© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

Großbaustelle führt zum Nadelöhr
Stadtgestaltung: Der Molkenmarkt, Berlins ältester Platz, soll umgebaut werden
Peter Möller

Die Berliner Autofahrer haben es nicht leicht. Durch allerlei Schikanen zeigt ihnen der rot-rot-grüne Senat immer wieder, was er vom Individualverkehr hält: nichts. Seit Mitte Januar muß der durch Tempo-30-Zonen auf Hauptverkehrsstraßen und die immer weiter um sich greifende Parkraumbewirtschaftung geplagte Autofahrer ein weiteres verkehrstechnisches Nadelöhr in der Hauptstadt verkraften. Eine der wichtigsten Ost-West-Trassen in Berlin, die Bundesstraße 1, die unter anderem den Potsdamer Platz mit dem Alexanderplatz verbindet, wird in Höhe des am Roten Rathaus gelegenen Molkenmarkts auf Jahre zur Großbaustelle. Doch damit nicht genug: Am Ende wird je Richtung ein Fahrstreifen weniger übrigbleiben. Zudem verschwinden 350 Parkplätze, die von den DDR-Städteplanern, die nicht nur an dieser Stelle in Berlin verschwenderisch mit dem historischen Stadtraum umgegangen sind, hier zwischen den jeweiligen Fahrtrichtungen der B 1 angelegt wurden. 

Auch wenn es die Autofahrer nicht trösten dürfte: Die Bauarbeiten am Berliner Molkenmarkt sind keine reine Schikane, sondern dienen der Stadtreparatur der geschundenen Berliner Mitte. Denn mit der Verengung des Mühlendammes und der Grunerstraße, wie dieser Abschnitt der B 1 heißt, geht auch eine Verlegung der Straßentrasse einher. Die Grunerstraße führt künftig wieder direkt an der Rückseite des Roten Rathauses entlang, statt die Abkürzung quer über den nach dem Krieg durch die Beräumung von Trümmergrundstücken vergrößerten Molkenmarkt zu nehmen.

Verkehrsschneise zerschneidet Stadtviertel

Was für die Autofahrer von Nachteil ist, hat städtebaulich den Vorteil, daß der durch die Verlegung und Verengung der Straße freiwerdende Stadtraum endlich wieder bebaut werden kann. Ab 2022 sollen im Zuge eines der derzeit größten Städtebauprojekte in Berlin 450 Wohnungen sowie Geschäfte und Büros gebaut werden. Der Molkenmarkt, der als Schnittpunkt dreier Fernhandelsstraßen entstand, ist nicht irgendein Ort, sondern gilt als ältester Platz Berlins und bildet mit der im 13. Jahrhundert begonnenen Kirche St. Nikolai im Nikolaiviertel den Siedlungskern des heutigen Berlins.

Nun soll die Stadt an dieser Stelle endlich wieder näher zusammenrücken und die öde Fläche, die sich derzeit zwischen der Rückfront des Roten Rathauses und dem imposanten Alten Stadthaus ausbreitet, verschwinden. Durch diese Verdichtung entsteht wieder ein städtebaulicher Zusammenhang zwischen dem derzeit durch die Verkehrsschneise am Molkenmarkt isoliert voneinander liegenden Klosterviertel und dem bei Touristen beliebten Nikolaiviertel, das in den achtziger Jahren vom SED-Regime als Altstadt-Ersatz errichtet worden war.

