© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/19 / 15. Februar 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Fast wie früher
Christian Vollradt

Koalitionen, ob große oder kleine, sind Verbindungen auf Zeit; darin nicht unähnlich einer (heutigen) Ehe. Und wie bei denen, so kann auch in den politischen Lebensabschnittsgemeinschaften das Ende anstatt mit einem großen Knall ganz schleichend kommen. Man hat sich dann auseinandergelebt, das Trennende überwiegt die Gemeinsamkeiten … 

Beim Blick auf die niedrigschwellig-dauerkriselnde GroKo, deren Hauptbestandteile CDU und SPD sich am vergangenen Wochenende getrennt voneinander in der jeweiligen Parteizentrale zur Nabelschau-Therapie zurückgezogen hatten, erlebt mancher Beobachter ein Déja-vu: Anfang der achtziger Jahre zeigten Rote und Gelbe ganz ähnliche Symptome. Da hatte sich der kleinere Partner – seinerzeit die FDP – auf einmal wieder seiner marktwirtschaftlichen Wurzeln besonnen und das in einem kaum verhohlenen Forderungskatalog („Lambsdorff-Papier“) zum Ausdruck gebracht. 

Der größere Partner, das war damals wirklich die SPD, sah darin nicht ganz zu Unrecht einen Trennungsbrief. Zugleich haderten die Roten mit „ihrem“ Kanzler Helmut Schmidt, dessen sicherheitspolitischer Kurs (Nato-Doppelbeschluß) bei immer mehr Genossen auf Ablehnung stieß; zumal er als Konjunkturprogramm für die Konkurrenz im eigenen linken Milieu wahrgenommen wurde, die noch jungen Grünen und die außerparlamentarische Friedensbewegung.

Der Vergleich liegt nahe. Hier die SPD von heute, deren Lambsdorff nun Hubertus Heil heißt und deren Rückbesinnung die sozialpolitische „Sünde“ der Hartz-Reformen vergessen machen will (siehe Seite 1); dort die CDU, die – jedenfalls in vernehmbarem Ausmaß an ihrer Basis – mit dem Agieren Angela Merkels in der Asylkrise 2015 fortfolgende hadert und die sich nun mit einer erstarkenden Konkurrenz von rechts (Blau ist das neue Grün) konfrontiert sieht. Merkels Nachfolgerin an der Parteispitze, Annegret Kramp-Karrenbauer, konnte sich der Erkenntnis, hier liege Reparaturbedarf vor, offensichtlich nicht erwehren, und so rief sie Mitglieder der Union ins Adenauerhaus zum „Werkstattgespräch“. Titel: „Migration, Integration, Sicherheit“. „AKK“, die sich bei der Begrüßung einen Freudschen Versprecher leistete, indem sie sich und die Gäste als „Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten“ ansprach, wollte Vergangenheitsbewältigung („Nie wieder so etwas wie 2015!“), aber keine Abrechnung. Deshalb ließ man lieber Experten diskutieren, ob die Grenzöffnung der Kanzlerin rechtmäßig oder gesetzwidrig war. Die einen sagten so, die anderen so. Merkel war ohnehin nicht anwesend. Daß im Verlauf der Debatte dann eine Stimme der praktischen Vernunft – ein Polizist, der den Irrsinn der (Nicht-)Abschiebe-Realität schilderte – ausgerechnet ein Mitglied des konservativen Flügels (Werte-Union) war, spricht Bände. 

Zur Beruhigung in Sachen GroKo-Stabilität kann sich die Union indes sagen: Anders als 1982 hat der kleinere Partner derzeit keine verlockende Alternative.