© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Im Namen einer Offizialmoral
Der Wahn der Tugendterroristen hat längst System: Der Literaturwissenschaftler Günter Scholdt über die „Denunzianten-Republik“
Thorsten Hinz

Der menschliche Charakter hat sich durch alle Zeiten und Systeme als erstaunlich konstant erwiesen. Der Mensch habe die Fähigkeit „(zum) furchtbar Schlimmen. Zum furchtbar Guten“, heißt es bei der Schriftstellerin Anna Seghers, die so ihre Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus verklausulierte. Für Diktaturen jedweder Couleur ist die menschliche Schäbigkeit eine feste Größe in ihrem Machtkalkül und ihrer Herrschaftspraxis und wird dementsprechend gefördert. Die Heerscharen der Informellen Mitarbeiter, die von der Staatssicherheit in der DDR rekrutiert wurden, haben das eindrucksvoll belegt. Wohingegen der demokratische Rechtsstaat durch Gesetze und informelles Regelwerk versucht, die inneren Schweinehunde einzuhegen, zumindest aber nicht anzufüttern und mit Streicheleinheiten zu belohnen.

Trifft diese vorteilhafte Deutung auf die Bundesrepublik, den „freiesten Staat deutscher Geschichte“, überhaupt zu? Der emeritierte Literaturprofessor Günter Scholdt äußert begründete Zweifel. „Anatomie einer Denunzianten-Republik“ lautet der unmißverständliche Titel seines neuen Buches. Es handelt sich um eine zornige Streitschrift, deren Verfasser sich gar nicht erst damit aufhält, an eine imaginäre „Gemeinsamkeit der Demokraten“ zu appellieren. Wie könnte man auch den Konsens suchen mit einem Machtkartell, das seine Pfründe gegen Andersdenkende mit allen, auch undemokratischen, Mitteln verteidigt?

Das übersichtlich in zehn Kapitel und Unterkapitel gegliederte Buch bietet eine ebenso bedrückende wie erhellende Lektüre. Die zusammengetragenen Fakten, Beispiele, existenzvernichtenden Kampagnen sind mehr oder weniger bekannt; ihre Wirkung auf den Leser ist in dieser Konzentration dennoch niederschmetternd. Wer aktuell der Massenzuwanderung zu widersprechen oder sogar öffentlich gegen sie zu protestieren wagte, mußte sich von etablierten Politikern und vom „Dreigroschen-Journalismus“ unter anderem folgende Verunglimpfungen und Beleidigungen gefallen lassen: „Pack“, „Dreckspack“, „Dunkeldeutschland“, „brauner Sumpf“, „Säue“. „Brut“, „Bodensatz“, „Schimmel zu Hause“, „Haufen rechtsradikaler Arschlöcher im Parlament“. Man kann Scholdt kaum widerlegen, wenn er von einem „mentalen Krieg“ zur Durchsetzung einer „Offizialmoral“ spricht. Widerspruch wird diffamiert, mit Ächtung bestraft und damit zu einem unkalkulierbaren Risiko. Die Denunziation erweist sich als Schmiermittel zur Durchsetzung einer destruktiven Politik.

Zu den Voraussetzungen gehört, daß die Medien fast durchweg als „Blockmedien“ fungieren, die Andersdenkende als „rechts“ – eine an sich ehrenwerte Bezeichnung, die nur durch jahrzehntelange Propaganda kontaminiert wurde – oder gleich als „Nazi“ stigmatisieren. Den ideologischen Bezugspunkt bildet die „Tabuisierung“, das heißt negative Sakralisierung des „Dritten Reiches“. Aus ihr bezieht die politisch-mediale Klasse die Legitimation, um ihre Gegner als Rassisten, Nationalisten, Sexisten, lslam- und Schwulenhasser oder – gerade aktuell – Klimaleugner abzukanzeln. Vereint im „Haß“, würden sie den Weg zu einem „neuen Auschwitz“ bahnen, weshalb „Widerstand“ auf allen Ebenen angesagt sei!

So fällt der vorsätzlich fehlgeleitete Wille zum Guten mit dem Schlimmsten in eins und wird das Denunziantentum als staatsbürgerliche Tugend institutionalisiert. Die 15jährige Gymnasiastin aus Dresden, die 2017 ihre Klasse wegen verbaler Grenzüberschreitungen öffentlich anschwärzte und einen Mitschüler sogar wegen „Volksverhetzung“ anzeigte, ist ein Produkt dieser pervertierten „Offizialmoral“. Ihr innerer Schweinehund wurde mit einem Preis für „Zivilcourage“ geehrt und damit ermuntert, noch größer und aggressiver zu werden. Das Ermittlungserfahren gegen den gleichaltrigen „Volksverhetzer“ wurde übrigens eingestellt.

Scholdt hat die denkbaren Varianten des „Tugendterroristen“ vom ideologisch verblendeten „Kümmerer“ über den „wahnhaften Denunzianten“ bis zum „Sadisten“ durchdekliniert. Die denunziatorische Atmosphäre gibt Gestörten die Möglichkeit, ihren Aggressionsstau risikolos zu entladen und überdies dafür Anerkennung einzufahren. „Schwein sein zum Billigtarif“, nennt das der Autor. Aus eigenem Erleben berichtet er über ehemalige Kollegen aus dem universitären Mittelbau, deren Frustration über fehlende Aufstiegschancen, gepaart mit Beziehungsproblemen, sie zu politischen Stalkern werden ließen. Einer identifizierte sich in seinem persönlichen Kampf gegen Rechts sogar mit einem Mitglied der Weißen Rose. Seine Paranoia endete tragisch im Selbstmord. 

Der Wahn hat längst System. Scholdt läßt keinen Zweifel, daß die physische Gewalt von Linksextremisten zum festen Instrumentarium des politisch-medialen Establishments gehört. Die Antifa agiert als informelle Ordnungsmacht, sie verbreitet Angst, schüchtert ein und macht mundtot. Ermittlungen bleiben ergebnislos, Gerichtsverfahren versanden. So wie die Justiz in der Weimarer Republik auf dem rechten Auge blind war, ist sie es heute auf dem linken.

Scholdts Buch enthält die Anatomie eines nicht nur politisch verwirrten, sondern auch im klinischen Sinne kranken Landes. Er zitiert Gottfried Benns berühmtes Bonmot „Erkenne die Lage!“ Das ist die Vorbedingung, um aus der zugewiesenen Rolle des Prügelknaben herauszufinden und den treffenden „Widerspruch“ zu formulieren. Scholdt hat eine Vorlage verfaßt. Das letzte Unterkapitel trägt den Titel: „Empfohlenes Konzept für einen AfD-Redner im Bundestag“. Lesenswert!

Günter Scholdt: Anatomie einer Denunzianten-Republik. Über Saubermänner, Sauberfrauen und Schmuddelkinder. Natalia Lichtschlag Buchverlag. Grevenbroich 2018, broschiert, 232 Seiten, 18,90 Euro