© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Radikal gescheitert
AfD: Jörg Meuthens Kritik an Quertreibern kommt an / Forderung, auch der „Flügel“ solle Grenzen ziehen
Christian Vollradt

Puh, das mußte mal gesagt werden.“ Oder: „Hut ab, da hat er den richtigen Ton getroffen!“ Zwei Stimmen von AfD-Mitgliedern, wahllos aufgeschnappt, aber offensichtlich stellvertretend für viele; Kommentare zur Brandrede von Parteichef Jörg Meuthen am vergangenen Samstag auf dem Landesparteitag der AfD Baden-Württemberg in Heidenheim an der Brenz (JF 9/19). 

Darin hatte er scharfe Kritik an „einigen komplett rücksichtslosen Radikalen“ geübt und gefordert: „Wer hier seine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausleben möchte, dem sage ich ganz klar: Sucht euch ein anderes Spielfeld für eure Neurosen!“ Im Saal gab es dafür Applaus, aber auch Buhrufe. Die Resonanz auf seine klare Ansage sei dennoch ganz überwiegend positiv gewesen, berichtet Meuthen der JUNGEN FREIHEIT. „Viele haben mir gesagt und geschrieben: ‘Danke, daß Sie das gesagt haben!’ Kritische Stimmen gab es vereinzelt, aber das war die absolute Minderheit, vielleicht eine von 20.“ Daß „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ als bewußt unklarer, schwammiger Begriff gern von linken Politikern in den Diskurs eingebracht wird, sei ihm nicht bewußt gewesen. „Ich hätte das sonst vielleicht anders ausgedrückt“, sagt Meuthen. Aber es komme ihm auf die Botschaft an – und die würde er jederzeit wiederholen. Und wer gegen die Politische Korrektheit wettert und meint, „... das müsse man doch sagen dürfen“, sollte eben auch bei dieser Wortwahl nicht so pingelig sein, ist der Parteivorsitzende überzeugt. 

Wen Meuthen mit seiner Kritik meinte, hielt er nicht verborgen: „Und wenn sich einige dieser Radikalen, um deutlicher zu werden, versammeln wie kürzlich in Burladingen geschehen, um sich als die Märtyrer unserer Partei und als die vermeintlich wahren Patrioten zu inszenieren, denen sag ich: Tut nicht so, als seiet ihr die wahre AfD.“ Es waren die Initiatoren des „Stuttgarter Aufrufs“, die sich Anfang Februar im schwäbischen Burladingen getroffen hatten, um gegen angebliche „Denk- und Sprechverbote“ zu wettern und die eigene Partei- und Fraktionsführung in Stuttgart „mürbe zu machen“, wie ihre Gegner ihnen vorwerfen. Gemeint sind allen voran die Landtagsabgeordneten Christina Baum, Emil Sänze, Stefan Räpple ... „Was Jutta Ditfurth bei den frühen Grünen war, ist heute die Rolle von Christina Baum in der AfD“, so Meuthen in Anspielung auf die einstige Repräsentantin der sogenannten „Fundis“ in der Öko-Partei.

Pikant dabei: Beim Treffen in der schwäbischen Provinz hatten die selbsternannten „Ganzen“, die gegen die „Halben“ zu Felde ziehen wollen, nicht nur die von einem Parteiausschlußverfahren des Bundesvorstands betroffene Doris von Sayn-Wittgenstein eingeladen, sondern sie präsentierten auf der Bühne mehrere Porträts und Zitate von Björn Höcke. Dies unterstrich den Anspruch, quasi offiziell für den national-konservativen „Flügel“, als dessen oberster Repräsentant Thüringens Landeschef unbestritten gilt, aufzutreten. Für den ist das ein zweischneidiges Schwert: Einerseits scheint ihm die – wenn auch nur bildliche – Präsenz nicht unwillkommen zu sein, sonst wäre er mit Sicherheit gegen das, was seine Gegner unverhohlen „Personenkult“ nennen, längst eingeschritten. Andererseits gelten selbst in Kreisen des Flügels Leute wie Baum oder Räpple als „Irrlichter“, für deren Auftritte man sich fremdschäme. 

