© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

„Wenn wir nichts verändern, wird es erheblich schlechter“
Ex-Verfassungsschutzpräsident: Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Rauswurf äußert sich Hans-Georg Maaßen besorgt über den Zustand der Demokratie in Deutschland
Christian Vollradt

Natürlich interessieren zwei Fragen sowohl das Publikum als auch die an diesem sonnigen Samstag vormittag im Kölner Steigenberger Hotel erschienenen Journalisten besonders: Wie lief das mit seiner Entlassung als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz im vergangenen Herbst genau ab? Und: Plant Hans-Georg Maaßen, in die Politik zu gehen. Doch der einstige Chef des Inlandsnachrichtendienstes bat um Verständnis, daß er zu bestimmten Fragen keine Stellung nehmen könne. „Zu vielem habe ich vorgezogen zu schweigen als zu reden, und dabei bleibe ich auch heute, auch wenn ich manche von Ihnen vielleicht enttäusche.“ Die Sache mit der Politik ließ er eher offen. Nur soviel: „Wenn ich hätte Berufspolitiker werden wollen, hätte ich diese Karriere schon in jüngeren Jahren angestrebt.“

Es war Maaßens erster Auftritt vor einem größeren Publikum in der Öffentlichkeit seit seiner Entlassung im November vergangenen Jahres. 150 Zuhörer haben sich versammelt, die gleiche Anzahl habe man aus Platzgründen leider abweisen müssen, berichten die Veranstalter. Warum er hier bei der Werte-Union, dem Zusammenschluß konservativer Mitglieder der CDU-Basis spreche, wollte ein Journalist bei der anschließenden Pressekonferenz wissen. „Ich bin hier, weil ich eingeladen worden bin“, antwortete der Mann mit der ovalen Goldrandbrille lächelnd. Zudem sehe er die Notwendigkeit, daß sich die CDU, „der ich vor vielen, vielen Jahren beigetreten bin“, auf ihre Werte rückbesinnen müsse. Aber sie müsse auch Realitäten anerkennen, es brauche „mehr Realismus und weniger Idealismus und Ideologie“, konstatierte der 56jährige. Die Werte-Union verstehe er „als Graswurzelbewegung, die die Funktionäre der Partei an das erinnert, was die CDU ausmacht und was sie trägt.“ 

„Viele haben Angst, ihre Meinung frei zu äußern“

„Wenn wir nichts verändern, wird sich die Lage in Deutschland erheblich verschlechtern“, appellierte Maaßen in Richtung Politik. Deutschland habe verlernt, für sich und seine Souveränität selbst zu sorgen und sich in einer „wohlig-warmen Stubenatmosphäre“ eingerichtet. „Das deutsche Bürgertum hat sich ins Biedermeier zurückgezogen: Steuern zahlen, alle vier Jahre wählen gehen und ansonsten will man seine Ruhe haben.“ Außenpolitisch müßten Europa und Deutschland aufpassen, nicht zu „tributpflichtigen Hintersassen“ anderer Mächte zu werden, mahnte Maaßen mit Blick zum Beispiel auf ein „imperial-hegemoniales“ Auftreten Chinas. Im übrigen habe mittlerweile jeder Konflikt auf der Welt direkte Auswirkungen auf Deutschland – nicht zuletzt in Form von Migration oder Terrorismus.

Maaßen kritisierte in diesem Zusammenhang die Geringschätzung für das Militär und die Sicherheitskräfte. Einen besonderen Fokus richtete er auf die Einwanderungskrise. Ihm als früherem Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums, der in den neunziger Jahren an der Ausarbeitung des Aufenthaltsgesetzes beteiligt war, habe die Situation des Jahres 2015 „Schüttelfrost“ bereitet, schilderte Maaßen. Das Gesetz habe zum vorrangigen Ziel, den Zuzug von Ausländern nach Deutschland „zu steuern und zu begrenzen“. Dieses Ordnungsrecht diene dem Schutz der deutschen Bevölkerung, auch beispielsweise wenn diese sich vor Straftaten durch Zuwanderer sorge, betonte der Jurist. Die Fehler von 2015 wirkten fort und würden in Teilen wiederholt. „Die Sicherheitslage hat sich durch die sogenannte Migrationskrise verschärft.“ Noch immer gebe es durchschnittlich 500 Einreisen pro Tag aus sicheren Drittstaaten nach Deutschland. Hinzu komme der Familiennachzug. Das seien rund 200.000 Migranten pro Jahr – die eine Infrastruktur einer Stadt wie Kassel benötigen. Noch immer kämen 70 Prozent der Schutzsuchenden ohne Papiere und werden aufgrund von Eigenangaben registriert. 

Manche der damit verbundenen Probleme seien den Fachleuten schon länger bekannt gewesen. So beispielsweise, daß Integrationssprachkurse zwar Deutschkenntnisse vermitteln könnten, aber nicht „zwingend zu einer Integration in die deutschen Lebensverhältnisse führen. Aufgrund seiner Erfahrungen halte er es „für wenig wahrscheinlich (ehrlich gesagt: für abwegig), daß wir die große Zahl der Menschen, die in den letzten Jahren als Asylsuchende zu uns kamen, vollständig oder zu einem überwiegenden Teil werden integrieren können“, stellte Maaßen nüchtern fest.

