© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

Der Bundestag sagt jein
Sicherheitspolitik: Deutschland fehlt eine klare strategische Ausrichtung
Peter Möller

Es gibt Wörter im politischen Berlin, die werden von Politikern möglichst nur hinter verschlossenen Türen in den Mund genommen. Ganz weit oben auf der Liste steht dabei der Begriff der nuklearen Teilhabe, der den Einsatz amerikanischer Atomwaffen durch die Bundeswehr im Ernstfall bezeichnet. In Berlin ist dieser Begriff nicht sehr beliebt, da er zu sehr nach Kaltem Krieg, Wettrüsten und Konfrontation klingt und viel zuwenig nach Dialog, Gesprächen und Konsens.

Dennoch könnte Deutschland eine neue Debatte über die nukleare Teilhabe bevorstehen. Denn der in die Jahre gekommene Jagdbomber Tornado, der im Ernstfall mit amerikanischen Atomsprengkörpern bestückt werden kann, ist technisch veraltet und muß durch einen modernen Jet ersetzt werden. Im Verteidigungsministerium ist nun eine Vorentscheidung getroffen worden, die eine neue sicherheitspolitische Debatte in Deutschland auslösen könnte. Denn nach dem Willen der Planer im Bendlerblock soll die Entscheidung in einem Wettbewerb fallen. Damit ist eine zeitnahe Beschaffung der von der Luftwaffe favorisierten hochmodernen F-35 von Lockheed Martin vom Tisch. Zwei ehemalige Inspekteure der Luftwaffe, Karl Müllner und Klaus-Peter Stieglitz, warfen der Bundesregierung daraufhin in einem geharnischten Gastbeitrag in der Welt vor, sich aus innenpolitischer Rücksichtnahme vor einer Entscheidung zu drücken und diese auf die lange Bank zu schieben: mit weitreichenden Folgen für die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit Deutschlands.

Doch der aktuelle Streit um die Grundsatzentscheidung beim Tornado-Nachfolger ist nur ein Symptom für ein viel tieferliegendes Problem, für die Verdruckstheit, mit der in Deutschland sicherheitspolitische Debatten geführt werden – wenn sie denn überhaupt öffentlich ausgetragen werden. „In Sicherheitskonferenzen sind wir weltklasse, aber was unsere eigenen Streitkräfte angeht und die strategische Analyse, was wir leisten müssen – da sind wir so schwach wie kaum jemals zuvor“, faßte der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) das Dilemma in der vergangenen Woche im Interview mit dem Deutschlandfunk anläßlich der Münchner Sicherheitskonferenz zusammen. 

Geht es nach dem Willen der AfD, werden derlei grundsätzliche Fragen künftig regelmäßig im Bundestag behandelt. In der vergangenen Woche debattierte der Bundestag einen Antrag der AfD-Fraktion, künftig jährlich eine „Debatte zur sicherheitspolitischen Lage der Bundesrepublik Deutschland“ mit einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu führen. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen erforderten eine permanente Anpassung der politischen und militärischen Maßnahmen, heißt es in dem Antrag.

Eine Rede ersetzt nicht    jahrelange Tatenlosigkeit

Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Rüdiger Lucassen, warf der Bundesregierung in der Debatte vor, sich in der Sicherheitspolitik allzu oft hinter dem Verweis auf Deutschlands historische Hypothek zu verstecken und sich „in untaugliche Allgemeinplätze einer sogenannten Friedenspolitik“ zu flüchten. „Aber diese Friedenspolitik ist in Wahrheit gar keine Politik. Es ist nur eine vulgäre Art des Pazifismus, bei dem es am Ende egal ist, ob Menschen sterben oder nicht – Hauptsache, die politisch Handelnden fühlen sich rein“, kritisierte der ehemalige Berufssoldat. Nur wenn die strategische Ausrichtung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik definiert sei, könne das operative Tagesgeschäft von Regierung und Parlament gelingen. „Deutschland ist heute nicht mehr zur Verteidigung befähigt, weder zur Landesverteidigung noch im Bündnis. Diese Tatsache allein sollte den Bundestag nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.“ Mit Blick auf die Münchner Sicherheitskonferenz forderte Lucassen, Deutschland solle nicht nur als Gastgeber auftreten, sondern müsse auch daran teilnehmen.  Der Forderung der AfD-Fraktion nach einer jährlichen Sicherheitsdebatte mochten sich die anderen Parteien nicht anschließen und verwiesen auf die regelmäßigen Debatten des Parlamentes über die Auslandseinsätze der Bundeswehr, bei denen es immer auch um grundsätzliche Frage der Sicherheitspolitik gehe. Dennoch wurde zumindest bei Union und FDP deutlich, daß das Thema durchaus virulent ist. „Wir brauchen kontinuierliche sicherheitspolitische Debatten hier und in der Mitte der Gesellschaft“, sagte Marcus Faber (FDP) und der CDU-Abgeordnete Manfred Grund plädierte für „einen Bundessicherheitsrat als zentrales außen- und sicherheitspolitisches Entscheidungs- und Koordinierungsgremium“. 

Lucassen, der an dem Treffen in München teilnahm, sagte der JUNGEN FREIHEIT, „mehrere Verteidigungs- und Außenpolitiker, auch der Regierungsparteien, stimmten der Notwendigkeit einer grundsätzlichen sicherheitspolitischen Debatte zu – allerdings nur unter vier Augen“. Bezüglich des vorrangig in der Presse gefeierten Auftritts der Kanzlerin sagte der AfD-Abgeordnete: „Es gab Stimmen, vor allem von Osteuropäern, die auf die enorme Diskrepanz zwischen Merkels Worten und ihren Taten hinwiesen. Ein politisches Vermächtnis erschafft man nicht mit einer Rede, wenn man sich 13 Jahre nicht um Verteidigung gekümmert hat.“

Für die Linksfraktion plädierte Mat-thias Höhn im Bundestag für „deutliche Signale der Entspannung, der Abrüstung, der Zurückhaltung bei Investitionen ins Militärische“. Damit hatte Höhn nach Ansicht von Beobachtern ziemlich genau die deutsche Sicherheitspolitik der vergangenen Jahrzehnte beschrieben – und bewiesen, wie notwendig eine grundsätzliche Debatte über die Sicherheitspolitik ist.