© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Die Beschimpfung des französischen Philosophen Alain Finkielkraut als „Drecksjude“ am Rande einer Demonstration der Gelbwesten hat die üblichen Reflexe ausgelöst: „Gelb wird Braun“. Was die Berichterstattung sorgfältig ignoriert hat, war der Ablauf des Vorgangs, den Finkielkraut selbst klarstellen mußte: „Wir erleben nicht die große Rückkehr der dreißiger Jahre … das ist der islamistische Diskurs in seiner aller extremsten Ausprägung … Das war ein Salafist.“

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Nachdem der interessierte Laie brav gelernt hat, daß es etwas wie eine „Megalithkultur“ nicht gegeben hat, die von „Megalithikern“ geschaffen wurde, die Steinkreise, Menhire und Hünengräber vielmehr dauernd von verschiedenen Leuten an verschiedenen Plätzen aus verschiedenen Motiven neu erfunden wurden, folgt nun die Revision der Revision: die Archäologin Bettina Schulz Paulsson von der Universität Göteborg hat mit einer Gruppe von Wissenschaftlern eine möglichst umfassende Chronologie für die 35.000 Großsteinmonumente erstellt und ist darüber zu dem Schluß gekommen, daß die allmähliche Ausbreitung ab 4500 vor Christus doch für eine Trägergruppe spricht, die ihre Vorstellungen und Symbole auf dem Seeweg in alle Winkel Europas transportierte. Zu allem Überfluß vermuten die Forscher, daß das Licht nicht aus dem Osten, sondern aus dem Nordwesten Europas kam.

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Für mindestens ein Jahrzehnt sollte man auf die Begriffe „Rechtsradikaler“ und „Rechtsextremist“ in analytischen Texten verzichten. Danach sind sie – vielleicht – wieder zu gebrauchen.

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Das Buch des französischen Soziologen und Journalisten Frédéric Martel, das sich mit der Frage befaßt, welche Bedeutung die Homosexualität innerhalb des katholischen Klerus hat, erschien am 21. Februar. Martel, der selbst offen homosexuell lebt, behauptet, mehr als 1.500 einfache Priester und hohe Würdenträger der Kirche, aber auch zivile Angestellte des Vatikan oder der Schweizer Gardisten interviewt zu haben. Als Ergebnis präsentiert er, daß vier von fünf Geistlichen homosexuell sind. Das französische Original trägt den Titel „Sodomia“ und wurde zeitgleich in acht Sprachen publiziert. Deutsch war nicht darunter.

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Tägliche Gymnastik: Achselzucken.

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„Der Liberalismus geht stillschweigend davon aus, daß die materielle Welt unzerstörbar, ja unstörbar ist; ihr Funktionieren als Ganzes muß schließlich der Notwendigkeit menschlicher Planung und Kontrolle entzogen sein, wenn eine marktwirtschaftliche Ökonomie überhaupt möglich sein soll. Unterstellt wird damit letztlich, daß die Reichweite menschlichen Handelns nicht groß genug werden kann, um natürliche Zusammenhänge zu affizieren, oder aber, daß die Natur elastisch genug sein muß, alle diese potentiellen Störungen abzupuffern und somit die materiellen Rahmenbedingungen freiheitlichen wirtschaftlichen Handelns, das den Blick auf Gesamtzusammenhänge bewußt ignorieren kann, immer wieder bereitzustellen.“ (Rolf Peter Sieferle)

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Die Frankfurter Allgemeine kommentierte den Angriff linker Schläger auf Mitglieder der „Jungen Alternative“ unter Hinweis darauf, daß man ersteren einmal einen „antifaschistischen Lehrfilm“ zeigen solle, damit sie derlei zukünftig unterließen. Das bedeutet wohl, daß nun auch im bürgerlichen Leitorgan die linke Lebenslüge geglaubt wird, der gemäß die Antifa nicht nur im Recht, sondern ihre notorische Gewalttätigkeit gar keine ist.

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Zu den unterschätzten Wirkmächten der Weltgeschichte gehört sicher die Eitelkeit, gar nicht zu reden von der verletzten Eitelkeit.

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Bildungsbericht in loser Folge CXX: Reportage über eine Brennpunktschule vor den Toren Hannovers. Gezeigt wird der Unterrichtsbeginn in einer Klasse (die Gesichter der Schüler sicherheitshalber unkenntlich gemacht). Die Lehrerin schreibt irgendetwas an die Tafel, dazu das Grundrauschen der Schülergespräche. Dann öffnet sich die Tür, eine Halbwüchsige kommt herein, kommentarlos, dann ein ganzer Trupp. Man murmelt kaum verständlich irgendeine Entschuldigung („die Bahn war zu spät und so …“). Die Lehrerin nimmt das resigniert zur Kenntnis, wendet sich der Klasse zu, die deshalb das Gerede aber nicht einstellt, nicht einmal die Lautstärke dämpft. Wie im weiteren Verlauf deutlich wird, ist die Dame gleichzeitig die Schulleiterin. Auf die Frage des Journalisten, wie es mit dem Leistungsvermögen der Jugendlichen aussehe, sagt sie rasch: „Aber nein, um Leistung geht es hier doch nicht.“ Auf die Frage, wie man die Situation an der Schule verbessern könne, folgt der Wunsch nach mehr Sozialarbeitern und größerer Bereitschaft des Kollegiums, die Schüler zu Hause aufzusuchen und ihnen dort in ihren problematischen Verhältnissen zu helfen.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 15. März in der JF-Ausgabe 12/19.