© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

Konsensfindung in der Komfortzone
Nachklapp zum Historikertag 2018: In Berlin diskutierten deutsche Historiker über die richtige Distanz von Wissenschaft zur Politik
Matthias Bäkermann

Einer Resolution „Gegen den Mißbrauch der Geschichte“ kann eigentlich kein Historiker die Zustimmung verweigern. Das dachten sich wohl die Verantwortlichen des Historikertags Ende September 2018 in Münster. Ohne große Diskussion und per Akklamation wurde also die „Resolution des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VDH) zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“ mit übergroßer Mehrheit abgenickt (JF 43/18). 

Es dauerte gute zwei Wochen, bis sich zwei Historiker – Dominik Geppert (Potsdam) und Peter Hoeres (Würzburg)  – in einem FAZ-Artikel (vom 12. Oktober) kritisch zu Wort meldeten und offen „Gruppendruck und Bekenntniszwang“ anprangerten. So sei die Resolution eben nicht allgemeinverbindlich, sondern beziehe ganz bewußt zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Streitfragen Stellung, indem zum Beispiel die Massenmigration aus dem Herbst 2015 als „‘Pflicht zur Hilfeleistung in humanitären Krisensituationen’ gutgeheißen wurde“. Widerspruchslos sei festgestellt worden, daß „Migration die beteiligten Gesellschaften – auch die deutsche – insgesamt bereichert“ habe. Zudem habe die gesamte Resolution eine klare „Stoßrichtung gegen Rechts“, womit der Historikertag seinen gesellschaftspolitischen Anspruch parteipolitisch instrumentalisiert habe.

„Fast peinlich wirkte das alles, weil es so bedeutungsschwer und staatstragend daherkam, nachdem der Bundestagspräsident in seiner klugen Eröffnungsrede die Historiker gerade zur Bewahrung geistiger Unabhängigkeit aufgerufen hatte.“ Heinrich von Treitschke wäre vermutlich amüsiert, so höhnten Hoeres und Geppert, wie sich seine schärfsten Kritiker der heutigen Zunft in ihrer „linksliberalen Komfortzone“ unter entgegengesetzten Vorzeichen „wieder ins Bündnis mit der Regierung und dem vermeintlichen Zeitgeist begeben“. Zudem sei die gesellschaftliche Spaltung – Leitthema des Historikertages 2018 –, „durch die wohlfeile Resolution in den Verband hineingetragen“ worden. Tatsächlich folgte dem FAZ-Artikel eine überaus kritische Resonanz in der Öffentlichkeit. Auch bei Historikern entwickelte sich plötzlich ein Diskurs, der umgekehrt proportional zu der überwältigenden Zustimmung zur Resolution auf der Mitgliederversammlung des Historikertages stand. Das Verbandspodium am 14. Februar im Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sollte nun unter Einbeziehung vieler Fachkollegen im Auditorium die in Münster nicht erfolgte Diskussion nachholen. 

Resolution steht für eine mangelhafte Diskurskultur

Damit stellte sich die VDH-Führung den lauter werdenden Protesten über den Inhalt, aber auch über das Zustandekommen der Abstimmung. Deutlich wurde in Berlin, daß Initiatoren und Verantwortliche zunehmend in die Defensive geraten sind. So verteidigte sich die VDH-Vorsitzende Eva Schlotheuber (Düsseldorf) gleich eingangs, daß doch gerade Beschlüsse wie jene in Münster „eine Debatte über das Verhältnis von Politik und Wissenschaft in Gang bringen sollten“. Doch Dominik Geppert, der als einer von wenigen der Resolution nicht zugestimmt hatte, entgegnete, daß gerade der Historikertag den Rahmen eines herrschaftsfreien Diskurses gar nicht geboten hätte. Nicht zuletzt deshalb habe er mit seinem Kollegen Hoeres diese Debatte erst publizistisch von außen angefachen können. Entlarvend klang in diesem Kontext die Klage Petra Terhoevens (Göttingen) darüber, daß eine mit der Resolution „nicht intendierte Politisierung“ erst durch den „unfairen und tendenziösen“ FAZ-Artikel erfolgte. 

Während Kritiker wie Jessica Gienow-Hecht (FU Berlin) die Fragwürdigkeit einer Verbandspolitik „per Akklamation“ betonten, ging Andreas Rödder (Mainz) in seiner auch inhaltlich harrschen Kritik noch weiter. Die im September verweigerte Debatte zu der „weder ausgewogenen noch wissenschaftlich vertretbaren“ Resolution stehe stellvertretend für die Diskurskultur innerhalb der bundesdeutschen Historikerschaft. Das Beispiel des Umgangs mit dem Erste-Weltkrieg-Spezialisten Gerd Krumeich, „eines aufrechten Sozialdemokraten“, wegen seiner jüngsten Thesen offenbare, wie durch „Moralisierung“ gestandene Wissenschaftler unter Apologieverdacht gerieten.

Als prominentester Befürworter der Resolution betonte Norbert Frei (Jena) nochmals die Gefahren für die Geschichtswissenschaft, die von den „gefährlichen Vereinfachern“ von rechts ausgingen. Dem müßten „wir als aufgeklärte Historiker“ noch konsequenter entgegentreten. Mit seinem Hinweis auf das Geschichtsbild der AfD („horribile dictu“, so der Pariser DHI-Vorsitzende Peter Maissen) sprach er gleichzeitig den verdeckt sowohl in Münster als auch in Berlin anwesenden „rosa Elefanten“ als das Schreckgespenst der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft an. 

Daß Frei bei seiner Feindbilderklärung die AfD wiederum gefährlich vereinfachend auf die innerparteilich höchst umstrittenen Poltereien von Alexander Gauland über „die Hitlerzeit als Vogelschiß der deutschen Geschichte“ oder Björn Höckes in Sportpalastmanier vorgetragenen Verdikt über eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ reduzierte, störte im altehrwürdigen Gemäuer der Preußischen Akademie der Wissenschaften schon niemandem mehr. Immerhin konnte Frei und die VDH-Führung in dieser Hinsicht einen politischen Konsens herstellen – einmütiger, als es die Münstersche Resolution je vermochte.

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