© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/19 / 15. Februar 2019

Der Trump der Tropen
Brasilien: Neu-Präsident Bolsonaro will das Land verändern / Die große Frage ist: Wie reagiert das Parlament?
Wolfgang Bendel

Nachdem der neue Präsident Jair Messias Bolsonaro bereits am 1. Januar sein Amt übernahm, waren am 1. Februar die beiden Kammern des Parlaments mit ihren konstituierenden Sitzungen an der Reihe. Als Präsident des Abgeordnetenhauses wurde der bisherige Amtshaber Rodrigo Maia von der zentristischen DEM (Democratas) bereits im ersten Wahlgang mit großer Mehrheit wiedergewählt. Während also die Wahl von Maia problemlos über die Bühne ging, kam es bei der Wahl des Senatspräsidenten zu heftigen Auseinandersetzungen. Gewählt wurde dann mit einem Tag Verspätung Davi Alcolumbre, ebenfalls DEM. 

Linke Parteien dominieren  die Parlamentsarbeit  

Zum Verständnis: Das politische System in Brasilien orientiert sich nur formal betrachtet an europäischen Vorbildern. Das Land verfügt über ein Vielparteiensystem. Seit der Wahl vom Oktober 2018 sind in der Abgeordnetenkammer rekordverdächtige 30 Parteien vertreten. 

Um sich eine Vorstellung von der Zersplitterung zu machen: Die beiden größten Fraktionen, die linke PT (Partido dos Trabalhadores – Partei der Arbeiter) und Bolsonaros PSL (Partido Social Liberal, Sozialliberale Partei), verfügen über 54 beziehungsweise 52 Sitze in einem Abgeordnetenhaus mit  insgesamt 513 Sitzen.

Die brasilianischen Parteien kann man grob in zwei Gruppen einteilen. Einigen Parteien mit politisch-ideologischer Ausrichtung steht eine Vielzahl von Parteien gegenüber, die ohne erkennbare ideologische Orientierung nur dazu gegründet wurden, um ihren Funktionären den Zugang zu öffentlichen Ämtern und Geldern zu erleichtern. Ein Politiker ist in Brasilien in erster Linie ein Geschäftsmann, dem es darum geht, gut Geld zu verdienen, um sich und seine Klientel zu versorgen. 

Die ideologisch orientierten Parteien waren bislang ausnahmslos linksgerichtet, von linkspopulistisch (PDT), links (PT) bis linksextrem (PSOL, PCdoB). Mit der neu aufgestellten PSL ist nun erstmals eine Fraktion im Parlament vertreten, die man als wertkonservativ und wirtschaftsliberal, also im weitesten Sinn als rechtsgerichtet bezeichnen kann.

Schon in den ersten Wochen nach seiner Amtsübernahme bewies Bolsonaro durch verschiedene Maßnahmen, daß er gewillt ist, seine Wahlversprechen in die Tat umzusetzen, soweit ihm das politisch möglich ist. 

Brasilien zog sich offiziell aus dem UN-Migrationspakt zurück, dem die Vorgängerregierung noch in letzter Minute beigetreten war. Der seit Jahrzehnten in Brasilien lebende und offiziell geduldete italienische Linksterrorist und vierfache Mörder Cesare Battisti, der in Italien rechtskräftig verurteilt worden war, wurde ausgewiesen. 

Richtungweisend war die Unterzeichnung eines Dekrets durch Bolsonaro, das mit sofortiger Wirkung unbescholtenen brasilianischen Staatsbürgern den Besitz von bis zu vier Waffen erlaubt. Ein Referendum aus dem Jahre 2005, bei dem die Brasilianer mehrheitlich dem Besitz von Waffen zugestimmt hatten, war von den Vorgängerregierungen ignoriert worden.

 Die Weigerung der linken Regierungen vor Bolsonaro, das Ergebnis der Volksabstimmung umzusetzen, hatte das wenig überraschende Ergebnis, daß zwar jeder Kriminelle immer noch leicht an Waffen kam, der gesetzestreue Bürger dagegen nicht. 

Eine überforderte Polizei hatte zu keiner Zeit die Mittel und den Willen, die Verbrecherbanden zu entwaffnen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Morde in dem tropischen Großreich auf zuletzt über 60.000 pro Jahr an. Die Entwaffnung der normalen Bevölkerung hatte also nicht den propagierten friedenstiftenden Effekt gehabt.

Eine Totalblockade scheint eher unwahrscheinlich 

Die erwähnten Maßnahmen konnte Bolsonaro ergreifen, weil er dazu nicht die Zustimmung des Parlamentes brauchte. Der „Trump der Tropen“, wie man den neuen brasilianischen Präsidenten durchaus charakterisieren kann, wird bei der Umsetzung weiterer Wahlversprechen sicher auf mehr Widerstand treffen. 

Dabei geht es um Privatisierungen einiger, beileibe nicht aller staatlicher Unternehmen, Bürokratieabbau, wirtschaftlichen Integration weiter Teile Brasiliens, die pro forma den indigenen Völkern unterstehen, de facto aber von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen kontrolliert werden. 

Ein wichtiger Punkt ist die Entpolitisierung der Schulen und Universitäten. Die Bewegung „Escola sem Partido“ (Schule ohne Partei) fordert schon seit langem, daß in den öffentlichen Bildungseinrichtungen des Landes Wissen vermittelt werden soll und nicht die Ideologie einer bestimmten Partei. Gemeint ist dabei natürlich die linke Partei der Arbeiter. 

Hier fordert Bolsonaro eine Umkehr, wobei dies ein besonders zäher und schwerer Kampf werden wird, denn linke Ideologen haben den gesamten Bildungsapparat seit Jahrzehnten massiv unterwandert. Drängend ist eine Reform der Altersversorgung, da die Brasilianer heute teilweise schon mit 48 Jahren in Rente gehen können, was auf Dauer kein Staatshaushalt der Welt aushält. Die PT betrieb hier viele Jahre eine Klientelpolitik der schlimmsten Art.

Bolsonaro hat das Problem, daß seine Partei weit von einer Parlamentsmehrheit entfernt ist. Das klingt freilich komplizierter, als es ist, denn Mehrheiten zu beschaffen, ist in Brasilien weniger eine Frage der Inhalte, sondern taktischer Überlegungen.

 Das extrem zersplitterte Parlament kann dabei von Vorteil sein. Es ist üblich, daß die Abgeordneten einiger der Kleinparteien aus organisatorischen Gründen im Laufe der nächsten Monate zu größeren Formationen wechseln werden. Als Präsidentenpartei wird davon die PSL am meisten profitieren. 

Aber auch die Überläufer werden nicht zu einer Mehrheit für Bolsonaro reichen. Also muß er wohl oder übel mit dem diffusen Haufen der Parteien zusammenarbeiten, die man inhaltlich kaum definieren kann. 

Das Gesetz „Eine Hand wäscht die andere“ gilt erst recht in Brasilien. Bolsonaro erwartet von Maia, der über eine beachtliche Hausmacht verfügt, zukünftig die eine oder andere Gegenleistung. Eine Totalblockade Bolsonaros durch das Parlament aus ideologischen Gründen ist eher unwahrscheinlich. Ein „Shutdown“ wie in den USA ist wohl nicht zu erwarten.

Der Wahl Bolsonaros gingen zahlreiche Wahlsiege anderer konservativer oder rechtsliberaler Kandidaten in ganz Lateinamerika voraus. So wechselten Argentinien, Chile, Peru und Paraguay die Farben. Am letzten Wochenende war dann El Salvador an der Reihe. Einzige Ausnahme bildet López Obrador in Mexiko.