© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/19 / 15. Februar 2019

„In der Regel kann nichts ohne uns passieren“
Ein Streit zwischen „Tichys Einblick“ und Madsack wirft die Frage nach der Medienmacht der SPD auf
Ronald Berthold

Ein Kampf, den ein Beteiligter scheinbar gar nicht führt, kann für die Zuschauer trotzdem spektakulär sein. Die Auseinandersetzung zwischen Roland Tichy und der der SPD mitgehörenden Verlagsgruppe Madsack sowie dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) ist eine dieser interessanten Auseinandersetzungen – zumal es um Goliath gegen David und Links gegen Rechts geht.

Am Ende ließ der Riese einen Online-Text des im Vergleich dazu kleinen Tichys Einblick verbieten. Tichy wehrte sich nicht juristisch. Publizistisch aber verhielt er sich so geschickt, daß die von ihm unterzeichnete Unterlassungserklärung zum Rohrkrepierer für Sozialdemokraten und ihr Medienimperium wurde. Der 63jährige erreichte sein Ziel: Viele reden über den wachsenden Einfluß einer schrumpfenden Partei. Insgesamt ist die SPD an dutzenden deutschen Zeitungen beteiligt. Über Madsack besitzt sie auch Teile des RND, das wiederum zusammen mit DuMont die RND Berlin GmbH als gemeinsame Hauptstadtredaktion für überregionale Politik- und Wirtschaftsinhalte gegründet hat. 

Begonnen hat die Schlacht mit einem primitiven RND-Text, den zahlreiche Blätter, darunter die Berliner Zeitung, Kölner Stadt-Anzeiger und Ostsee-Zeitung über den Vortrag des Welt-Kolumnisten Henryk M. Broder vor der AfD-Fraktion veröffentlichten. Darin führt Autor Markus Decker ohne jede Begründung aus: „Als Medien in der Grauzone zum Rechtspopulismus gelten Kritikern schließlich Tichys Einblick, verantwortet von dem früheren Wirtschaftswoche-Chefredakteur Roland Tichy, das Magazin Cicero und die Neue Zürcher Zeitung. Die Achse des Guten und die JUNGE FREIHEIT haben die Grenze nach allgemeiner Einschätzung überschritten.“

Decker will den genannten Medien mit der Rechtspopulismus-Keule die Glaubwürdigkeit nehmen, ohne „Kritiker“ zu benennen und die „allgemeine Einschätzung“ zu konkretisieren. So freute sich Roland Tichy auch nicht, in einem Atemzug mit der renommierten Neuen Zürcher Zeitung genannt worden zu sein, sondern holte zum Gegenschlag aus. In einem gut recherchierten Beitrag legte er dar, daß die SPD über ihre Medienholding DDVG Beteiligungen an zahlreichen Verlagshäusern und dem RND halte, für das Decker arbeitet. Dieser schreibe „im Stil eines Parteipropagandisten“.

Tichy verzichtet auf Auseinandersetzung

Das RND erstellt überregionale Texte für die 15 Madsack-Zeitungen und auch für verlagsfremde Blätter, darunter die DuMont-Medien Berliner Zeitung, Express, Mitteldeutsche Zeitung. In seinem Beitrag suggeriert Tichy, daß die Partei darüber ihre Politik promote: „Mit der heimlichen Einflußnahme über das RND-Netzwerk geht es diskreter und ohne daß die Leser dies bemerken. Und das Beste: Die Leser zahlen sogar dafür – vermutlich allerdings nur so lange, wie sie es nicht wissen.“

Daher müsse Markus Decker sich als Autor „in angeblich unabhängigen Zeitungen“ Fragen gefallen lassen. Was meine er mit der Grauzone zum Rechtspopulismus – „alles, was die Amadeu-Antonio-Stiftung für rechts hält, also auch FDP, CDU und CSU?“ Und er fragte, wer die „Grenze“ festlege, die die junge freiheit und die Achse des Guten angeblich überschritten hätten. Die SPD?

