© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

„Betrug am Bürger“
Verkehrspolitik: Gelbwesten-Demonstration gegen Dieselverbote in Stuttgart erfährt wieder mehr Zulauf / „Dieser Luftreinhalteplan ist Ideologie pur“
Martina Meckelein

Am Samstag vormittag bleiben die Promis unter sich, als die Landtagsgrünen zu einem Impulsvortrag ihres Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann geladen haben. Das Thema lautet: „Mobilität für Menschen“. In Baden-Württemberg ist das Auto der Motor der Wirtschaft und des Wohlstands. In Mannheim wurde es 1886 von Carl Benz zum Patent angemeldet. 450.000 Arbeitsplätze hängen heute von dieser Branche ab. Aber es wird schnell klar, daß für die grün-schwarze Landesregierung das Auto nicht mehr im Mittelpunkt steht.

Vier Stunden später werden Bürger auf die Straße gehen. Das tun sie seit Wochen (JF 5/19). Sie haben Angst, und sie sind wütend. Ganz besonders auf die Landesregierung. Deshalb rufen die Demonstranten: „Grüne weg! Grüne weg!“ Speziell meinen sie die beiden Winfrieds – eben den Ministerpräsidenten und seinen Verkehrsminister Hermann, auch ein Grüner und ebenfalls ehemaliger Gymnasiallehrer. Der langjährige Bundestagsabgeordnete setzt auf die Fahrradstadt, bekommt dafür Lob vom Chef.

Doch die Umsetzung des Dieselfahrverbots treibt die Bürger in die Existenzangst. Das weiß Kretschmann. „Der Automarkt des 20. Jahrhunderts wird vom Mobilitätsmarkt des 21. Jahrhundert abgelöst“, fabuliert er im Managersprech. „Wie wird die Zukunft aussehen? Das kann niemand genau sagen. Ich bin nur Ministerpräsident, kein Prophet.“ Damit hat Kretschmann etwas gemeinsam mit den Hunderttausenden in der Autoindustrie und bei deren Zulieferern. Immerhin gesteht er ein: „Da steht unglaublich viel auf dem Spiel.“

Das hindert ihn nicht, wortreich seine „Visionen von der Mobilität“ zu skizzieren: Klimafreundlich soll sie sein, sich stark am Menschen orientieren. „Breite Straßen müssen wir hinter uns lassen.“ Kretschmann reiht einen Allgemeinplatz an den anderen: Er will dem Menschen die Städte wiedergeben. „Staus rauben uns Lebenszeit und schaden der Wirtschaft“, der Bedarf an Mobilität würde abnehmen, das erspare teure Reisen und Arbeit und Wohnen würden wieder zusammenrücken. Wie das funktionieren soll? Bei Kretschmann pressiert es, er muß weiter – die Termine. Anschließend folgt eine Diskussion mit Wissenschaftlern und Wirtschaftsbossen.

Für solche Zukunftsvisionen haben die Demonstranten am Neckartor, die sich dort samstags für den Erhalt des Diesels stark machen, nur noch Häme. Vorvergangene Woche vermeldeten die Zeitungen abnehmende Teilnehmerzahlen. Doch an diesem Sonnabend bleiben die Demonstranten nicht an einem Ort, sie marschieren, pfeifen und skandieren durch die Stadt. Eintausend Teilnehmer, viele in gelben Westen, zeigen so ihre Wut und Angst gegenüber dem von der Politik erlassenen Dieselfahrverbot, doppelt so viele wie in der Woche davor.

„Eine Katastrophe für den Bürger“

Der Treffpunkt Neckartor hat einen Grund: Die Kreuzung gilt als eine der schadstoffreichsten Deutschlands. Hier seien jene Meßwerte, die EU-Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG bestimmt und durch das Bundesimmissionsschutzgesetz übernommen wurde, besonders hoch. In Stuttgart heißt das: Fahrverbote im gesamten Stadtgebiet für Dieselautos (mit Euro 4 und älter) von Auswärtigen. Für Stuttgarter kommt dies ab April.

