© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/19 / 01. März 2019

Unterschätzte Außenseiterin
Machtkonzentration im Kanzleramt
Dirk Glaser

Die Berliner wird nicht wie die Weimarer Republik durch Kräfte bedroht, die von den extremen Rändern des politischen Spektrums her angreifen. Die Gefahr für die Demokratie wächst vielmehr im Zentrum des Parteienstaats, dem Herrschaftsapparat heran. Von einem „Staatsstreich von oben“ haben Juristen wie der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier oder  der Münchner Staatsrechtler und Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz angesichts der während der „Flüchtlingskrise“ zutage getretenen, heute keineswegs beendeten „Herrschaft des Unrechts“ (Ulrich Vosgerau) gesprochen. 

Für den karrierebewußt leise Töne liebenden Würzburger Staatsrechtler Florian Meinel, der soeben eine Streitschrift zur „Krise des heutigen Parlamentarismus“ vorlegt  (C. H. Beck), gehen diese Warnungen nicht an die Wurzeln des Übels. In seinem jüngsten Essay (Merkur 837/2019) über „Die Republik der Außenseiterin“ vertritt er daher die Ansicht, daß die Erschütterungen des bundesdeutschen Systems nicht erst auf Angela Merkels selbstherrliche Öffnung der deutschen Grenzen zurückgehen. Vielmehr habe diese ohne Machtbasis in der CDU und in den Ländern agierende „Außenseiterin“ im Bundeskanzleramt „fundamentale Veränderungen der Verfassungslage“ lange vor dem fatalen Sommer 2015 ins Werk gesetzt. Insoweit tritt Meinel dem Befund des Politikwissenschaftlers Philip Manow bei: „Merkel hat die Republik nicht nur verwaltet. Sie hat die Regeln der alten BRD kontrolliert gesprengt.“ 

Tatsächlich füllen die in ihrer  Amtszeit früh anhebenden Klagen über ihren „‘undemokratischen’ Regierungsstil“ im Zeichen der „Alternativlosigkeit“ inzwischen Bände. Daß der „Technokratin“ Merkel dabei zunächst der Zeitgeist zugute kam, dem nach Gerhard Schröders robuster Interpretation der Richtlinienkompetenz („Basta-Politik“) ihre konsequente Entpolitisierung der Politik gefiel, führt Meinel jedoch schuldmildernd an. Für die „hochgradig kontingenten, disruptiven Politikwechsel“ in ihrem zweiten, schwarz-gelben Kabinett bei Wehrpflicht, Atomausstieg, Euro-Rettung und Masseneinwanderung gelte das nicht. Hier seien nicht mehr sanft technokratische Planungen umgesetzt, sondern unter Berufung auf den Sachzwang „fundamentale politische Entscheidungen“ exekutiert worden.

Mit der Folge der Ausschaltung des Parlaments. Dazu benötigte Merkel nicht einmal ein Ermächtigungsgesetz. Es genügte die „Unitarisierung der Regierungsorganisation“, die „dauernde Aufgabenverlagerung ins Bundeskanzleramt“.