Vor allem für das an den Rand gedrängte Klosterviertel mit der Ruine der ab 1250 erbauten Franziskaner-Klosterkirche, an der sich bis 1945 das berühmte Gymnasium zum Grauen Kloster befand, sowie der 1695 erbauten Parochialkirche, die erst seit 2016 wieder ihren im Krieg zerstörten barocken Turmhelm trägt, erhoffen sich die Stadtplaner durch die Baumaßnahmen wieder mehr Aufmerksamkeit. Die derzeit noch beziehungslos nebeneinander existierenden architektonischen Stadtfragmente, die durch ihre unwirkliche Lage auch aus dem Bewußtsein vieler Berliner verschwunden sind, sollen nach dem Willen der Planer durch den Umbau des Molkenmarkts wieder zu einer Einheit zusammengeführt werden. „Wir haben jetzt die Chance, einen der ältesten Stadtteile im historischen Zentrum Berlins wieder für die Menschen zurückzugewinnen“, formulierte 2016 der damalige Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) anläßlich des Beschlusses des Bebauungsplanes die hochgesteckten Ziele. Dort, wo heute eine vielspurige Straße den Raum dominiere, werde ein urbanes und lebenswertes Stadtquartier entstehen, versprach er.

Neue Quartiere in zeitgenössischer Architektur

Ob dieser Plan gelingen wird, läßt sich erst nach Abschluß der Bauarbeiten sagen. Doch immerhin kann den Verantwortlichen nicht vorgeworfen werden, daß sie an dieser historisch bedeutsamen Stelle einen Schnellschuß wagen. Die Pläne für eine Neugestaltung des Gebietes rund um den Molkenmarkt gehen bis in das Jahr 2003 zurück. Doch schon bald versandete das Vorhaben wieder und wie so oft, wenn in Berlin gebaut werden soll, geriet auch hier der Zeitrahmen völlig aus den Fugen.

Und auch jetzt, da die Autofahrer bereits die Auswirkungen der Neugestaltung am Molkenmarkt zu spüren bekommen, wird noch lange nicht gebaut. Bevor das erste Haus errichtet werden kann, sind erst einmal die Archäologen am Zuge. Mit mehr als 25.000 Quadratmetern Fläche mitten in der historischen Altstadt Berlins gilt das Vorhaben als die größte stadtarchäologische Grabung in Deutschland. Die Experten erwarten sich wichtige Erkenntnisse nicht nur über die Frühzeit der Geschichte Berlins.

Bei aller Freude darüber, daß ein wichtiger Teil des historischen Berlins wieder städtebaulich verdichtet wird – architektonisch dürften die neu-alten Stadtquartiere eher eine Enttäuschung werden. Zumindest lassen die bisherigen Planungen nicht erkennen, daß an die historische Gestaltung angeknüpft werden soll – geschweige denn, daß wichtige historische Gebäude rekonstruiert werden. Die zuständige Senatsverwaltung für Wohnen und Bauen spricht bislang eher unbestimmt davon, daß die an den historischen Stadtgrundriß geplanten neuen Quartiere in zeitgenössischer Architektur entstehen. Dabei sollen historische Baufluchten und archäologische Funde bei der Neugestaltung berücksichtigt werden. Immerhin drohen keine überdimensionierten Gebäuderiegel, sondern die Planer setzen ganz bewußt auf eine kleinteilige Bebauung, damit wichtige historische Monumente wie das Rote Rathaus, das Alte Stadthaus und die Nikolaikirche ihre prägende städtebauliche Rolle nicht verlieren.

Auch wenn vieles an der Planung vage ist und noch so manche böse architektonische Überraschung bereithalten dürfte, ist das Bauvorhaben rund um den Molkenmarkt für das durch Kriegs- und Nachkriegszeit arg geschundene alte Berlin von überragender Bedeutung. In einer Stadt, in der die großflächige sozialistische Stadtödnis zwischen dem wiederaufgebauten Stadtschloß und dem Alexanderplatz immer noch von einer unheiligen Allianz aus alten SED-Kadern und unbelehrbaren Modernisten mit Zähnen und Klauen gegen die Befürworter einer Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses und einer dringend gebotenen baulichen Verdichtung verteidigt wird, ist das keine Selbstverständlichkeit. Und doch hätte man sich gewünscht, daß der Umbau des Molkenmarkts mit einer vernünftigen Verkehrsplanung einhergeht. Aber das ist von einer vielfach überforderten Stadt wie Berlin vielleicht dann doch etwas zuviel verlangt.