© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Pankraz,
Nikolaus Blome und der Meisterbrief

Fast zu Tränen gerührt war Pankraz von einem Essay Nikolaus Blomes, des Politikchefs der Bild-Zeitung,  neulich in seinem Blatt. Es ging um den immer dramatischer werdenden Handwerkermangel in Deutschland. Die alten Handwerksmeister, klagte Blome in bewegten Worten, treten allmählich ab, und sie finden keinen Nachwuchs mehr.  Der Beruf des Handwerkers sterbe hierzulande buchstäblich aus, und das ausgerechnet in einem Land, das einst weltberühmt war (und teilweise sogar noch ist) für die Könnerschaft und den Einfallsreichtum  seiner Handwerker! Es gelte  Alarmstufe eins.

Die von der Handwerkskammer gelieferten Zahlen geben Blome recht. Faktisch kein  Schulabgänger bewirbt sich mehr um eine praktisch-theoretische Fortgänger-Ausbildung zur Erlangung eines handwerklichen Meisterbriefs. Alle wollen nur noch Abitur und danach einen schönen Knopfdruckposten bei Großkonzernen oder irgendwo in der staatlichen Bürokratie. Und das gilt nicht nut für einheimische Schulabgänger, sondern auch für solche mit „Migrationshintergrund“. Kaum haben sie halbwegs Deutsch gelernt, zieht es sie zu „geistigen“ Knopdruckberufen.

Dabei bringt schon jede Stichprobe an den Tag: All das sehnsüchtige Rufen nach fachbegabtem Nachwuchs, der überall so dringend gebraucht werde, bezieht sich zu mindestens neunzig Prozent auf handwerkliche Berufe. Nicht Doktordiplome über politische oder psychologische Themen sind primär gefragt, selbst wenn sie – was ja leider immer seltener vorkommt – nicht plagiiert sind beziehungsweise kein leeres Geschwätz enthalten, sondern Meisterbriefe aus dem Handwerk, die jederzeit durch tätige Praxis direkt belegt werden können,  handle es sich nun um Neuschöpfungen oder solide Reparaturen.


Aber darin liegt eben die Crux. Weder Meisterbriefe noch solide Reparaturen verschaffen noch Renomee und öffentliches Ansehen, sind für den Nachwuchs attraktiv. Was die Reparaturen betrifft, so gelten sie in vielen Kreisen nur noch als Fortschrittshemmer. Man repariert dort nicht mehr, sondern schmeißt stattdessen auf den Müll, besonders gern auf den „ Elektromüll“, den man ins Ausland weiterverkaufen kann. Um mit Brecht zu sprechen: „Weg mit dem Plunder und was Neues hingestellt …“ Man verdient so nicht nur mehr Geld, sondern leistet sogar noch einen Beitrag zur Modernisierung fremder Länder.

Was jedoch den Meisterbrief betrifft, so reicht seine systematische Herabsetzung tief in die Vergangenheit. In der Antike, bei den alten Griechen und Römern, galt Handarbeit insgesamt, weil überwiegend „Körperarbeit“, bekanntlich als eines freien Polisbürgers unwürdig; man überließ sie den Sklaven.

Xenophon, Sokrates-Schüler und hoch angesehener Politiker und Schriftsteller in Athen, drückte die damalige allgemeine Überzeugung treffend aus, indem er in seinem Werk über die Wirtschaft, „Oikonomikós“, notierte: „Die sogenannten handwerklichen Berufe sind verrufen und werden aus gutem Grund in den Städten besonders verachtet. Sie schädigen nämlich die Körper der Arbeiter und Aufseher (…) Auch gewähren die sogenannten handwerklichen Berufe die geringste freie Zeit, sich noch um Freunde oder die Stadt zu kümmern, so daß solche Leute unbrauchbar werden für geselligen Umgang und zur Verteidigung des Vaterlandes. Folglich ist es in einigen Städten, besonders aber in denen, die als kriegstüchtig gelten, auch keinem Bürger erlaubt, in handwerklichen Berufen zu arbeiten.“

 Erst im christlichen Hochmittelalter änderte sich diese Einstellung grundlegend. Von „naturgegebener“ Sklaverei keine Spur mehr, im Gegenteil. In den überall aufblühenden Städten mit ihrer unaufhaltsamen Arbeitsteilung stiegen die Handwerksmeister  zu wichtigen Führungskräften auf. Sie bildeten Gilden mit unterschiedlichen sozialen Rängen (Lehrlinge, Gesellen, zugewanderte Fachleute), erteilten oder verweigerten Arbeitsgenehmigungen, machten den Rittern und Mönchen Konkurrenz.


Zur gleichen Zeit enbrannte freilich ein zäher Kampf um die sogenannte „Gewerbefreiheit“, der sich dann durch die Jahrhunderte hinzog und auch heute noch tobt. Sich neu herausbildende Handwerkerberufe wurden nicht in die Gilden aufgenommen, vulgo: verboten, oder sie entzogen sich von sich aus den Gilden- und  Handwerkskammerzwängen. Der Staat mußte immer wieder eingreifen und von sich aus Berufe legitimieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Bundesrepublik eine fast schrankenlose Gewerbefreiheit nach US-amerikanischem Vorbil eingeführt. 

Sehr interessant indes: Diese Freiheit wurde1953 mit Verabschiedung der „Handwerksordnung“ wieder eingeschränkt. Für 94 handwerkliche Berufe wurde bundesweit ausdrücklich die „Meisterpflicht“ angeordnet.  2004 beschloß der Bundestag eine Novellierung dieser Regelung: die Meisterpflicht soll nun in 53 namentlich aufgeführten Handwerksberufen  als verbindlich gelten. Und auch die übrigen 41 Handwerke behalten den Zwang zum großen Befähigungsnachweis, es sollen aber „Alternativen zum Meisterbrief“ geschaffen werden. Man sieht: Es gibt ein ewiges Auf und Ab; die Unsicherheit regiert.

Wie schrieb Nikolaus Blome in seinem Kommentar für die Bild-Zeitung? „Das Handwerk muß sich attraktiver machen. Und sich zugleich viel mehr um Zugewanderte bemühen. Die Politik kann auch etwas tun: Schule, Lehre, Studium müssen gleichermaßen gefördert werden. Wenn das Studium wie in Deutschland kostenlos ist, die Wege zum Handwerksmeister aber nicht – dann ist das ungerecht.“

Soll das etwa heißen, unsere Schulzimmer müssen sich mit staatlicher Hilfe alle in digitalisierte Räume verwandeln, in denen „Zugewanderte“ selbstverliebt auf ihren Smartphones herumschieben?  Man kann sein Geld besser anlegen, in wirkliche Ausbildung zum Beispiel. Übrigens hat Pankraz nichts dagegen, daß der Weg zum Meisterbrief teurer ist als das Studium. Umso schlimmer für das Studium.