mich, da der Anrufer eine Strafanzeige beabsichtige wegen meiner jüngsten Kolumne, in der ich den Tatbestand der „Volksverletzung“ erwähnt hatte und weil ich in diesem Café verkehre. Da ich gleichzeitig in die Lektüre von Maximilian Hardens Portrait-Band „Köpfe III“ vertieft bin, in den unglaublich anmutenden Verleumdungsprozeß von Moltke vs. Harden, weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll – Wirklichkeit und Fiktion verschwören sich zu einem „Dispositiv“ der Verunsicherung, das erst endet, als mir enthüllt wird, daß es nur eine Inszenierung ist.


Daß alles eine Frage der Präsentation ist, zeigt auch die Kinopremiere des privat finanzierten Films „Das letzte Mahl“ von Florian Frerichs, der in über hundert deutschen Kinos am Abend des 30. Januar gezeigt wird – als „Zeichen gegen Rechts“ (wegen des „Prüffalls“ AfD) und als mahnende Erinnerung an die Machtergreifung Hitlers: Als gelte es zu beweisen, daß es zum Nationalsozialismus keine Alternative gibt. Dafür aber eine zum finanziell gepamperten bundesdeutschen „Staatskino“ (Klaus Lemke). So hat das Team um Regisseur Frerichs das winzige Produktionsbudget von 65.000 Euro selbst aufgebracht – ein Posten, der bei öffentlich geförderten Spielfilmen gerade einmal für das Catering reichte. Tatsächlich geht es auch hier nur ums Essen, genauer: Die Abendgesellschaft der jüdischen Familie Glickstein, die am Abend des 30. Januar 1933 zum letzten Mal zusammenkommt, da sie sich plötzlich innerfamiliären Gräben konfrontiert sieht: So drängt es den von der NS-Propaganda erfaßten Sohn zum Fackelzug der Bewegung, während die Schwester nach Palästina emigrieren will. Einziges Fake sind derweil die „Originalbilder“ vom Fackelzug der Braunhemden: Überrascht von ihrem Erfolg, hatten die Nationalsozialisten kein Filmmaterial und den Fackelmarsch erst später für den Bavaria-Film „SA-Mann Brand“ nachgedreht.