© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/19 / 22. Februar 2019

Mehr Google-Treffer als Stalin und Mao
Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld läßt „Hitler in Hell“ seine eigene Version erzählen
Werner Olles

Ein paar Sonderlinge vermuten Hitler im ewigen Eis der Antarktis, wohin ihn angeblich im April 1945 ein U-Boot gebracht hat. Wahlweise ist auch der „Planet Aldebaran“ im Gespräch, wobei das Transportmittel eine der geheimnisumwobenen „Reichsflugscheiben“ war. Die Kulturanthropologin Felicitas Goodman untersuchte aus wissenschaftlicher Sicht den Besessenheitsfall der Studentin Anneliese Michel 1976 im mainfränkischen Klingenberg und kam zu dem Schluß, daß einer der drei Dämonen, die das Mädchen plagten, Hitler war. Nicht zu vergessen auch die Washingtoner Rede von Alexander Solschenizyn: „Das Böse konzentriert sich. Es verbreitet sich über die ganze Erde!“

Von einem ganz anderen Ansatz geht der renommierte israelische Militärhistoriker Martin von Creveld aus. Der Diktator lebt in der Hölle, doch langweilt er sich dort ohne seine treue Schäferhündin Blondi, denn wie wir von Eckhard Henscheid wissen, gehören Hunde zu jenen Tieren, die auf jeden Fall in den Himmel kommen. Es ist ihm auch nicht möglich, die Hölle zu verlassen, er haust allein in einem fensterlosen Raum. Natürlich fehlt ihm außer Blondi noch eine andere Seele: Eva Hitler, geborene Braun. Kurz vor Kriegsende widersetzte sich Eva seinen Wünschen und tauchte in Berlin auf, um gemeinsam mit ihm zu sterben. 

Noch etwas macht ihm zu schaffen: Man altert nicht in der Hölle, nie wird man krank, nie stirbt jemand, es passiert überhaupt nichts. Was soll man mit seiner Zeit anfangen? Ein Grund, dieses Buch zu schreiben, wobei ihm nur der treue Rudolf Heß hilft, da er es seinerzeit versäumt hatte, Tagebücher zu führen. Und jene, die ein Hamburger Stern-Reporter mit Hilfe eines Kunsthändlers aus Baden-Württemberg viel später in seinem Namen verbreitete, verursachten bei Hitler in seinem Höllenexil tatsächlich „Blähungen im Darmbereich“ – aus Ärger! Über das Weltnetz versorgen später ihn seine Anhänger mit allem, was über ihn geschrieben und aufgezeichnet wurde. Ein bißchen stolz ist er darauf, daß er im Frühjahr 2015 etwa 100 Millionen „Treffer“ hat, Stalin nur 33 Millionen und Mao eine kümmerliche Million.

Er ist entschlossen, seine Seite der Vergangenheit zu erzählen, denn nach Schopenhauer „ist die Geschichte mit der Lüge so durch und durch infiziert wie eine Gassenhure mit der Syphilis“. Am 20. April 1889 in Braunau am Inn geboren, beschließt er als Knabe aufgrund seiner zeichnerischen Begabung Künstler zu werden. Nach dem Tod seiner Mutter, die der Hausarzt Dr. Bloch behandelte, „einer der sehr wenigen anständigen Juden, von denen ich jemals etwas gesehen oder gehört habe. Er tat für sie, was er konnte“, hält ihn nichts mehr in Linz, und im Februar 1908 trifft er in Wien ein, lernt Hunger und Obdachlosigkeit kennen und wird zum fanatischen Antisemiten.

Im Mai 1913 zieht Hitler nach München und beginnt als Kunstmaler etwas Geld zu verdienen und träumt davon, Architekt zu werden, doch der Erste Weltkrieg reißt ihn aus seinen Träumen. Ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz Zweiter und Erster Klasse liebt er das Soldatenleben. Während die jungen Kameraden schlecht ausgebildet sind und sterben wie die Fliegen, einer der wenigen Punkte, in denen „dieser pazifistische Charakterlump Erich Maria Remarque die Wahrheit schrieb“, kämpft das Heer bis zum bitteren Ende. 

Im September 1919 tritt er in die Deutsche Arbeiterpartei ein, ein Jahr später nennt die Partei sich Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, es findet die erste Massenveranstaltung mit ihm als Redner und 2.000 jubelnden Zuhörern statt. Hoffnung gibt Mussolinis „Marsch auf Rom“, der die Faschisten an die Macht bringt. Der Putsch in München mißlingt indes. Nach 13 Monaten erträglicher Haft in Landsberg werden die nächsten Jahre seine „glücklichsten“. Er kauft den Berghof, reist in einem Mercedes, begleitet von Leibwächtern, begegnet Frauen wie Leni Riefenstahl, die versucht ihn zu verführen, aber auf Ablehnung stößt. Auch über seine Nichte Angela, „Geli“, spricht er offen. Sie schwärmt für ihn, und er fertigt Aktzeichnungen des üppigen Mädchens an, doch alles andere ist „schmutzige Phantasie“. Als Geli sich erschießt, plagen ihn schwere Depressionen. 

Schuld an der Niederlage waren „unfähige Generäle“

Der Weg zur Machtergreifung ist geprägt von Niederlagen und Triumphen. Die Harzburger Front mit Hugenbergs DNVP bringt Stimmen im Reichstag, doch jeder Sieg wird mit Blut bezahlt. Im Sommer 1932 gibt es in Berlin 461 Straßenschlachten mit 82 Todesopfern. Hindenburg ernennt General Schleicher zum Kanzler, doch dessen Versuch, mit Hilfe Gregor Strassers die Partei zu spalten, mißlingt und Hindenburg ernennt Hitler zum Reichskanzler. Eine neue Ära bricht an. Die Aushöhlung der Verfassung, das mit großer Mehrheit verabschiedete Ermächtigungsgesetz, gegen das nur „die Sozialdemokraten, diese alten Schwätzer“ stimmen, die Ernennung des 1. Mai zum nationalen Feiertag, das Parteien-Verbot bis zur Nacht der langen Messer, als die SA-Führung ausgeschaltet wird, sind nur der Anfang. Die Hinrichtungen Edgar Jungs, Gregor Strassers und General von Schleichers, schließlich der Tod von Hindenburg, dessen Pflichten der Führer nun übernimmt: „Für unser Land brach ein neuer Morgen an.“ 

In der Götterdämmerung des April 1945, als die Waffen-SS vor der Berliner Reichskanzlei kämpft, kommt Hitler zu dem Schluß, verraten worden zu sein, von den „unfähigen Generälen“, selbst Vertrauten wie Himmler, dem „treuen Heinrich“, der hinter seinem Rücken mit den Westalliierten verhandelt. Er findet, daß die Engländer und Amerikaner ungleich mehr Zivilisten getötet haben als seine Luftwaffe, ganz abgesehen von den Atombomben, die über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Die Beschuldigung, daß sein System „totalitär“ gewesen sei, weist er zurück, das sowjetische sei viel totalitärer, da bis heute nicht bekannt ist, wie viele deutsche Kriegsgefangene in russischen Lagern umgekommen sind, und was man unseren Frauen und Soldaten antat, könne man sich nicht vorstellen. 

So gesehen ist er immer noch der Alte, zwar tot, aber überzeugt, daß „mein Licht an immer mehr Orten neuen Glanz entfaltet“. Vielleicht kriechen die Dämonen eines Tages wirklich aus den Höllenschlünden empor.

Martin van Creveld: Hitler in Hell. Was er noch zu sagen hätte … Ares Verlag, Graz 2018, gebunden, 412 Seiten, 29,90 Euro