© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

Traditionalist und Esoteriker
Konservatismus: Zur Erinnerung an den Privatgelehrten und Publizisten Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Karlheinz Weißmann

Die erste Begegnung mit dem Autor Gerd-Klaus Kaltenbrunner hatte ich Mitte der siebziger Jahre. An den Bücherständen des RCDS in Göttingen wurden damals Bände der Herderbücherei Initiative verschenkt. Die Initiative war ein alle zwei Monate erscheinendes Taschenbuchmagazin, das Kaltenbrunner herausgab. Es behandelte jeweils ein Schwerpunktthema: „Mut zur Geschichte“, „Herrschaft durch Sprache“, „Illusionen der Brüderlichkeit“, „Europa – Weltmacht oder Kolonie?“, „Lob des Kleinstaates“, „Verweiblichung als Schicksal“. Dazu bat Kaltenbrunner verschiedene – in der Hauptsache konservative – Autoren um Beiträge. Außerdem gab es ein paar Quellentexte, eine umfangreiche Bibliographie und einen luziden Essay aus seiner Feder.

Angesichts der geistigen Öde, die damals schon an westdeutschen Hochschulen Einzug zu halten begann, war das, was die „Initiative“ bot, eine Art geistiger Konterbande. Hier lernte man Vorstellungen und Denker kennen, von denen unsere Professoren im Regelfall nicht sprachen: Tocqueville und de Maistre, Pareto und Michels, Guénon und Evola, Heidegger und Simone Weil. Auch wenn der RCDS die Ausgaben großzügig verteilte, weil sie in den eigenen Reihen kein Interesse fanden, gab es doch eine kleine Schar von Eingeschworenen, die hier Information und Inspiration fand.

Sicher waren die siebziger Jahre der Höhepunkt von Kaltenbrunners politischem, oder genauer gesagt: metapolitischem, Einfluß. Helmut Schelsky nannte ihn den „geistvollsten Interpreten des deutschen Konservatismus“. Kaltenbrunner selbst sprach allerdings davon, daß „Konservativer“ nur ein „Schildchen“ sei, geeignet, ihm Deckung zu verschaffen, um das zu sein, was er wirklich war: ein „evolutionärer Traditionalist“ oder „rechts-intellektueller Esoteriker“.

Daß es dahin kommen werde, hatte sich in seinem Lebensweg nur allmählich abgezeichnet. Kaltenbrunner, am 23. Februar 1939 in Wien geboren, entschied sich nach dem Jura-Studium gegen eine entsprechende Laufbahn als Anwalt oder im Staatsdienst, siedelte nach Deutschland über und arbeitete zwischen 1962 und 1973 als Lektor. Danach standen Schriftstellerei und Publizistik ganz im Zentrum seiner Tätigkeit.

Aufsehen erregte das Erscheinen zweier umfangreicher Bände, die er herausgegeben hatte: „Rekonstruktion des Konservatismus“ (1972) und „Der schwierige Konservatismus“ (1973). Sie sollten auch den Ausgangspunkt für eine Bewegung bilden, die er ganz offen als „neue Rechte“ bezeichnete, und die ihrem Hauptgegner – der Neuen Linken – auf dessen eigenem Feld – dem Kampf um die Begriffe und die Ideologien – entgegentreten sollte.

Eine Tendenzwende blieb aus 

Mit dieser Zielsetzung war Kaltenbrunner gleichweit entfernt von den tagesaktuellen Zielsetzungen der Unionsparteien wie von den Auffassungen jener, die im bürgerlichen Lager den Ton angaben und bestenfalls ein „Zurück“ forderten. Aber sein Aussehen, sein gewinnendes Auftreten und seine Vertrautheit mit dem Kulturbetrieb sorgten dafür, daß er trotz aller Anfeindungen als akzeptabler Diskussionsgegner galt. Die Deutschland-Stiftung verlieh ihm 1986 für sein Gesamtwerk den Konrad-Adenauer-Preis für Literatur.

Ab Mitte der achtziger Jahre offenbarte sich jedoch sukzessive das Ausbleiben einer „Tendenzwende“ (Kaltenbrunner) und führte zu einem Ende aller Hoffnung auf ein roll back. Die Linke kam mit ihrem Marsch durch die Institutionen ans Ziel, ohne noch auf Widerstand zu stoßen. Gleichzeitig schwanden die konservativen Milieus, selbst das katholische, was dazu führte, daß Kaltenbrunner seine wichtigste publizistische Plattform verlor, weil der Herder-Verlag die Buchreihe „Initiative“ nicht fortsetzen wollte.

Die Zeitschrift Mut bot Kaltenbrunner nur vorübergehend Ersatz. Dazu kamen massive Auseinandersetzungen im Lager der rechten Intelligenz, vor allem eine über Jahre andauernde Vendetta zwischen Kaltenbrunner und Armin Mohler. Und es erwies sich zuletzt auch als Nachteil, daß Kaltenbrunner das von ihm immer wieder angekündigte Projekt – die Formulierung einer konservativen Theorie – nicht zustande brachte.

Stattdessen zog er sich, zunehmend enttäuscht, auf Spezialthemen der Geistes- und der Theologiegeschichte zurück. Dieser Tendenz entsprach die sukzessive Entfremdung gegenüber einer neuen Generation von Konservativen und die Beschränkung auf religiöse Fragestellungen, die seine beiden letzten Lebensjahrzehnte bestimmte.

Kaltenbrunner verstarb am 12. April 2011. Auf die Frage, was der Tod für ihn bedeute, hatte er 2007 im JF-Fragebogen geantwortet: „Höchstpersönlicher Weltuntergang, intimste Apokalypse, Voll-Endung.“