© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Schrödingers Katze in Wolfsburg
Exotische Quantencomputer sollen auch in Deutschland die Grundlagenforschung revolutionieren
Tobias Albert

Mit süffisanter Gewißheit wird im Zuge der Diesel-Diskussion behauptet, die deutschen Autobauer hätten in Sachen Antriebstechnik die „grünen“ Technologien verschlafen. Daß diese kaum einer kauft, wird dabei unterschlagen: Von den 3,44 Millionen 2018 in Deutschland neu zugelassenen waren nur 1,05 Prozent Elektro-Pkw (36.062 Stück). Benziner und Diesel, die einige Kilometer rein elektrisch fahren (Plug-in-Hybride) kamen auf 0,9 Prozent (31.442). Selbst die als Taxi beliebten und die Bremsenergie speichernden Hybride (Toyota Prius+, RAV4 & Co.) kamen nur auf einen Anteil von 2,9 Prozent (98.816).

Rechenoperationen mit exotischen Phänomenen

VW war voriges Jahr mit 10,83 Millionen abgesetzten Fahrzeugen erneut der weltgrößte Autokonzern – vor Toyota mit 10,6 Millionen. Unter den zehn meistverkauften Autos in Europa waren sechs „engineered in Germany“: Golf, Polo, Tiguan und der Škoda Octavia aus dem VW-Konzern sowie Ford Fiesta und Opel Corsa. Unter den Top 100 in Europa war 2018 kein E-Auto, aber 40 SUVs. Doch abseits der vermeintlich „grünen“ Forschungsfelder zeigt man sich in Wolfsburg wachsam, denn Volkswagen hat einen Quantencomputer gekauft. Doch was hat es damit auf sich? Wie beflügeln Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz die Träume von Experten wie technischen Laien und Politikern?

Quantencomputer sind Rechner, die für ihre Operationen die exotischen Phänomene der Quantenphysik benutzen. Diese wurden in den letzten Jahren durch Gedankenspiele wie „Schrödingers Katze“, die gleichzeitig tot und lebendig ist, in die Popkultur aufgenommen und bisweilen mystifiziert. Aber was ist Quantenphysik? Eine wesentliche Säule davon ist der Welle-Teilchen-Dualismus. Zuerst wurde dies beim Licht beobachtet, das sich zwar wie eine Welle ausbreitet, aber im Einsteinschen photoelektrischen Effekt wie ein Teilchen verhält: Das Photon wurde gefunden, weil dessen Bewegung einem minimalen Lichtstrahl entspricht.

Ähnlich verwirrende Phänomene wurden durch Doppelspaltexperimente auch bei „klassischen“ Teilchen wie Neutronen entdeckt. Die dazugehörige Welle ist jedoch nicht wie eine Wasserwelle zu verstehen, sondern eine mathematische Wellenfunktion, deren Wellenberge und -täler einer hohen beziehungsweise niedrigen Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Teilchens entsprechen. Die Energie des Teilchens bestimmt hierbei, welche Wellenfunktion zum Teilchen gehört, denn nur Teilchen mit einer hohen Energie können es sich erlauben, eine hohe Aufenthaltswahrscheinlichkeit in weit entfernten Regionen zu besitzen.

Ähnlich wie mehrere Wasserwellen sich überlagern, können auch die Wahrscheinlichkeitswellen sich in sogenannten Superpositionen überlagern. Das Teilchen wird somit anteilig durch die verschiedenen Wellenfunktionen repräsentiert – und müßte alle zu den Wellen gehörenden unterschiedlichen Energien gleichzeitig tragen. Obwohl diese Anschauung sich in Experimenten vielfach bestätigt hat, ist ihre Interpretation immer noch umstritten. Etabliert hat sich die „Kopenhagener Deutung“, nach der ein Teilchen in einer solchen Superposition tatsächlich alle verschiedenen Energiewerte gleichzeitig trägt, während es auf der zugehörigen Wellenüberlagerung „surft“.

Aber sobald diese Energie gemessen werden soll, kollabiert die Welle, und nur eine der ursprünglichen Wellen bleibt übrig. Gemessen wird dann nur deren Energie und nicht alle verschiedenen Energiewerte gleichzeitig. Welche der Wellen allerdings den Kollaps übersteht, ist eine Frage der Statistik. Vor der Messung, also vor dem Kollaps, besitzt das Teilchen aber paradoxerweise verschiedene Energiewerte zugleich – oder metaphorisch gesprochen: Bevor man ihre Box öffnet, ist Schrödingers Katze gleichzeitig tot und lebendig.

Riesige Datenbanken blitzschnell durchsuchen

Mit diesem Prinzip lassen sich aber auch die Wellenfunktionen verschiedener Teilchen miteinander in einer Superposition verschränken. Durch den Kollaps der gemeinsamen Wellenfunktion reicht nun eine einzige Messung aus, um alle Informationen der verschränkten Teilchen auszulesen. Für einen Quantencomputer entspricht diese Messung dem Auslesen eines Bits, der in Zuständen 0 und 1 codiert ist und die Rechenlogik des Computers beschreibt. Dieser Quanten-Bit wird als Qubit bezeichnet. Anstatt viele Bits in einzelnen Messungen auszulesen, kann ein Quantencomputer also viele Qubits gleichzeitig mittels einer Messung lesen und daher deutlich schneller arbeiten als klassische Computer.

Nicht jeder klassische Algorithmus läßt sich durch einen Quantencomputer schneller durchführen, aber einige Beispiele wurden schon gefunden. So würde der Grover-Suchalgorithmus es Quantencomputern ermöglichen, große Datenbanken deutlich schneller als bisher zu durchsuchen. Und der Shor-Algorithmus hat sich in ersten Tests schon bewährt, um den Quantencomputer über Primfaktorzerlegungen in der Kryptographie zur Datenverschlüsselung einzusetzen. Ein „richtiger“ Quantencomputer müßte aber die Di-Vincenzo-Kriterien erfüllen, also wohldefinierte Qubits besitzen, die sich ausreichend lang miteinander verschränken lassen, die Berechnungen durchführen und ausgelesen werden können.

Ideen zur technischen Umsetzung gibt es reichlich, doch in einem realitätsnahen Szenario ist noch keine hiervon einsetzbar. Die kanadische Firma D-Wave hat aber einen Umweg gefunden: Denn die Gesetze der Quantenmechanik sorgen dafür, daß ein quantenmechanisches System langfristig stets in den energetisch günstigsten Zustand übergeht, in den sogenannten Grundzustand. Diese natürliche Optimierung des Systems kann genutzt werden, um Optimierungsprobleme der Realität zu lösen, zum Beispiel die Verbesserung der Elastizität von Werkstoffen, indem man das reale Problem in die Quantenmechanik „übersetzt“.

D-Wave ist es gelungen, diese Idee technisch umzusetzen, so daß sich die Produktion kommerzieller Quantencomputer lohnt. Kritiker sehen es noch nicht erwiesen, daß diese Technik schon signifikante Vorteile gegenüber den klassischen Computern bietet, da es kein Quantencomputer im ursprünglichen Sinne ist. Volkswagen und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) jedoch haben kürzlich Computer von D-Wave erworben, damit ihre Forschungsabteilungen mit der neuartigen Technik experimentieren können. Der Ausgang ist noch ungewiß, doch der deutsche Forschergeist scheint nicht nur in Wolfsburg fortzubestehen. 

Überblicksdarstellung zu Quantencomputern in Spektrum – Die Woche (50/18):  spektrum.de

IBM-Forschungsabteilung:  research.ibm.com