© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Science-fiction von der Ostküste
Wirtschaftsumbau: US-Demokraten setzen auf einen nach deutschem Vorbild konzipierten „Klimaschutzplan“
Thomas Kirchner

Energiewende, Atom- und Kohleausstieg, Dieselfahrverbote oder kommende CO2-Strafzahlungen an die EU – auch ohne grüne Minister hat sich Angela Merkel den Titel „Klimakanzlerin“ redlich verdient. Doch angesichts von vier Landtagswahlen und der Europawahl sowie der Konkurrenz von AfD und FDP darf derzeit auch verbal dagegengehalten werden: „Eine Klimaplanwirtschaft wird es mit CDU und CSU nicht geben“, versprach der energiepolitische Sprecher der Unionsfraktion Joachim Pfeiffer (CDU). „Das ist eine Entdemokratisierung, ein Weg in eine Räterepublik und ein Volkswirtschaftsplan in grünem Gewand“, ätzte Fraktionsvize Georg Nüßlein (CSU).

Anlaß der Empörung ist das Klimaschutzgesetz von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Darin wird verlangt, die „Treibhausgasemissionen“ um 95 Prozent zu senken. Sprich: Stromerzeugung, Heizung, Industrie und Verkehr sollen auf „CO2-freie“ Energien umgestellt werden. Das ist kein Kotau vor den Grünen, sondern eine Vereinbarung des Koalitionsvertrages, und es steht seit 2016 im „Klimaschutzplan 2050“ der Bundesregierung (JF 23/16).

Energiesanierung aller Wohn- und Industriebauten

Auch bei den US-Demokraten ist der Klimaschutz eine Herzensangelegenheit – doch noch wichtiger ist ihnen die Abwahl von Donald Trump 2020. Daher dauerte es keine 24 Stunden, bis die Demokratenchefin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, den auf Initiative des New Yorker Jungstars Alexandria Ocasio-Cortez vorgeschlagenen „Green New Deal“ als „Grünen Traum“ verspottete. Eine „nationale, soziale, industrielle und wirtschaftliche Mobilisierung in einer seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gesehenen Größenordnung“ soll auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen.

Der Ersatz aller fossilen Kraftwerke durch erneuerbare Energien, Atomausstieg, Energiesanierung aller Gebäude sowieso und die Verkehrsumstellung soll in nur zehn Jahren gelingen. Der Umbau des Stromnetzes in ein intelligentes Netz (Smart grid) ist dabei wohl die kleinste Aufgabe. Futuristisch wird es beim zwanzigjährigen Ausblick: dem Ende aller Flugreisen und dem Bau von Schnellbahntrassen über Ozeane.

Die Green-New-Dealer gestehen immerhin ein, daß die Technologie dafür noch nicht existiert. Der Rest klingt wie grüne Science-fiction. Elektro-Pkw und -Lkw sowie kostenlose Ladestationen wären in New York denkbar – nicht aber in den Weiten des mittleren Westens. Ambitioniert ist die Energiesanierung aller Wohn- und Industriegebäude innerhalb von zehn Jahren: Howard Schultz, Ex-Chef von Starbucks und potentieller unabhängiger US-Präsidentschaftskandidat, rechnete vor, daß dafür pro Tag die unmögliche Zahl von 2.000 bis 3.000 Gebäuden saniert werden müßte.

Die US-Agrarwirtschaft soll Treib­hausgase und Umweltverschmutzung reduzieren. Der Staat soll landwirtschaftliche Familienunternehmen unterstützen und „ein nachhaltiges Ernährungssystem schaffen, das universellen Zugang zu gesundem Essen garantiert“. Hierbei sind staatliche Zwangsmaßnahmen eigentlich unnötig, da sich Bio- und Lebensmittel aus lokaler Produktion („US Organic“) von ganz alleine wachsender Beliebtheit bei Verbrauchern erfreuen und von Aldi bis Walmart angeboten werden.

Die Verfechter des „Green New Deal“ rechnen mit Kosten von 700 Milliarden bis zu einer Billion Dollar pro Jahr, zuzüglich 400 Milliarden für Sozialprogramme. Reichensteuer, Kürzung des Militäretats um 50 Prozent sowie eine CO2-Steuer sollen es finanzieren. Unabhängige Experten gehen von 1,4 Billionen Dollar Kosten pro Jahr allein für Immobiliensanierungen aus. Die Umstellung der Energieerzeugung könnte zwei Billionen kosten. 100 Billionen Dollar über zehn Jahre ist die Größenordnung, die republikanisch-konservative Experten erwarten.

Skepsis der Gewerkschaften

Letztlich ist der Klimaschutz nur ein Ablenkungsmanöver, denn eigentlich geht es um andere, traditionell US-demokratisch-progressive Anliegen, die mit Umweltschutz nichts zu tun haben: Gesundheitsversorgung von hoher Qualität für alle Amerikaner sowie eine Arbeitsplatzgarantie für alle mit angemessenem Lohn und Sozialleistungen. An letzterem Punkt entzündete sich prompt ein Streit: die ursprüngliche Version des „Green New Deal“ enthielt die Forderung nach einem Grundeinkommen für alle, auch für jene, die nicht arbeiten möchten.

Nachdem Konservative die genüßlich ausschlachteten, wurde die betreffende Stelle gelöscht, und Ocasio-Cortez bewies ihr unbestreitbares politisches Talent, indem sie den Republikanern vorwarf, eine manipulierte Version ihres Plans zu verbreiten. Auch für machtpolitische Spielchen eignet sich der Plan, der die Demokraten entzweit: Ex-Vizepräsident Al Gore, der sonst nicht dem linken Flügel zuzurechnen ist, war dafür, wie auch zahlreiche andere Demokraten, die auf der Welle des „demokratischen Sozialismus“ mitschwimmen. Senator Bernie Sanders brachte sich durch Vorstellung des „Green New Deals“ ins Gespräch, was zeitlich gut zu seiner ein paar Tage später erfolgten Ankündigung einer erneuten Präsidentschaftskandidatur paßte.

Zahlreiche andere Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, besonders die zum linken Flügel gehörenden, unterstützten den Plan sofort. Realisten um Ex-Vizepräsident Joe Biden, der ebenfalls 2020 antreten möchte, und das Parteiestablishment um Nancy Pelosi halten nichts davon. Dies liegt vermutlich auch an der Skepsis der Gewerkschaften gegenüber zuviel Umweltvorschriften, was im letzten Wahlkampf Donald Trump half.

Ärgerlich für den „Green New Deal“: Er hofft auf Eisenbahnen als altneues Transportmittel, doch nur wenige Tage nach seiner Vorstellung in Washington kündigte Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom das Ende des Hochgeschwindigkeitszugs an, der auf 1.200 Kilometern San Francisco und Los Angeles verbinden sollte. Die ursprünglich veranschlagten Kosten von 33 Milliarden Dollar waren auf 100 Milliarden explodiert, das erste Teilstück wurde nicht wie geplant 2018 fertig.

Nun sollen die Züge ab 2027 auf nur noch 275 Kilometern zwischen den Universitätsstädten Merced und Bakersfield verkehren. Kalifornien sitzt jetzt nicht nur auf einer Bauruine, die den Berliner Flughafen BER in den Schatten stellt, sondern auch auf Zusatzsschulden von zehn Milliarden Dollar. Washington verlangt zudem Subventionsrückzahlungen von 2,5 Milliarden Dollar. Daß ist kein gutes Omen für den „Green New Deal“.

„Klimaschutzplan 2050“ der Bundesregierung: bmu.de

„Green New Deal“ der US-Demokraten:  www.congress.gov/