Daß er bei seinem persönlichen Rückblick einflocht, der sozialdemokratische Bundesinnenminister Otto Schily sei „der beste Chef, den ich je hatte“ gewesen, während er einem anderen Chef – Thomas de Maizière (CDU) – und dessen nachträglicher Beurteilung der Rechtslage an der Grenze widerspricht, macht deutlich: Maaßen ist das Gegenteil des angepaßten Parteisoldaten. Zu häufig, so kritisiert der ehemalige Spitzenbeamte, sei das Loyalitätsverständnis in Deutschland personen- oder parteienbezogen. Und er ergänzt aus einem persönlichen Erlebnis: „Interessant fand ich, was mir ein CDU-Bundesminister zwei Jahre nach der Flüchtlingskrise von 2015 sagte. Es habe im Oktober 2015 massive Unruhe in der Bundestagsfraktion gegeben. Es war klar, daß diese politische Entscheidung falsch war. Er hatte damals gleichwohl die Kanzlerin unterstützt, weil dies ansonsten dazu geführt hätte, daß die Existenz der Partei auseinandergebrochen wäre. Das wäre das Ende der CDU gewesen. Ich bin der Meinung, daß die Loyalität gegenüber dem Staat, dem deutschen Volk und gegenüber dem Recht weiter gehen sollte als gegenüber der eigenen Partei“, sagt Maaßen – und das christdemokratische Auditorium quittiert es mit viel Beifall.

Vorsichtig anerkennd äußerte sich Maaßen zu den Ergebnissen des CDU- „Werkstattgesprächs“ zur Migration, das die neue Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer angeleiert hatte.  „Eine klare Aussage in dem Papier, die ich gut finde, ist, daß Zurückweisungen an der Grenze möglich sind. Wir haben das immer gesagt“, meinte Maaßen in der Pressekonferenz. Anderslautende Äußerungen seien „Nebelkerzen“ gewesen. Was dem Ex-Verfassungschützer fehlt, sind klare Aussagen, wie man mit etwa 230.000 ausreisepflichtigen Ausländern in Deutschland umgehen solle. Solange dieses Problem nicht gelöst werde, brauche man auch keine neuen Ausweisungstatbestände einzuführen, so sein Fazit. 

Beunruhigt zeigte sich Maaßen vor allem über eine Radikalisierung und Polarisierung an allen politischen Rändern. Ihr gegenüber stehe eine genauso problematische „Rigorosität des Mainstreams“. Besonders die berechtigten Sorgen von Bürgern im Osten der Bundesrepublik seien von Berufspolitikern nicht ernst genommen worden. Es fehle die Bereitschaft, diesen Bürgerwillen in praktische Politik umzusetzen. Hier sieht Maaßen eine wachsende Entfremdung zwischen Wahlvolk und Politikern. „Viele Menschen haben Angst, ihre Meinung frei zu äußern, weil sie nicht in die rechte Ecke gestellt werden wollen.“ Wenn Bürger aber den Eindruck bekämen, sie könnten ihre Meinung nicht mehr frei äußern, weil diese tabuisiert sei, dann gebe es ein Demokratieproblem, meinte Maaßen unter großem Applaus. 

Für Teile der Linken das fleischgewordene Feindbild

Flankiert werde dies von einer schwerwiegenden Vertrauenskrise in die Medien. Sie seien „in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar“ für die Meinungsbildung. „Die Menschen müssen eine belastbare Tatsachengrundlage haben, auf Grund der sie ihre politischen Entscheidungen treffen können, und sie brauchen eine kompetente Einordnung und Bewertung von Sachzusammenhängen.“ Doch es bestehe bei vielen Konsumenten der Eindruck, bestimmte Tatsachen würden nicht oder nur in manipulativer Weise verbreitet, bemängelte der Referent. Die Lage, so schlußfolgerte der Jurist, sei indes nicht „gottgegeben“, notwendig sei es, gestaltend Einfluß für ein demokratisches Miteinander zu nehmen – „man muß den Willen dazu aufbringen“. 

Was seine persönliche Zukunft betrifft, gab er sich abwartend. „Für Teile der Linken und Grünen war ich lange das fleischgewordene Feindbild.“ Nun sei sein Platz zunächst am Rand des Spielfelds. „Ich fühle mich dort für den Moment durchaus wohl. Ich muß nicht unbedingt wieder zurück aufs Spielfeld. Wissen Sie, wenn die Fußballmannschaft der Auffassung ist, man paßt trotz aller Erfolge nicht ins Team und man selbst ist zur Überzeugung gekommen, daß das Team mit diesen Spielern und dieser Strategie besser spielen würde, dann ist es auch besser, vom Platz zu gehen, als in ein aussichtsloses Match zu gehen.“

Sein Gastauftritt bei den CDU-Konservativen glich einem Triumphzug. Maaßen war der gefeierte Star, der seinen Zuhörern eine parteipolitische Frischzellenkur verpaßt zu haben schien.