© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/19 / 08. Februar 2019

Vorurteilen zum Trotz
Frisurenhandwerk: Zöpfe sind fester Bestandteil unserer Kultur
Verena Rosenkranz

Der Amadeu-Antonio-Stiftung sei Dank ist nun offiziell, was viele schon lange vermuteten: Zopffrisuren gleich Nazi. Was Gesinnungswächter bei afrikanischen Zuwanderern gelten lassen, da es in deren Herkunftsländern eine große Tradition darstellt, würden sie in Europa am liebsten abschaffen. Dabei wird das Wissen um die verschiedenen Flechttechniken hierzulande schon ebenso lange weitergegeben und traditionell gefestigt wie an jedem anderen Ort der Welt. Woher die Flechtfrisuren kommen und warum es sich lohnt, sich näher damit zu beschäftigen, zeigt uns ein Blick in unsere Geschichte. 

Zöpfe und verschiedene Flechtwerke in der menschlichen – aber auch tierischen Haarpracht (eingeflochtene Pferdemähne) – gehören mindestens seit der Steinzeit zum Alltag. In verschiedenen Kulturen erzählt man sich, die Flechtkunst stamme von den Göttern. Vor großen Schlachten oder heiligen Festen wurden die Haare deshalb besonders prachtvoll verwoben und mit Bändern geschmückt. 

Wurden sie früher aus praktischen Gründen für die Arbeit zusammengeflochten und einfach hochgesteckt, damit sie nicht im Weg sind, gab man sich dann abends beim Ausgehen allerdings besondere Mühe und flocht komplizierte Muster und Frisuren, um der Männerwelt besonders zu gefallen. Doch auch umgekehrt war es nicht unüblich, daß Männer lange Haare hatten und es einfach gepflegter mit einem schlichten Zopf aussah. Dieser Tatsache waren sich sowohl die Wikinger in Nord­europa als auch die Dichter in Frankreich bewußt. Im 18. Jahrhundert wurde eine Perücke mit Zopf dann zum „Muß“ für die Herren in ganz Europa. 

Eine derartig aufwendige Flechtkunst wie ihre Frauen mußten sie dafür allerdings nicht betreiben. Denn für die Damenwelt galt es lange als unschicklich, das Haar offen zu tragen. Vor allem Töchter aus bürgerlichem Haus ließen sich allerhand einfallen, um irgendwie aufzufallen. Doch auch Mädchen vom Land lernten schon früh, mit geübten Handgriffen eine schöne Alltagsfrisur gleich am Morgen nach dem Aufstehen zu zaubern. Der einfache Fischgrätzopf etwa, bei dem aus zwei dicken Strängen je kleine Strähnen auf die andere Seite geschlagen werden, oder der französische Zopf, bei dem schon am oberen Haaransatz zu flechten begonnen wird. 

Schon Goethes Gretchen flocht fleißig

Für besondere Anlässe wurde das Handwerk schließlich perfektioniert und je nach Region zu wahren Kunstwerken am Kopf ausgebaut. Ein Vorbild in puncto Flechtfrisuren war etwa die österreichische Kaiserin Elisabeth, aber auch die preußischen Hofdamen mit turmhohen Flecht- und Steckfrisuren. 

Im bayerischen Chiemgau gibt es immer noch Frauen, die ganzen Scharen von jungen Mädchen das Flechten lehren und ihnen zu besonderen Anlässen wunderschöne Frisuren zaubern. Einen hohen Stellenwert hat dort ausgerechnet die „Gretlfrisur“, das sind doppelt um den Kopf gewundene Zöpfe. Einer Legende nach stammen sie aus Goethes „Faust“, wo sich Gretchen in der Abendszene das Haar zu Zöpfen flicht.

Blickt man etwas weiter nach Norden, so ist vor allem in Gegenden rund um die Nord- und Ostsee ein breiter Zopf beliebt. Der Fünferzopf etwa, bei dem noch je eine geflochtene Linie den eigentlichen Mittelzopf umrahmt und das Haar so in einem kunstvollen Muster den Rücken herunterfallen läßt. Für all jene, die einmal die Grundtechnik des „Zopfens“ beherrschen, ist es ein leichtes, verschiedene Techniken anzuwenden. Voraus geht fast jeder Frisur ein sogenannter „englischer“ oder „holländischer“ Zopf, bei dem aus drei Haarsträngen übereinandergelegt wird. Der Unterschied wird hier nur im Muster sichtbar: entweder es erinnert an ein V oder an ein A.

Beliebt sind die verschiedenen Flechttechniken allerdings nicht nur im gemeinen Volk, sondern seit jeher auch beim Adel oder berühmten Personen. Das wird vor allem an der englischen Sprache anschaulich, in der die unterschiedlichen Frisuren nach ihren Trägerinnen benannt sind. So sind zwei französische Zöpfe, die im Nacken zu einem zusammenlaufen, etwa als „Princess Anne Braid“ bekannt oder ein gewundener Haarkranz um den gesamten Kopf als „Heidi Braid“.

Wer das auf Anhieb noch nicht zustande bringt, der kann in der Küche üben. Der Hefezopf beim Milchbrot wird nämlich ähnlich gemacht. Nicht nur von Frauen, wie die Amadeu-Antonio-Stiftung betonen würde.