© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Selbst Sofia wurde bombardiert
Alliierte Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg: Zehntausende Opfer gab es auch in Frankreich und Italien
Björn Schumacher

Hauptakteure des Luftkriegs 1914/18 waren das Deutsche Reich sowie seine alliierten Gegner Frankreich und Großbritannien. Abgeworfen von Zeppelinen und zweimotorigen Flugzeugen, schlugen nicht steuerbare Bomben im feindlichen Hinterland ein. Sie trafen aber beispielsweise auch Reims an der französischen und Ypern an der belgischen Frontlinie. Beide Städte litten zudem unter massivem Artilleriebeschuß; im zu sechzig Prozent zerstörten Stadtkern von Reims zog sich der Wiederaufbau bis 1938 hin.

Tausende Opfer in Belgien und den Niederlanden

Das war aber nur ein Vorgeschmack auf die Stadtzerstörungen des Zweiten Weltkriegs. Eng verknüpft sind sie mit dem britischen Premier Winston Churchill und seinem Luftmarschall Arthur Harris. Die Area-Bombing-Direktive vom Februar 1942 erhob unterschiedslose Flächen- bzw. Terrorangriffe auf deutsche Städte zur zentralen Strategie der Royal Air Force (RAF). Die Durchhaltemoral deutscher Soldaten, Arbeiter und sonstiger Zivilisten sollte kriegsentscheidend geschwächt werden. Anfang 1945 schlossen sich die US-amerikanischen Luftstreitkräfte (USAAF) dieser Morale-Bombing- oder „Thunderclap“-Strategie an.

Auch auf Orte außerhalb des Deutschen Reiches fielen alliierte Bomben. In der neutralen Schweiz beruhte dies auf Navigationsfehlern, die zu Verwechslungen mit deutschem Territorium führten. Die These, es habe sich um Vergeltungsangriffe wegen Waffenlieferungen an Hitler-Deutschland gehandelt, gilt als überholt. Schweizer Waffenfabriken waren kein Kriegsziel von RAF und USAAF; und systematische Vergeltungsschläge hätten wohl weit mehr als nur die 84 statistisch erfaßten Schweizer in den Tod gerissen. 

Häufiger trafen alliierte Luftschläge mit schweren viermotorigen Maschinen westeuropäische und italienische Städte. Die Gründe liegen auf der Hand. Während Frankreich, Belgien und die Niederlande von der Wehrmacht besetzt waren, gehörte das faschistische Italien bis zum Herbst 1943 zu den sogenannten Achsenmächten, war für die Alliierten also – ebenso wie das dem Deutschen Reich angeschlossene Österreich – ein „Feindstaat“.

In Westeuropa lassen sich taktische Luftschläge zur Unterstützung des alliierten Landheers von strategischen Angriffen auf das von der Wehrmacht besetzte Hinterland abgrenzen. Letztere galten Kasernen, Verkehrswegen und größeren Stadtarealen. Strategischer Natur waren etwa Bombardements auf Nachschubverbindungen der Bischofsstädte Rouen und Amiens, deren Bausubstanz dabei schwer beschädigt wurde. Der Großraum Paris erlitt über sechzig strategische Angriffe und Menschenverluste im Bereich von 5.000 Opfern. Zeitzeuge Ernst Jünger notierte: „Die Blitze aus heiterem Himmel trafen kleine Geschäftsleute und was über ihren Läden an bescheidenem Volk in den alten verwinkelten Etagen haust.“ Am 22. Februar 1944 forderte eine USAAF-Attacke gegen Verkehrswege des niederländischen Nimwegen 800 Ziviltote.

Hervorgehoben sei die schon 1914 hart umkämpfte Handelsmetropole Antwerpen. Am 5. April 1943 erlebte die flandrische Stadt ein strategisches RAF-Bombardement auf Industrieanlagen mit über 2.000 belgischen Zivilopfern. Dazu kam Ende 1944/Anfang 1945 deutscher V1- und V2-Raketenbeschuß, der mindestens 3.700 Menschen tötete.   

Nach der Landung anglo-amerikanischer Verbände in der Normandie rückte der taktische Luftkrieg in den Vordergrund. Erbitterter deutscher Widerstand ging dort der alliierten Eroberung von Caen am 18. Juli 1944 voraus. Dort starben 3.000 Menschen im Bombenhagel von RAF und USAAF. Mehr als 2.000 Ziviltote forderte Anfang 1945 die Erstürmung von Royan, einer lange von der Wehrmacht gehaltenen südfranzösi-schen Atlantikbastion. 

Noch verheerender verlief die Schlacht um Le Havre, eine Wehrmacht-Festung im normannischen Teil des „Atlantikwalls“. Das RAF-Bomberkommando tötete am 5./6. September 1944 annähernd 5.000 Einwohner und zerstörte 12.500 Gebäude – eine mit dem Vernichtungspotential schwerer Feuersturmangriffe korrespondierende Bilanz. 

Wurde Le Havre wirklich „für Frankreichs Wohl verletzt“, wie der Chef der „Provisorischen Regierung“ und spätere Staatspräsident Charles de Gaulle pathetisch ausrief? Aufhorchen ließ auch Winston Churchill, der bei US-Präsident Franklin D. Roosevelt ein Ende des – von ihm selbst mitgestalteten – „Franzosenabschlachtens“ anmahnte. Ein Bulletin der Pariser Bibliothèque Nationale bezifferte die Gesamtzahl französischer Luftkriegstoter 1940/45 mit 53.600.

US-Angriffe taktisch absurd und strategisch unsinnig

Ende 1942 intensivierten RAF und USAAF ihre strategische Offensive gegen italienische Industriestädte. Ihre viermotorigen Bomber starteten in England, Malta und Nordafrika. Rasch kam es zu unterschiedslosen Flächenangriffen mit dem Ziel, die Durchhaltemoral der Italiener zu brechen, das faschistische Regime Mussolini zu stürzen und damit zugleich einen Keil zwischen Italien und Deutschland zu treiben. Am 12. Juli 1943 starben in Turin 800 und am 8. September 1943 in Frascati 500 Zivilisten.

Nach diesem 8. September 1943, an dem Italien aus dem Achsenbündnis ausstieg, galten die alliierten Operationen meist Transport- und Nachschubwegen der Wehrmacht. Das Kloster Monte Cassino wurde von US-amerikanischen Bombern zerstört, die dort eine deutsche Beobachtungsstation vermuteten.

Gleichwohl setzten sich auch die Bombardements auf italienische Großstädte fort. Bei etlichen Angriffen auf Rom starben etwa 7.000 Menschen; insgesamt töteten alliierte Bomben mindestens 60.000 Italiener. Unerfahrene Bomberbesatzungen der 15. US-Luftflotte taten sich mit Präzisionsangriffen schwer. Der britische Militärhistoriker John Frederick Charles Fuller resümierte später, Italien habe den „taktisch absurdesten und strategisch unsinnigsten Feldzug des ganzen Krieges“ erlebt. 

Auch auf dem Balkan übten RAF und USAAF den engen Schulterschluß. Während man in Rumänien der vorrückenden Roten Armee helfen wollte und Präzisionsangriffe gegen die von der Wehrmacht wirtschaftlich genutzte Öl-Industrie flog, hatten die Luftschläge auf Bulgariens Hauptstadt Sofia durchaus Morale-Bombing-Charakter: Am 29. und 30. März 1944 löste ein solcher Bombenangriff sogar einen Feuersturm aus. Churchill wollte in Sofia (1.165 Luftkriegstote), letztlich mit Erfolg, ein Abrücken Bulgariens von den Achsenmächten erzwingen.