Höcke hat jüngst in einem dreiteiligen Beitrag für den parteinahen Deutschland-Kurier mahnende Worte gefunden: „Selbstverständlich gibt es Grenzen der Standpunkte und der Meinungsäußerungen. Sie sind vorgegeben durch die grundsätzliche Parteiprogrammatik und den Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, an dem es nichts zu rütteln gibt. Hier haben alle Strömungen und ‘Flügel’ tatsächlich eine Selbstreinigungsaufgabe wahrzunehmen. Das gilt im übrigen nicht nur für inhaltliche Fragen, sondern auch bezüglich einer allgemeinen Politikfähigkeit. Nicht nur ‘an den Rändern’, sondern auch mittendrin tummeln sich immer wieder Destruktive und Disziplinlose, die die politische Arbeit erschweren und unnötig Energien absaugen.“ 

Das höre sich ja schön und gut an, wenden innerparteiliche Kritiker des Flügel-Chefs ein. Entscheidend sei aber, daß weder im Nachgang von Burladingen noch im Vorfeld des Heidenheimer Parteitags ein mahnendes – oder distanzierendes – Wort von ihm gefallen sei. Im Gegenteil: Interne Chats von Baum und ihren Anhängern deuteten an, das alles geschehe sogar mit dem Segen aus Erfurt („Ich habe soeben mit Björn telefoniert und ich soll euch von ihm herzlich grüßen ...“). Was vielen Nicht-Flügel-Leuten besonders sauer aufstößt, ist ohnehin, daß sich Höcke über Vertraute in die Belange anderer Landesverbände einmische. 

Stärke des Flügels basiert auf Schwäche der anderen

Insbesondere führende AfD-Politiker fordern nun, daß Flügel-Männer wie Höcke oder Bundesvorstandsmitglied Andreas Kalbitz, der als begnadeter Strippenzieher gilt, „endlich mal rote Linien ziehen und diese auch bei Fehlverhalten einzelner sanktionierten. Das täten sie auch, versichert ein Landespolitiker, der zum Flügel zählt. Der Vorwurf einer Zustimmung durch Schweigen sei falsch, betont er. „Es gilt im Flügel: Lob nach außen, Kritik nur nach innen.“ Daß sie nicht öffentlich geäußert wird, bedeute nicht, daß es sie nicht gebe. „Burladingen wurde gerüffelt“, bekräftigt der Flügel-Mann gegenüber der jungen freiheit. „Warum sollte Björn das öffentlich machen, das nimmt ihm doch eh keiner ab?“ Es sei intern kein Geheimnis, daß ihm die Möchtegern-Höckes nicht schmeckten. „Ich weiß ganz sicher, daß es ihn auch ankotzt, von anderen für innerparteiliche Grabenkämpfe instrumentalisiert zu werden“, meint der AfD-Politiker abschließend. Deswegen habe sich Höcke auch zurückgenommen, fahre nicht mehr in andere Landesverbände, lehne Einladungen ab. 

Andere widersprechen. Höcke sei keineswegs ruhiger geworden. „Er möchte seine Machtbasis nach wie vor ausbauen“, ist sich ein Kritiker sicher. Vor Parteitagen gebe es Absprachen, Vernetzungstreffen, wie etwa am Rande der Europawahlversammlung Anfang des Jahres im sächsischen Riesa. Das sei ohnehin die Stärke des Flügels: Seilschaften bilden, eine Art „Andenpakt der AfD“, nennt es ein Beobachter. Den meisten sei gar nicht klar, wofür die Gruppierung inhaltlich stehe, die als Sammlungsbewegung von Unterzeichnern der „Erfurter Resolution“ 2014 gegen Parteigründer Bernd Lucke hervorging. Sorge tragen, daß die AfD „Bewegung“ bleibe, nicht eine „CDU 2.0“ werde, heißt es dann immer. Andreas Kalbitz umschrieb die Funktion des Flügels als den einer „Schildwache“. 

