© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Das jüdische Volk – über Jahrtausende verfolgt
Der Zeuge
Ingo Resch

Das Jahr 2018 wies einen schrecklichen Rekord auf. Weltweit wurden 80 Journalisten getötet, 15 mehr als im Jahr davor, Hunderte sitzen im Gefängnis. Die Täter sind Mafiosi, despotisch geführte und korrupte Staaten oder Terroristen, die eine andere Gesinnung nicht dulden können. Ein Zeuge, der gefährlich werden könnte, muß unschädlich gemacht werden. Ist dieser Gedanke auf die Juden übertragbar? Können die Juden als Zeuge, der vernichtet werden muß, betrachtet werden? Was bezeugen sie und wer hätte daran ein Interesse? Wäre da eine Erklärung zu suchen für die weltweite Ablehnung der Juden? 

Das ist eine für manchen Zeitgenossen sicherlich gewagte These, obwohl sie angeblich dem frommen General von Ziethen als Argument gegen Friedrich II., den Großen, diente. „Majestät, die Juden“ soll er geantwortet haben, um einen Beweis für die Existenz eines lebendigen Gottes zu erbringen. Wer das Phänomen der weltweiten Judenablehnung jedoch analysieren will, sollte alle Fakten unvoreingenommen in Betracht ziehen. Dies erscheint aus aktuellem Anlaß (Holocaustgedenken im Bayerischen Landtag) besonders wichtig.

Der Gedanke der Judenvernichtung reicht weit in die Geschichte zurück. Das Buch Esther berichtet davon, wie auch die anderen Geschichtsbücher im Alten Testament. Im Reich der Perser und Meder ging es um die vollständige Ausrottung der Juden. Die totale Vernichtung der Staaten Juda und Israel durch die Römer ist ebenso ein Beleg wie auch die Judenverfolgung in allen europäischen Staaten, beginnend von der Antike über das Mittelalter, die Neuzeit, bis einschließlich ins 19. Jahrhundert hineinreichend in etlichen europäischen Staaten, insbesondere in Rußland. Die Erklärungen dafür waren sehr unterschiedlich: Die Juden beten den politisch amtierenden Herrscher nicht an, sondern ihren unsichtbaren Gott (Buch Esther), sie stellen eine Gefahr dar, sie vergiften die Brunnen, sie planen eine Weltherrschaft usw.

Nach dem Holocaust hofften wir, daß der Antisemitismus endgültig überwunden sei. Er ist es nicht! Nicht nur in der islamischen Welt zeigt er sich aggressiv, sondern er ist auch in den islamisch geprägten Parallelgesellschaften Europas präsent. Aber – und das ist bemerkenswert – es ist eine neue Form entstanden, den Juden das Lebens- und Existenzrecht streitig zu machen, nämlich in der Frage des Landes. Wer hat dort, in diesem kleinen Landstrich, das Lebensrecht? Diese Frage bewegt die Welt mehr als bei allen anderen umkämpften Gebieten oder bei anderen Völkern.

Woran liegt das, warum ist dieses eine Volk in besonderem Maße von Verfolgung betroffen und warum wird sein Problem zum Weltproblem? Die Juden weisen in der Tat eine besondere Geschichte auf, die auf dieser Welt keine Parallele findet. Welches Volk aus der Antike hat sich nach einer rund viertausendjährigen Geschichte seine eigene Sprache und Kultur bewahrt, das heißt einen unveränderten Glauben an den einen transzendenten Gott, der das Universum durch sein Wort erschaffen hat? Keines, nur Israel! Und nun, nach knapp 2.000 Jahren, kam die Hälfte der weltweit lebenden Juden in die angestammte Heimat zurück.

Gibt es einen Beleg für die biblischen Aussagen des Kampfes zwischen Gott und dem Gegner Gottes? Gibt es einen Zeugen, dessen Geschichte das Wirken Gottes in der von ihm abgefallenen Welt dokumentiert? Vielleicht gibt es ihn, vielleicht ist es Israel. 

Das derzeit stets aktuelle und politisch brisante Problem, das die Uno am häufigsten beschäftigt, ist die Existenz des Staates Israel. Dieses Recht wird von den islamisch geprägten Arabern in Palästina verneint. Aber auch von anderer Seite wird die Aufhebung des Staates Israel gefordert, allen voran vom Iran. Diese Israelfeinde erfreuen sich vieler Sympathisanten. Handelt es sich dabei um ein neues Problem der Judenverfolgung oder um das alte im neuen Gewand? Mal ist der Stein des Anstoßes der Glaube, mal das Volk, mal das Land.