Tichy meinte, kein Kunde erfahre, daß er bei einem RND-Text quasi einen SPD-Beitrag lese. In der Tat sind die sozialdemokratischen Beteiligungen nicht in den Impressen der Blätter vermerkt. Die Mediendienste „Meedia“ und „Übermedien“, die sich auf die Seite von Madsack/RND/SPD stellten, werfen Tichy vor, die Besitzverhältnisse seien nicht geheim, sondern lange bekannt. Das ist genauso richtig, wie andererseits aber wohl auch kaum ein Käufer der Zeitungen weiß, daß er beim Lesen eines RND-Beitrages eine Beteiligung der SPD einpreisen muß. Das ist etwas für Brancheninsider. Insofern hat Tichy mit dem Vorwurf einer gewissen Verheimlichung durchaus recht.

Mit den Worten „Wir müssen uns nicht jeden Humbug bieten lassen“, begründete ein Madsack-Sprecher den Antrag auf Unterlassungserklärung – sprich, daß Tichy den Text löscht. Das tat dieser dann tatsächlich, verweigerte die juristische Auseinandersetzung, weil er als Inhaber eines kleinen Mediums den hohen fünfstelligen Betrag dafür nicht aufbringen könne. Laut „Übermedien“ ließ die Verlagsgruppe Tichys Behauptungen untersagen, die SPD bestimme, was in den Zeitungen stehe, und daß es sich bei den Madsack-Zeitungen um „SPD-Medien“ handele.

Vielleicht hätten Tichys Chancen gar nicht so schlecht gestanden, die Auseinandersetzung zu gewinnen. Aber er ging kein Risiko ein und sorgte mit einem Schachzug dafür, daß der Inhalt seines Artikels trotz der Unterlassung mehr verbreitet wurde, als es anders jemals möglich gewesen wäre. Er ließ den Text bis zum Ende der Frist am Mittwoch vergangenener Woche um 14 Uhr online und kündigte an, diesen dann zu löschen, weil er gezwungen sei, „der Macht aus dem Weg zu gehen“. Und: „Wir werden weiter kämpfen, auch wenn es in Deutschland gefährlich ist, bestimmte Kräfte zu kritisieren.“ Über ein Online-Archiv war der Text zudem weiter abrufbar und wurde über die sozialen Medien eifrig geteilt. Der Reiz des Verbotenen dürfte zu hohen Klickzahlen geführt haben – insofern ging der Madsack-Schuß nach hinten los und traf als Kollateralschaden auch die SPD. 

Ein Sieg für Tichy, auch wenn er so tat, als habe das übermächtige Kartell der Einheitsmedien gewonnen: „Sie bekämpfen jeden, der mit Hilfe der neuen Medien Nachrichten in Umlauf setzt, die ihnen nicht gefallen oder ihre Wahlchancen reduzieren könnten. Um diese Macht im Verborgenen geht es. Sie hat noch einmal einen Triumph erfahren.“

Das RND hat 6,8 Millionen Leser

In Wirklichkeit aber lasen viele, die den Tichy-Artikel sonst niemals gesehen hätten, daß die SPD über das RND ihre bisherige Reichweite via DDVG auf fast sieben Millionen Leser vervierfacht habe. Die Partei bestreitet allerdings, Einfluß auf die Berichte zu nehmen, auch „Meedia“ hält das für „realitätsfern“. Tichy aber zitierte die frühere SPD-Bundesschatzmeisterin und General­treuhänderin der DDVG, Inge Wettig-Danielmeier: „Auch dort, wo wir nur 30 oder 40 Prozent haben, kann in der Regel nichts ohne uns passieren.“

Insofern müßte die Partei allerdings auch eine Verantwortung für den Auflagenskandal bei Öko-Test treffen. Jahrelang fälschte die Zeitschrift die Anzahl der verkauften Exemplare von Sonderheften – und betrog so ihre Anzeigenkunden. Eigentümer der Öko-Test-Verlag-GmbH: die SPD-Medienholding DDVG.