© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

„Nicht weniger Rettung, sondern viel, viel mehr“
Aktion „Seebrücke – schafft sichere Häfen“: Ein kleines Netzwerk linker Aktivisten und seine große bundesweite Wirkung / Eine Spurensuche
Josef Hämmerling

Als 40. Stadt Deutschlands hat sich vor zwei Wochen nun auch Hannover als „sicherer Hafen“ deklariert. So dürfen sich Städte nennen, die sich bereit erklären, im Mittelmeer von sogenannten Seenotrettungsschiffen gerettete Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen „Unterkunft und ein sicheres Leben“ gewähren. Organisator ist die Aktion „Seebrücke – schafft sichere Häfen“, eine Ende Juni 2018 gegründete und, wie sie sich selbst beschreibt, „dezentral organisierte, internationale, zivilgesellschaftliche Bewegung, die sich gegen die europäische Abschottungspolitik sowie insbesondere gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung im Mittelmeer richtet“.

Die Leine-Metropole hatte sich lange gewehrt, diese Verpflichtung einzugehen, da Abgeordnete der AfD, der  CDU und FDP, aber auch der SPD die Sorge hatten, hierdurch Menschen in Syrien und den angrenzenden Staaten einen Anreiz zu geben, nach Deutschland zu „flüchten“. Der Druck wurde jedoch immer größer. So organisierte das Mitglied der Ratsfraktion „Linke und Piraten“ Bruno Adam Wolf, der zugleich Initiator dieses Antrags, Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Niedersachsens und Kapitän der Sea Watch 1 ist, zahlreiche Aktionen, so vom 6. bis 7. Februar eine 24stündige Mahnwache in der Marktkirche in der Altstadt Hannovers. 

 CDU in Hannover machte sich für „Seebrücke“ stark  

Marktkirchen-Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann, so die Neue Presse, habe dabei betont, daß man mit der Mahnwache ein Zeichen setzen wolle, daß es „uns nicht gleichgültig ist, was passiert“. Zudem habe sie daran erinnert, daß die Wache eine ganz alte liturgische, zugleich aber auch eine politische Form sei.

Mit dieser Aktion, die die Marktkirche als Gastgeberin zusammen mit  „Seebrücke“, dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat, dem Evangelischen Flüchtlingsnetzwerk Hannover-Garbsen-Seelze, der Katholischen Kirche im Zentrum, Amnesty International und dem Afrikanischen Dachverband Niedersachsen (ADV) organisierte, habe sich die Pastorin „aufs politische Parkett“ begeben, so das Fazit der Neuen Presse. 

Nach insgesamt sechs Monaten und sechs Änderungen des ursprünglichen Antrags stimmte nun der von einer Ampel-Koalition, bestehend aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP, geführte Rat der Stadt Hannover zu und erklärte die niedersächsische Landeshauptstadt zur „sicheren Stadt“. Hannover sei auch „weiterhin bereit, Geflüchteten Obdach und Hilfe zu gewähren“, heißt es in dem Beschluß. Vor allem die Grünen hatten auf diese Formulierung gedrungen. 

Auch die CDU-Fraktion hatte signalisiert, daß Hannover die Initiative „Seebrücke“ unterstützen, sich als „sicheren Hafen“ deklarieren und damit die Bereitschaft signalisieren müsse, „geflüchteten Menschen in Seenot“ zu helfen. Die Region Hannover habe diesen „löblichen Schritt“ bereits unternommen. Ensprechend dürfe die Landeshauptstadt sich „hier nicht verstecken“. Lediglich die AfD-Fraktion bezeichnete es als „verantwortungslos“, ein „humanitäres Zeichen“ zu setzen, ohne dabei die mittel- und langfristigen Folgen zu bedenken. 

Piraten-Politiker Wolf dagegen jubelte: „Was lange währt, wird endlich gut.“ Zumindest im Rahmen der Möglichkeiten, die man in den Verhandlungen mit dem Ampel-Bündnis habe nutzen können. „Dank der Piratenpartei“ sei Hannover nun „sicherer Hafen“. 

Die „Seebrücke“ ist nach eigenen Angaben eine „internationale Bewegung, getragen von verschiedenen Bündnissen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft“. Sie fordert „von der deutschen und europäischen Politik sofort sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme der Menschen, die fliehen mußten oder noch auf der Flucht sind – kurz: Weg von Abschiebung und Abschottung und hin zu Bewegungsfreiheit für alle Menschen.“ Gegründet hat sich die Bewegung angeblich „spontan“ Ende Juni 2018, als das Schlepperschiff „Lifeline“ mit 234 Menschen an Bord tagelang auf hoher See ausharren mußte und in keinem europäischen Hafen anlegen konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits mehrere Städte und Länder angeboten, diese Menschen aufzunehmen.

