© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Bloß nicht darben
Paul Rosen

Diäten haben in Berlin nichts mit Abnehmen zu tun. Im Gegenteil: Der Begriff steht für den Griff der Bundestagsabgeordneten in die Steuerkasse. Seit einigen Jahren läuft der Griff automatisiert ab: Je nachdem wie die Reallöhne im Durchschnitt steigen, erhöhen sich auch die Bezüge der 709 Volksvertreter – ohne Parlamentsbeschluß. In diesem Jahr steigen die Abgeordnetenbezüge um über 300 Euro auf 10.073 Euro. Vergeblich appellierte der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel: „Jede Diätenerhöhung müßte in einem separaten Gesetzgebungsverfahren vor den Augen und Ohren der Bürger begründet und darüber entscheiden werden.“ 

Daß es kaum Unruhe im Volk über den automatisierten Selbstbedienungsladen gibt, liegt an einem völlig intransparenten Privilegien-System. Die Diäten stellen wie die Spitze eines Eisberges nur einen kleinen Teil der Leistungen an Abgeordnete dar. Hinzu kommt eine Kostenpauschale in Höhe von monatlich 4.418,09 Euro. Diese Pauschale ist steuerfrei, was ihren realen Wert glatt verdoppelt. Damit kann der Abgeordnete zum Beispiel ein Büro in seinem Wahlkreis einrichten, muß es aber nicht. Dieselben Abgeordneten, die Pauschalen für Werbungskosten und andere Pauschalen für Arbeitnehmer seit vielen Jahren nicht erhöht haben, gewähren sich eine Kostenpauschale, deren Zuordnung zu mandatsbedingten Kosten höchst zweifelhaft ist. 

Bürokosten fallen übrigens gar nicht an. Das Berliner Büro ist kostenlos, für die Beschäftigung von Mitarbeitern gibt es eine Monatspauschale von 21.536 Euro. Für Büromaterial stehen monatlich 1.000 Euro steuerfrei zur Verfügung. Für Reisen bekommt der Abgeordnete eine Jahreskarte für die Bahn (natürlich 1. Klasse). Finanzämter machen bei Arbeitnehmern wegen möglicher Privatnutzung solcher Jahreskarten regelmäßig ganz großes Theater. Bei Abgeordneten passiert nichts. Und wer einen Politiker am Flughafen sieht, darf sicher sein, daß das Ticket aus dem Etat des Bundestages bezahlt worden ist – egal ob der Flug privat oder mandatsbedingt ist. Zum Flughafen und anderen Zielen wurde er mit dem kostenlosen Limousinendienst des Bundestags kutschiert. Der doppelte Kniff für die Steuerfreiheit aller Leistungen geht so: Abgeordnete sind immer im Dienst, und da jeder von ihnen das ganze Volk vertritt, dürfen sie auch im ganzen Bundesgebiet unterwegs sein. 

Verliert so ein Abgeordneter das Vertrauen der Partei und wird nicht mehr aufgestellt, wird ihm der Übergang ins Nicht-Berliner Leben mit Übergangsgeld versüßt. Die Diäten laufen nach der Abwahl (gestaffelt nach Zeit im Parlament) eine Weile weiter. Kostenlos ist übrigens auch die Altersversorgung. Kein Abgeordneter hat für diese Bundestags-Betriebsrente je einen Cent eingezahlt, und ihm werden auch keine doppelten  Krankenkassenbeiträge abgezogen wie mehreren Millionen Betriebsrentnern. Jedes Jahr im Bundestag bringt ab dem 67. Lebensjahr einen Anspruch von 251,83 Euro im Monat, während ein Durchschnittsverdiener pro Jahr Arbeit seine Rente mit hohen Beiträgen gerade einmal um rund 33 Euro aufbessert.