Das Land: Es gab noch nie einen Staat Palästina. Erst als dieser Landstrich zum Römischen Reich gehörte, Israel und Juda ausgelöscht waren, wurde diese Gegend Palästina genannt. Es gehörte zu unterschiedlichen Herrschaftsgebieten, 600 Jahre lang zum Osmanischen Reich, dann zum britischen Mandatsgebiet und nach dessen Auflösung zu den Staaten Syrien, Jordanien und Israel. Neben der Gründung von Jordanien sollte ein weiterer palästinensischer Staat mit der Hauptstadt Jerusalem entstehen. Das immer überwiegend von Juden bewohnte Jerusalem war das letzte Mal Hauptstadt des Staates Juda, bis die Römer ihn vernichteten.

Unabhängig von den historischen Fakten ist es erforderlich, den nicht in Jordanien, sondern auf der Westbank und im Gaza-Streifen lebenden muslimischen Arabern die Möglichkeit eines eigenen Staates zu geben. Diese wird von der Mehrheit der israelischen Bürger nicht in Frage gestellt, der israelische Staat dagegen von der Mehrheit der Palästinenser.

Warum ist das so? Nachdem die Geschichte Israels mit den biblischen Aussagen eng verknüpft ist, dürfte es legitim sein, die Antwort dieser brennenden und aktuellen Fragen auch dort zu suchen. Die biblischen Berichte gehen davon aus, daß die Menschheit in eine Auseinandersetzung mit der Macht des Bösen, des Widersachers Gottes gestellt ist. Dies beginnt im Garten Eden mit der Entscheidung des Adam, dem Gegner Gottes mehr zu vertrauen als Gott, führt zu den Aussagen des Paulus, daß wir mit unsichtbaren Mächten zu kämpfen haben, und mündet in der Offenbarung an Johannes, der Verführung der Welt durch den Antichristen am Ende der Zeit.

Gibt es einen Beleg für diese Aussagen des Kampfes zwischen Gott und dem Gegner Gottes? Das 20. Jahrhundert scheint sehr anschauliche Belege durch die beiden atheistischen, sozialistischen Ideologien und ihre angestrebten Heilsreiche geliefert zu haben, deren besonderer Schwerpunkt auch in der Judenfeindlichkeit lag. Gibt es einen Zeugen, dessen Aussagen wir an offenkundigen Fakten verifizieren können, dessen Geschichte das Wirken Gottes in der von ihm abgefallenen Welt dokumentiert? Vielleicht gibt es ihn, vielleicht ist es Israel. Versuchen wir es.

Der Bund Gottes mit Abraham eröffnet die Geschichte, die noch heute das Nahostproblem prägt, wie auch Peter Scholl-Latour bezüglich Isaak und Ismael, der beiden Söhne Abrahams, einmal feststellte. Ismael war Abrahams erster Sohn, geboren von der ägyptischen Magd Hagar, und Isaak wurde von der lange Zeit unfruchtbaren Ehefrau Abrahams, Sarah, geboren. Dieser Bund, der nur für Isaak und nicht für Ismael galt, war durch drei Merkmale geprägt: 1. das unverrückbare Vertrauen zu Gott, also der Glaube durch Abraham und seine Nachkommen, 2. das große, nicht zu zählende Volk und schließlich 3. das Land, in das Abraham ziehen sollte. Der Name Israel wurde dem Enkel Abrahams, also Jakob, verliehen, denn der Name bedeutet: „Gott streitet (für uns)“. So ist es wohl auch bis heute geblieben.

Der Kampf gegen die Juden richtete sich in Europa zuerst gegen Menschen jüdischen Glaubens, betraf also das erste Merkmal dieses Bundes.

Im 19. Jahrhundert gewann die Idee des Nationalstaates und leider auch der Nationalismus immer mehr an Gewicht. Somit kam auch der Begriff des Antisemitismus auf, also eine sich gegen die Juden als Volk richtende Strömung. Der Antisemitismus zeitigte schließlich den brutalsten, industriell organisierten Massenmord an den Juden: Es ging um die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“. „Endlösung“ bedeutet, die Existenz von Juden ganz auszulöschen. Wenn es keine Juden mehr gäbe, dann wäre die Bibel Makulatur. Denn in ihr ist die 1948 erfolgte jüdische Staatsgründung, die Rückkehr der Juden aus aller Welt in das angestammte Land, die Wiederbelebung eines erstorbenen Volkes (Hesekiel 37,14) und das Wiederergrünen eines verödeten Landstriches im Detail prophezeit. Bei der Shoa, der Vernichtung der Juden als Volk, egal wo sie lebten, ging es um das zweite Merkmal des Bundes mit Abraham.