 Doch statt, wie es auf der Homepage heißt, die „Solidarität innerhalb der Bevölkerung anzuerkennen, nutzen europäische Politiker*innen wie Seehofer, Salvini und Kurz die Not der Menschen aus, um ihre eigenen Machtkämpfe auszutragen. Sie treten damit internationale Menschenrechte mit Füßen. Das ist unerträglich und widerwärtig.“

Aus „Empörung über diesen Zustand“ hätten sich Personen, die seit Jahren ehren- und hauptamtlich in der Flüchtlingshilfe arbeiten, in einer Messenger-Gruppe organisiert. Daraus sei innerhalb weniger Tage die Bewegung „Seebrücke“ erwachsen, der sich deutschlandweit viele Menschen angeschlossen hätten. Über 150.000 Menschen haben sich den Angaben zufolge bislang an den verschiedenen Demonstrationen beteiligt. Die Bewegung kritisiert, daß „aufgrund der Kriminalisierung von Seenotrettung“ derzeit fast keine Schiffe auf dem Mittelmeer seien. Damit werde das Sterben von Menschen von „Politiker*innen billigend in Kauf genommen“. Die Kernaussage lautet: „Wir wollen nicht weniger Rettung, sondern viel, viel mehr!“

Unterstützt werden sie dabei von einem Netzwerk von knapp 80 Organisationen und Projekten: darunter die „Seenotretter“ Sea-Eye und Sea-Watch, der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BDA), die Interventionistische Linken (IL), das Kampagnen-Netzwerk Campact, die Aktion Deutschland Hilft, der einschlägige Chaos Computer Club Berlin, der Förderverein Pro Asyl, Medico International, die Naturfreundejugend, pax christi, SOS Mediterranee Deutschland oder Refugees Welcome International. Finanziell gefördert wurde das Projekt „Seebrücke“ durch die in Verden bei Bremen ansässige Bewegungsstiftung („Förderung sozialer Bewegungen, die sich für Ökologie, Frieden und Menschenrechte einsetzen“) mit 15.000 Euro Eilförderung.

Träger des Projekts: Ein kleiner Verein in Berlin 

Träger der Seebrücke ist der eingetragene Verein „Mensch Mensch Mensch“, der sich der „Förderung der Hilfe für Flüchtlinge“ und der „Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens“ verpflichtet fühlt. Dieser Verein im Berliner Stadtteil Wedding fungiert nicht nur als Träger der „Seebrücke“. Auch Projekte wie „Flüchtlinge Willkommen“, „Refugees Welcome International“, „Search Racism. Find truth“ oder „Fakten gegen rechts“ laufen hier zusammen. 

Die finanzielle Basis ist breit gefächert. 2017 überwies das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 5.000 Euro. Doch laut Tätigkeitsbericht 2017 finanziert sich „Mensch Mensch Mensch“ in erster Linie durch Spenden. Über die Internet-Spendenplattform betterplace.com., deren Portal „zusammen-für-flüchtlinge.de“ im Januar 2016 vom damaligen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) mit 450.000 Euro Fördermitteln geadelt wurde (JF 11/18), konnten im Jahr 2017 26.857 Euro für das Projekt „Flüchtlinge Willkommen“ gewonnen werden. Insgesamt seien 96.583 Euro an den Verein gespendet worden.

Doch im Vergleich zum Jahr 2016  seien die Spendeneinnahmen 2017 geringer ausgefallen, betonen die Berliner Netzwerker aus dem Wedding. Den Rückgang der Spenden führen sie zum einem auf das „geringere Interesse“ der medialen Berichterstattung zurück. Zum anderen seien „Menschen auf der Flucht insgesamt weniger in der gesellschaftlichen Debatte thematisiert“ worden. Darüber hinaus merke man, daß das Thema von „Flüchtlinge Willkommen immer schwieriger zu plazieren“ sei. 

Kaum ein Tag ohne Flashmob und Protest 

Doch durch die Rücklagen in Höhe von 125.720 Euro aus 2016 konnte der Rückgang der Spenden 2017 gut ausgeglichen werden. Auch habe die „Startnext-Crowdfunding“-Kampagne „Flüchtlinge Willkommen – WG-Leben auf Augenhöhe“, beim von der Hertie-Stiftung ausgelobten Deutschen Integrations-Preis, 17.356 Euro eingebracht. Ganz nebenbei freuen sich die Weddinger Netzwerker darüber, daß 2017 ein Teil des Spendenrückganges durch folgende Organisationen ausgeglichen werden konnte: Aktion Mensch, Uno-Flüchtlingshilfe, Pride e.V. und die Hamburger „Stiftung :do“. 

Geld genug, um via Internet, Facebook und Twitter zu einer bundesweiten Aktionswoche unter dem Namen „#FreeTheShips“ aufzurufen. Dabei sollte mit Aktionen, Flashmobs und „kreativem Protest“ nicht nur Druck auf die Regierungen von Italien, Spanien und Malta ausgeübt werden, die „oftmals mit fadenscheinigen Begründungen festgehaltenen oder beschlagnahmten zivilen Seenotrettungsschiffe umgehend freizugeben“. 

Über die genannte Aktionswoche hinaus vergeht kein Tag, an dem es bundesweit nicht täglich mindestens vier Aktionen der „Seebrücke“ gibt, zum Teil auch mit Beteiligung der Kirchen. So werden etwa noch bis zum 15. März evangelische Gemeinden in der Stadt Dessau und in der Umgebung orangene Rettungswesten an ihre Kirchtürme hängen. 

Die Dessauer Kreisoberpfarrerin Annegret Friedrich-Berenbruch betont: „Das heißt nicht, daß wir gleich Lösungen präsentieren werden. Aber wir wollen uns angesichts der Not der Menschen nicht in unsere Häuser zurückziehen.“ Beginnen soll die Aktion am Sonntag, 3. Februar, in der Dessauer Auferstehungskirche offiziell im Anschluß an den Gottesdienst um 10.30 Uhr. 

 seebruecke.org

 menschmenschmensch.de