„Dieses Dieselfahrverbot ist Betrug am Bürger“, sagt Sepp Haager (73) der JUNGEN FREIHEIT. Der Elektromeister hat zwei Mitarbeiter, die vom Verbot betroffen sind. „Die wohnen 50 Kilometer entfernt und dürfen nicht mehr zur Arbeit fahren. Ich habe denen gesagt, fahrt einfach. Die Strafzettel zahle ich.“ Das sind 80 Euro Bußgeld, inklusive Gebühren summiert sich das auf 108,50 Euro. Wer mehrmals erwischt wird, dem kann aber der Führerschein entzogen werden.  Architekt Reinhard Prölß (69) lebt in Eschach, hat einen Golf (Diesel, Euro 4) und einen Volvo (Diesel, Euro 5) und in Stuttgart eine Dachgeschoßwohnung. Er arbeitete 20 Jahre im Stuttgarter Bauamt. „Mir stinkt diese Dieseldebatte. Dieser Luftreinhalteplan ist Ideologie pur und eine Katastrophe für den Bürger.“

Einem Lindwurm gleich zieht sich der Demonstrationszug durch die Stadt. Viele Radfahrer sind dabei. Auch junge Leute fahren hier E-Bikes. Bei einer Höhendifferenz von 342 Metern ist das kein Wunder. Ein Radler sagte der jungen freiheit: „Ich fahre Auto, ÖPNV und eben auch Rad. Ich halte nichts von diesen Verboten.“ Auf dem Schloßplatz beginnt die Abschlußkundgebung. Auf der Bühne sitzt ein Redner im Rollstuhl. Es sei die erste Rede in seinem Leben, sagt er der JF. „Mein Name ist Benjamin Sauter, ich habe MS und ich bin eine Ausnahme.“ Er hat einen Euro-4-Diesel, ist aber aufgrund seiner Schwerbehinderung nicht vom Fahrverbot betroffen. Der Winnender muß wegen seiner Erkrankung nach Stuttgart zu Spezialisten. „Aber ich und auch andere ‘Ausnahmen’ möchten keine Ausnahmen sein. Wir sind keine Vorzeigeobjekte der Gnade für ein rechtswidriges und auf falschen Messungen basierendes Fahrverbot.“

Sauter ist Industriemechaniker. Bis vor einem Jahr arbeitete er noch in der Autowerkstatt seiner Eltern, heute im Büro. „Ich sehe täglich Kunden, welche unsicher sind und vor der Zwangsenteignung und dem Werteverfall ihres Autos stehen. Niemand weiß, in welcher Stadt die nächsten Fahrverbote ausgesprochen werden.“ Um 17.22 Uhr beendet Ioannis Sakkaros die Demonstration. „Wir haben Gespräche mit dem Staatsministerium. Pendler dürfen jetzt am Stadtkessel parken“, berichtet er der JF. Der Ministerpräsident sagte übrigens auf dem Forum: Ich verspreche der Bürgerschaft, weitere Fahreinschränkungen für Euro 5 zu verhindern.“ Architekt Reinhard Prölß sieht das skeptisch: „Heute der Diesel, später trifft es den Benziner.“

Die Demonstranten packen ihre Plakate ein, manche ziehen die gelben Westen aus. Viele fahren mit der Stadtbahn nach Hause. In deren Tunneln ist die Feinstaubbelastung höher als am Neckartor. Das gefährdet den Landesvater aber nicht, denn der ist nun in einem bequemen Elektro-SUV unterwegs, dem Mercedes GLC F-Cell. In seiner hybriden S-Klasse soll er sich angeblich wie in einer Sardinenbüchse gefühlt haben.

Initiative „Kein Diesel-Fahrverbot Stuttgart“:  

kein-diesel-fahrverbot-stuttgart.de

 www.facebook.com/fahrverbotinstuttgart

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