© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

Trophäenjagd in einer Ruine
Kinofilm: Nicolas Wagnières erkundet in Belgrad das „Hotel Jugoslavija“
Sebastian Hennig

Auf einer ebenen Fläche zwischen linkem Saveufer und der Donau wurde nach dem Krieg durch jugoslawische Arbeitsbrigaden die Stadt Novi Beograd aus dem Boden gestampft. Eigentlich ist der brutalistische Genex-Turm das schauerliche Wahrzeichen der sozialistischen Neustadt. Doch der in Lausanne geborene Nicolas Wagnières wendet sich in seinem gleichnamigen Dokumentarfilm dem „Hotel Jugoslavija“ zu. Dieses faßt er als „ein mystisches Gebäude“ auf. Die Kamera fährt durch die langen Flure an den offenstehenden Zimmertüren vorbei. Dieses größte Hotel auf dem Balkan hat während der Dreharbeiten dreimal den Besitzer gewechselt. Der Film präsentiert es überwiegend als leere Hülle.

In dieser Form eignet es sich freilich am ehesten als Projektionsfläche für die Empfindungen des Filmemachers. Dessen Mutter hat in den sechziger Jahren die Heimat verlassen und diese in den Ferien immer wieder aufgesucht. Mit dem Krieg 1991 endeten diese Besuche einer erinnerten Heimat. Ab 2005 begab sich Nicolas Wagnières dann für ein Jahrzehnt auf Spurensuche in Belgrad.

Das riesige Gebäude ist ein begehbares Architekturmuseum. In dem Maße, in dem es einst modern war, mutet es heute nostalgisch an. Wagnières Film bewegt sich in den Fußstapfen von Peter Handkes südslawisch-kommunitaristischen Reichsträumen und folgt zugleich der Schauer-Romantik jugendlicher Abenteurer, die zum Filmen und Fotografieren in verlassene Fabriken einsteigen. Das Erkunden sogenannter „lost places“ ist eine Trophäenjagd. Die Ästhetik der Bilder wird nicht von den Autoren erzeugt, sie liegt bereits in der pittoresken Umgebung vor und braucht nur aufgelesen zu werden.

1999 wurde das Hotel von der Nato bombardiert

Immerhin bietet das „Hotel Jugoslavija“ eine sinnige Kulisse für Befragungen einiger Protagonisten. Die Mutter des Regisseurs berichtet von der Aufbauphase des südslawischen Staatenbundes. In einer Art Reichsarbeitsdienst, nationalem Aufbauwerk oder Subbotnik wurden Eisenbahnlinien und Autostraßen gebaut und der Brüderlichkeit und Einheit geweiht. Zagreb und Belgrad wurden so durch eine Transitstrecke verbunden. Archivaufnahmen zeigen die Jugend bei Erdarbeiten. Dann sind Plattenbauten vor dem blauen Himmel zu sehen, und im Schatten der Hochhäuser stehen noch die eingeschossigen Dorfhäuser. In rührender Schlichtheit heben sich diese vor den hohlen Versprechungen eines industriell erzeugten kommunistischen Wohlstands ab. 

Das Elternhaus der Mutter war gegenüber dem Belgrader Haus der Armee gelegen. Sobald sich dort wichtige Personen einstellten, bezog ein Scharfschütze Stellung am Kinderbett des Mädchens, um das Geschehen auf der anderen Straßenseite im Blick zu haben. Später berichtet ein Restaurantleiter des Hotels von einer Zeit, da Pistolen auf den Stühlen gelegen hätten und auf den Gängen geschossen wurde.

Am 7. Mai 1999 wurde das „Jugoslavija“ von der Nato bombardiert. Aufnahmen zeigen provisorische Räumungsarbeiten. Seither ist der Betrieb dort nicht wieder auf die Beine gekommen. In den Wirtschaftsräumen verrotten Stapel mit eingerollten Fahnen. Ein handgeschriebenes Nummernverzeichnis liegt vor dem Telefonapparat. Ein Versicherungskonzern hatte das Hotel übernommen und später veräußert, ohne seine Vertragspflichten einzulösen.

Ein früherer Arbeiter erzählt begeistert von der Zeit der Arbeiterselbstverwaltung. Sie hätten die Löhne festgelegt und die wirtschaftliche Zielstellung des Hauses bestimmt. Es gab Austausch des Personals mit anderen großen Häusern des Landes. Ein Kollege sieht diese Epoche eher als ein Symptom des Niedergangs. Ohne eine zentrale Leitung wären alle notwendigen Entscheidungen verschleppt worden. Dem Hotelleiter, der nach dem Angriff die wirtschaftliche Ruinierung des Hotels hinnehmen mußte, geht es heute besser als jemals zuvor, gibt er bereitwillig zu. Doch 99 Prozent der Menschen im Land gehe es schlechter.

Heute glänzt das Foyer in ungesundem blauen Gefunkel, in der Bar fahren Mädchen in knappen Röcken auf Rollschuhen um die kaum besetzten Tische. Eine Topfpflanze kränkelt unter der Wendeltreppe vor sich hin. Unterdessen gibt es grandiose Pläne, das Hotel um zwei Hochhaustürme zu ergänzen. Das Hotel Jugoslavija wird also auch künftig geeignet bleiben, Sinnbilder für den Zustand der Reste des Landes zu liefern, dessen Namen es trägt. Für ein abendfüllendes Filmporträt bietet es indes schon jetzt zuwenig. Der filmische Essay läßt alle Gelegenheiten verstreichen, an denen tiefer unter die äußere Erscheinung zu dringen gewesen wäre. 

Kinostart am 21. Februar 2019

 https://hotel-jugoslavija-film.com