© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

CD-Kritik: Simone Kermes – Händel
Orphische Betroffenheit
Jens Knorr

Da schreibt eine einen – nun ja: sentimentalen – Brief an ihren lieben Händel, nicht um einen Schimmer vom Schein des Großen zu erhaschen, sondern um zu verstehen und verständlich zu machen, daß und warum ihr das Singen seiner Musik eine Sache auf Leben und Tod geworden ist. Die den Brief verfaßt hat, singt ganz und gar nicht sentimental, wohl aber im Sinne Schillers sentimentalisch: Simone Kermes.

Mit Donner und Blitz stoßen Kermes und ihre Banda Amici Veneziani Händels Arien in unser barockes Heute hinein. Die Stimmführung der Kermes ist höchst manieristisch. Da bleibt kein technisches Element über, dem nicht Ausdruck abgerungen worden wäre und Künstlichkeit schlägt in Natürlichkeit um. Ihre Stimme passe perfekt zu Händels Musik, schreibt die Kermes ihrem Wegbereiter, Schutzengel, Idol. Hört man den ungeschützten Entäußerungen eines Innersten nach, wird alle Frage nach biographischen Momenten der Interpretation nichtig, die im Gesang dieser Stimme völlig aufgehoben sind. Sie dringt in die Tiefe des Herzens, als wäre es die Musik selbst, die da singt. Einmal mit dem Klang der Instrumente verschmelzend, ein andermal mit reißfest silberfädigem Piano drüber schwebend, einmal treibend, ein andermal alle Zeit suspendierend, bringt sie fast ohne Vibrato Händels Arien zu erotischer Vibration.

Simone Kermes Mio caro Händel Sony Classical 2019  www.simone-kermes.de