Für sich genommen sei der Flügel eine lose Masse. In manchen Lnadesverbänden stünden zwischen 40 und 50 Prozent der Mitglieder ihm nahe, in anderen – und im Bundesschnitt – vielleicht ein Viertel bis ein Drittel. Das ist eine Minderheit. Aber eine, die manchmal besonders laut ist oder zumindest auch überproportional wahrgenommen wird. „Daran haben die Medien einen gehörigen Anteil“, rollt ein AfDler, der eher kritisch zum Flügel steht, mit den Augen. Alles, was die AfD als Rechtsaußen-Truppe dastehen läßt, falle bei vielen Journalisten auf fruchtbaren Boden. Sehr linke AfD-Beobachter und sehr rechte AfD-Mitglieder hätten da quasi ein gemeinsames Interesse, die Macht des Flügels höher einzuschätzen als sie eigentlich sei. Es sei zudem auffallend, daß gerade einige Flügel-Protagonisten ausgesprochen oft und ausgiebig mit solchen Medien, beispielsweise dem Magazin Stern, redeten, die man nach außen gern als „Mainstream“ abtue.

In der Bundestagsfraktion, dem derzeit wahrscheinlich wichtigsten Machtzentrum der AfD, ist der Einfluß des Flügels gering. „Der spielt hier keine Rolle“, heißt es übereinstimmend. Manche sprechen daher auch von einem Schein-Riesen, der immer kleiner werde, je näher man ihm kommt. Die Stärke des Flügels basiere eigentlich nur auf der Schwäche und Desorganisation der anderen Seite, moniert mancher in der AfD. Flügel-Kandidaten würden immer dann gewählt, wenn die anderen sich nicht an Absprachen hielten, sich untereinander Konkurrenz machten. Doch so langsam bewege sich da etwas in der Partei. Spät, aber nicht zu spät, meint ein Mandatsträger, seien die Gemäßigteren aufgewacht. In Hamburg, in großen Teilen von Nordrhein-Westfalen, in Berlin oder Rheinland-Pfalz wolle man dem Anspruch des Flügels, die AfD zu dominieren, jetzt etwas entgegensetzen.

Einer, der die AfD von der professionellen Warte aus betrachtet, ist Hermann Binkert vom Umfrageinstitut Insa (JF 13/18). „Wahlergebnisse von 20 und mehr Prozent gewinnen nur Parteien, die breit aufgestellt sind“, stellt der Demoskop im Gespräch mit der jungen freiheit fest. Wenn es darum geht, was bei den Wählern „besser ankommt“, dann sei die Antwort eindeutig: „gemäßigt, bürgerlich, liberal-konservativ.“ Sehr rechts eingestellte Wähler hätten „eh keine andere Alternative“. Die potentiellen Wähler der AfD stünden zwar immer noch Mitte-rechts, „aber links von den derzeitigen Wählern der AfD.“

Aber, so macht Binkert klar, solche Opportunitätserwägungen mit Blick auf die Wähler seien das eine: „Die Entscheidung, ob man für einen gemäßigt bürgerlich-konservativen Kurs steht oder für einen streng nationalen, müssen die Mitglieder treffen.“

Mit den Personalentscheidungen des Parteitags in Heidenheim (siehe Kasten)  ist das gemäßigte Lager offenbar im großen und ganzen zufrieden. Fast alle Positionen habe man mit den Wunschkandidaten besetzen können; auch mit dem vom Flügel unterstützten Dirk Spaniel als zweitem Vorsitzenden können offenbar die Nicht-Flügel-Leute leben. Sehr zufrieden äußerte sich der Bundesvorsitzende: „Die Radikalen sind auf ganzer Linie gescheitert.“ Das sei ein wichtiges Signal, ergänzt ein anderer AfD-Funktionär. „So muß es jetzt überall laufen.“





Neue Spitze  im Südwesten

Der turbulente Parteitag der baden-württembergischen AfD hat einen neuen Vorstand gewählt – wenn auch aus Zeitgründen nicht komplett (es fehlt ein dritter Beisitzer). Vorsitzende sind Bernd Gögel und Dirk Spaniel, ihre Stellvertreter Marc Jongen und Thilo Rieger. Zum Schatzmeister wurde Frank Kral wiedergewählt, Stellvertreter ist Peter Gremminger. Dieter Amann ist Schriftführer, Marc Bernhard und Vera Kosova sind Beisitzer.