© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

Nationale Notstände
USA: Trump versucht mit allen Mitteln zu beweisen, daß er seine Wahlversprechen auch hält
Marc Zoellner

Es war ein ungewöhnlich erfolgreicher Tag, zumindest für die Beamten der US-Grenzschutzbehörde: Im Rahmen ihrer verstärkten Überwachungsmaßnahmen im Rio Grande Valley, verkündete ein Sprecher der „United States Border Patrol“ (USBP), seien allein vergangenen Dienstag über 1.300 illegale Einwanderer in den drei Counties Starr, Hidalgo und Cameron festgenommen worden. Es ist ein neuer Rekord für die unwegsame, im äußersten Süden des US-Bundesstaats Texas gelegene Grenzregion der USA zu Mexiko.

Doch keine, die überrascht – immerhin gilt die gut einhundert Kilometer lange, durch das Flußbett des Rio Grande geprägte Demarkationslinie als der am stärksten frequentierte Grenzabschnitt der etwas über 3.100 Kilometer zählenden gesamten Südgrenze. Über vierzig Prozent sämtlicher illegaler Grenzüberschreitungen werden von der USBP jährlich in diesen drei Counties verzeichnet. 

Die Zahl der hier Festgenommenen betrug allein im Januar dieses Jahres fast 18.000 Personen; neben einer Vielzahl an kompletten Familienverbänden fanden sich darunter auch gut 2.200 unbegleitete Minderjährige sowie Dutzende mit US-Haftbefehl gesuchte Mitglieder verschiedener lateinamerikanischer Gangs und Kartelle.

„Vielleicht funktioniert die Mauer ja“

„Ich sehe immer wieder, wie freizügig die Leute hier über die Grenze laufen“, pflichtet Ruperto Escobar dem jüngsten Vorstoß des US-Präsidenten Donald Trump bei, die texanische Grenzgegend massiv mit Absperrungen zu verstärken. Der 75jährige Farmer mit lateinamerikanischen Wurzeln, dessen Landbesitz direkt den Rio Grande berührt, erhoffe sich davon eine Eindämmung der grassierenden Drogenkriminalität in seinem County. „In den vergangenen 75 Jahren hat nichts dagegen funktioniert“, erklärt Escobar wütend im Hörfunksender NPR. „Laßt uns etwas Neues versuchen. Laßt uns diese Mauer versuchen. Vielleicht funktioniert die ja.“

Auf Stimmen wie jene Ruperto Escobars richtet Trump derzeit besonders sein Augenmerk. Die vorangegangene, über 35 Tage währende Haushaltssperre „Shutdown“, die unzähligen von den Medien verbreiteten Bilder über unbezahlte Regierungsangestellte, die sich in öffentlichen Suppenküchen haben bedienen lassen müssen, hatten den US-Präsidenten selbst unter eingefleischten Wählern der Republikanischen Partei große Sympathie gekostet. Nicht so jedoch unter der lateinamerikanischen Minderheit in den USA: „Umfragen zeigen, daß die Zustimmungsquote unter Latinos auf 50 Prozent gestiegen ist, ein Zuwachs von 19 Prozent in einem Jahr“, twitterte Trump Ende Januar mit Verweis auf sein neu gewonnenes Wählerklientel.

Tatsächlich könnten gerade farbige Minderheiten das Zünglein an der Waage für Trumps Wiederwahl im Herbst 2020 werden. Erst vergangenen November ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Rasmussen Zustimmungswerte von über 40 Prozent unter afroamerikanischen Wählern. Zur Präsidentschaftswahl 2016 lagen diese bei gerade einmal acht Prozent. Trumps Verkündung des nationalen Notstands vom vergangenen Freitag, um aus dem Staatsetat Gelder für den Bau einer Mauer im Rio Grande Valley freizugeben, dürfte bei den wirtschaftlich abgehängten Schichten der Latinos und Schwarzen erneut auf offene Türen stoßen: Denn die Frage nach sozialer und Erwerbssicherheit, verbunden mit der Problematik illegaler Migration, gilt diesen Wählerkreisen derzeit als besonders wichtig.

„Wir kontrollieren unsere eigene Grenze nicht mehr“, begründete Trump dementsprechend den nationalen Notstand und warnte vor „einer Invasion unseres Landes mit Drogen, mit Menschenschmugglern, mit Kriminellen und Gangmitgliedern.“ Seine Notstandsverkündung befähigt den Präsidenten, über den US-Kongreß hinweg gut 6,1 Milliarden US-Dollar, umgerechnet rund 5,4 Milliarden Euro, zusätzlich zu den bereits bewilligten 1,4 Milliarden US-Dollar aus dem Verteidigungsetat für seine Mauerpläne abzuzweigen.

Zumindest theoretisch; praktisch hat Trump auch hier noch einige Hürden zu überwinden. So können Kongreß und Senat mit einfacher Mehrheit eine „Mißbilligung“ des Notstands beschließen – und diese wiederum einzig vom Veto des Präsidenten aufgehoben werden. Noch am Freitag hatte Trump diesen Schritt schon vorzeitig angekündigt. Daß sich in Kongreß und Senat im Anschluß eine Zweidrittelmehrheit finden ließe, die dieses Veto außer Kraft setzen könnte, gilt angesichts der republikanischen Mehrheit als unwahrscheinlich. Den vom Notstand betroffenen Parteien bleibt jedoch der Gang vor Gericht.

Demokraten wütend über „Machtmißbrauch“

Mit Kalifornien und New York reichten am Wochenende bereits zwei Bundesstaaten Klage gegen die Notstandsverordnung ein, 14 weitere folgten. „Es ist eindeutig, daß Donald Trump einzig denkt, er müsse etwas tun, um sein Wahlversprechen zu halten“, bestätigte der kalifornische Justizminister und Generalstaatsanwalt Xavier Becerra die Klageerhebung. „Das begründet aber keinen nationalen Notstand und verletzt überdies die US-Verfassung.“ 

Eine Ansicht, die auch Charles Schumer teilt: „Den nationalen Notstand auszurufen, ist ein gesetzloser Akt, ein schwerwiegender Mißbrauch der Macht des Präsidenten und ein verzweifelter Versuch, von der Tatsache abzulenken, daß Trump sein Hauptversprechen gebrochen hat, Mexiko für seine Mauer zahlen zu lassen“, mahnte der Senatsfraktionsvorsitzende der oppositionellen Demokratischen Partei.

Trumps nationaler Notstand hat der Opposition nahezu die Hände gebunden, um noch auf parlamentarischem Weg den Mauerbau zu verhindern. Ihre Hoffnung liegt nun bei den Anwohnern der texanischen Grenzgebiete. Immerhin sind es deren Grundstücke, die zur Errichtung der Grenzverstärkung ganz oder teilweise vom Staat enteignet werden müssen. 

Zuletzt leitete eine US-Regierung einen solchen Schritt 2006 unter George Bush jr. ein – mit anschließend rund 340 Prozessen um Entschädigungszahlungen, von denen über 70 noch immer vor Gericht verhandelt werden.