© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Auf der Suche nach europäischer Humanität
Maler der figürlichen Moderne: Das Kunsthaus Zürich würdigt das Werk des Malers Oskar Kokoschka
Felix Dirsch

Am Ende des Ersten Weltkrieges veranstaltete das Kunsthaus Zürich eine Schau über die Wiener Malerei des vergangenen Jahrhunderts. Der Schriftsteller und Weltbürger Stefan Zweig verfaßte eine fast euphorische Rezension über diese Ausstellung, in der auch ein Gemälde des jungen österreichischen Malers Oskar Kokoschka zu sehen war, das den Jugendstil-Künstler Carl Moll zeigt, den Stiefvater von Kokoschkas zeitweiliger Geliebten Alma Mahler. Bereits 1927 veranstaltete das Kunsthaus Zürich dann die erste eigene Ausstellung über den mittlerweile schon bekannten Vertreter der Wiener Moderne.

Wenn die traditionsreiche Schweizer Einrichtung sich gegenwärtig wieder an Kokoschka (1886–1980) erinnert, so ist diese Würdigung ebenso dem berühmten Maler wie der augenblicklichen politischen Großwetterlage geschuldet, geht es in den Debatten der vergangenen Jahre doch zunehmend um den entscheidenden Grunddissens der Epoche: den Widerspruch zwischen nationalpopulistischen Strömungen auf der einen Seite sowie links- und liberalglobalistischen Eliten auf der anderen. 

Letztere werden von vielen namhaften Intellektuellen in Geschichte und Gegenwart unterstützt. Da bietet sich der österreichische Expressionist, Migrant und Europäer, so der Untertitel der Präsentation, als Gewährsmann aus vergangenen Zeiten geradezu an. Er war für seine kosmopolitische Grundhaltung bekannt und wohnte in mehreren Ländern. So erwarb er die britische Staatsbürgerschaft, wirkte zeitweise in Prag und lebte 25 Jahre in der Schweiz. Immerhin dürfte es sich bei ihm um einen ehrlicheren Charakter gehandelt haben als bei seinem im Ausstellungskatalog gleichfalls zitierten Landsmann Robert Menasse, dessen proeuropäisch-internationalistische Grundhaltung als vorbildlich gelobt wird.

In der Züricher Schau werden Werke aus allen Phasen von Kokoschkas reichhaltigem Schaffen gezeigt. Dessen Popularität hat nicht zuletzt mit der Tatsache zu tun, daß er der gegenständlichen Malerei auch in Perioden verpflichtet blieb, als dies für einen Avantgardisten weniger en vogue war. Nicht von ungefähr ist er kürzlich als „Jahrhundertkünstler“ (Rüdiger Görner) gewürdigt worden.

Kokoschka ist im Umfeld des Wiener Jugendstils groß geworden. Er zeichnete für die Kulturzeitschrift Der Sturm und machte sich bald einen Namen als „Oberwildling“. Der Kampf der Geschlechter und die facettenreiche Problematik „Sexualität“ zählen zu seinen frühen Themen. 1909 führte er im Rahmen der Internationalen Kunstschau ein Drama unter dem Titel „Mörder, Hoffnung der Frauen“ auf. Nicht nur das zugehörige Werbeplakat, das den herkömmlich christlichen Pietà-Typus beträchtlich variiert, erregte erhebliches Aufsehen. Seinerzeit lag die Diskussion um Otto Weiningers Bestseller „Geschlecht und Charakter“ noch nicht lange zurück. Auch später drehte sich ein Teil von Kokoschkas Schaffen um Fragen, die mit einer menschlicheren, weiblicheren Gesellschaft zusammenhängen. Daß diese Fragen die ganze Person, nicht nur den Künstler forderten, zeigt seine leidenschaftliche Affäre mit Alma Mahler. 