Vielleicht wird die Zeugenschaft der Juden auch durch die scheinheiligen Argumente unserer Tage belegt: vehement gegen vermeintliche Antisemiten zu polemisieren, aber die heutigen, wirklich bedrohlichen Feinde Israels gewähren zu lassen. 

Heute geht es um das dritte Merkmal, nämlich das Abraham von Gott zugesagte Land. Das Bemerkenswerte dabei ist, daß das Land immer erst in Besitz genommen werden mußte, zuerst von Abraham, dann nach dem Exodus aus Ägypten von Josua und im 20. Jahrhundert durch die Wiederbesiedelung seitens der weltweit zerstreuten Juden. Die Juden wurden aber immer wieder aus diesem Land, das Gott ihnen gemäß der biblischen Berichte zugesagt hatte, vertrieben. Auch hier gibt es keine Parallele in der Weltgeschichte. Wenn es also gelänge, den Juden diesen Lebensraum wegzunehmen, dann wären die Zusagen, die Gott Abraham gegeben hat, eine Lüge.

Die Bibel stellt in ihrer Substanz weniger ein „frommes Lehrbuch“ dar, sondern Zeugenaussagen über das Handeln Gottes in der Geschichte führen zu dem Inhalt. Insofern ist die Geschichte Israels und seine Existenz untrennbar mit inhaltlichen Aussagen der Bibel verbunden. Israel bezeugt gewissermaßen mit seiner Existenz und seiner Geschichte elementare Aussagen der Bibel.

Mit den drei erwähnten Grundpfeilern des Bundes Gottes mit Abraham, also dem Glauben Abrahams, dem aus ihm entstehenden Volk und dem begrenzten Land (Erez Israel), begann vor 4.000 Jahren nicht nur der jüdische Glaube, sondern auch der christliche. Es gibt aus dieser Zeit keine andere, heute noch existierende Religion. Die anderen heute die Welt prägenden Religionen sind entweder im 6. Jahrhundert vor Christus entstanden, oder wie der Islam im 6. Jahrhundert nach Christi. Alle diese Religionen oder religiösen Strömungen unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von den Aussagen der Bibel. Nach ihnen muß der Mensch das Heil wie auch immer gestalten, also selber machen; nach der biblischen Aussage ist Heil nur mit Gott, durch Gottes Wirken möglich. Dieser elementare Unterschied wird in den prophetischen Aussagen besonders deutlich. Die Prophetien des Alten Testaments sollten auch heute nicht als frommes Machwerk abgetan werden, denn sie besitzen eine erdrückende Aktualität. Diese wird zum Beispiel auch in den Aussagen des Propheten Sacharja (6. Jh. v. Chr.) deutlich: „Zur selben Zeit will ich Jerusalem machen zum Laststein für alle Völker. Alle, die ihn wegheben wollen, sollen sich daran wundreißen; denn es werden sich alle Völker der Erde gegen Jerusalem versammeln“ (Sacharja 12,3) – eine damals nicht ganz nachzuvollziehende Aussage, heute jedoch ein brandaktuelles Thema, da die Vollversammlung der Vereinten Nationen über die Teilung Jerusalems befinden soll.

Wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, dann sollten wir alle möglichen historischen Quellen auch zu Rate ziehen.

Könnten also die Juden – trotz oder gerade wegen aller typisch menschlichen Fehler und Schwächen – doch als Zeugen für das Handeln Gottes berufen sein? Die prophetischen Aussagen der Bibel (von rund 3.000 haben sich die meisten inzwischen bewahrheitet), der nun seit rund 3.500 Jahren andauernde Vernichtungswille gegenüber den Juden und die einzige Kultur aus der Zeit der Pharaonen, die heute nicht nur im Judentum, sondern auch im Christentum lebendig ist, scheinen dies zu belegen. Vielleicht belegen es auch die scheinheiligen Argumente unserer Tage: vehement gegen vermeintliche Antisemiten zu polemisieren, aber die heutigen, wirklich bedrohlichen Feinde Israels gewähren zu lassen.






Dr. Ingo Resch, Jahrgang 1939, ist Volkswirt, Verleger (unter anderem Roland Baader) und Buchautor. Zuletzt erschienen „Evolutionslehre und Bibel. Auswirkungen auf die Weltanschauung im Vergleich“. Er ist Mitbegründer der evangelischen Lukas-Schule in München. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über das christliche Menschenbild der Marktwirtschaft („Die Bedürfnisse des anderen“,           JF 35/18).

Foto: Die israelische Flagge weht am Tempelberg mit dem Felsendom in Jerusalem: „Zur selben Zeit will ich Jerusalem machen zum Laststein für alle Völker. Alle, die ihn wegheben wollen, sollen sich daran wundreißen.“ (Sacharja 12, 3)