Aus Kokoschkas früher Zeit sind in Zürich einige seiner Porträts von bedeutenden Persönlichkeiten des Wiener Kulturlebens um 1900 zu sehen, etwa von Adolf Loos und von Arnold Schönberg. Bald verließ er Österreichs Hauptstadt und lehrte als Professor in Dresden. 1923 zog er weiter. Die Bilder lassen seit den zwanziger Jahren immer mehr weltanschauliche Hintergründe erkennen. Das Gemälde „Schloß Wilhelminenberg mit Blick auf Wien“, 1931 als Auftragsarbeit für die Stadt Wien fertiggestellt, verrät – wenigstens auf den zweiten Blick – Kokoschkas Utopie: Bildung und Erziehung sollen freie Menschen hervorbringen, die Humanität personifizieren. Vor dem Schloß toben viele Kinder unbeschwert herum. Pieter Bruegels Bild „Kinderspiele“ ist hierbei maßgebliche Vorlage.

Antik-klassische Vorbilder rückten in den Fokus

Mit solchen Freiheitsbotschaften wollte Kokoschka wohl die politischen Regressionen zu verhindern helfen, die sich unübersehbar ankündigten. Nachträglich wird die Vergeblichkeit des Unternehmens deutlich. Der „Homo Austriacus“ hatte stets ein schwieriges Verhältnis zu seinem Herkunftsland. Daß er trotz Dollfuß-Schuschnigg-Regime und Anschluß-Begeisterung keinen Schlußstrich gezogen hat, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, daß er später die österreichische Staatsangehörigkeit wieder annahm. 

Der Künstler, der manchen Zeitgenossen als „Inbegriff moderner Malerei“ (Thomas Mann) galt, mußte seine Verfemung als „entartet“ hinnehmen. Etliche Bilder wurden beschlagnahmt. Als Vielreisender fand der nicht selten an Geldmangel leidende Kokoschka immerhin einen Finanzier, der ihn unterstützte: den Verleger und Galeristen Paul Cassirer.

Es fällt nicht schwer, Höhepunkte der Retrospektive zu benennen: Das Triptychon „Thermopylae“ ruft besonderes Entzücken hervor. Weiterhin erfährt die „Prometheus-Saga“ (1950) Bewunderung. Wild wirbeln darin Reiter durch den Himmel, Moses liegt erschöpft auf grüner Wiese, darum herum tummelt sich im Mittelbild die Menschheit, friedlich wie kriegerisch. Mehr Kokoschka geht nicht!

Die späte Phase Kokoschkas begann um 1950. Er entdeckte die Vorteile der Seßhaftigkeit für sich und seine Ehefrau. Die Reflexion über europäische Werte kam nicht zu kurz. Der Stürmer und Dränger der frühen und mittleren Jahre gehörte nun der Vergangenheit an; vielmehr rückten antik-klassische Vorbilder in den Fokus. Die Kehrtwende war umstritten: Manche früheren Freunde distanzierten sich von ihm, weil sie in der Wende eine Anbiederung an das politische Establishment vermuteten, das den Auftragsmaler für seine Dienste gut bezahlte. Von hochrangigen Industriellen und Politikern fertigte er nun Porträts an. Einer der Prominenten war der österreichische Bundespräsident Theodor Körner. Weiter werden in der Züricher Schau auch Druckgrafiken und Zeichnungen gezeigt, die mehr als nur „Begleitmusik“ in Kokoschkas Œuvre darstellen.

Die Züricher Retrospektive präsentiert einen hellen und farbenfrohen Kokoschka. Seine auf das Figürliche ausgerichtete Arbeitsweise entfaltet bis heute eine starke pädagogische Wirkung. Diese läßt es angezeigt erscheinen, in der heutigen Zeitsituation besonders den Humanisten hervorzukehren, den Kokoschka in der Tat verkörpert – allerdings weit jenseits der volkspädagogischen Absichten, die die Ausstellungskuratoren umtreiben.

Die Kokoschka-Ausstellung ist bis zum 10. März im Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi./Do. bis 20 Uhr, zu sehen.

Der Katalog mit 300 Seiten und 500 Abbildungen kostet 59 CHF.

 www.kunsthaus.ch