© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Die Kampagnen-Maschine
Politik und Soziale Medien: Erfolgreiche Wahlkämpfe benötigen heutzutage ausgeklügelte Strategien im Netz
Boris T. Kaiser

Die Evolution des Internets hat den Prozeß der politischen Willensbildung extrem verändert. Dem Unternehmer und Bürgermeister von San Salvador, Nayib Bukele, gelang es, durch intensive Nutzung der Sozialen Netzwerke sich eine junge Anhängerschaft aufzubauen, die so groß war, daß er nur drei Monate nach Bekanntgabe seiner Kandidatur zum Präsidenten von El Salvador gewählt wurde. Mit 53 Prozent ließ der 37jährige mit den palästinensischen Wurzeln, der sich auf Instagram gern in Jeans und Lederjacke präsentiert, nicht nur seine beiden Konkurrenten, den Nationalisten Carlos Calleja und den Linkspolitiker Hugo Martínez, deutlich hinter sich. Er erklärte, mit der Bekanntgabe seines Wahlsieges via Facebook, auch gleich noch das im Land seit 27 Jahren etablierte Zweiparteiensystem für nichtig.

Spätestens seit Barack Obamas erstem Präsidentschaftswahlkampf kommt keine politische Kampagne mehr ohne gezielte Bespielung der Sozialen Medien aus. War er wenige Jahre vor seiner Wahl zum Präsidenten noch weitgehend unbekannt, wurde der auf Hawaii geborene Politiker dank Twitter innerhalb kürzester Zeit zum absoluten Superstar seiner Partei. Daß er damit nicht nur zu einer Art Vorbild für jemanden wie Bukele, sondern auch zur Initialzündung für die „Make-America-Great-Again“-Kampagne seines Nachfolgers Donald Trump wurde, konnte damals noch keiner voraussehen.

Der neue Politiker-Typus setzt auf den direkten Draht zum Volk. Trump macht seine Unterstützer vom einfachen Arbeiter bis hin zum Verschwörungstheoretiker auf YouTube via Internet zu regelrechten Partnern seiner Kampagnen. Bereits 2015 gab er dem umstrittenen alternativen Medienunternehmer Alex Jones ein Interview für dessen Internet-Portal infowars.com. Zwar erntete Trump für den Auftritt bei dem bekennenden Populisten viel Kritik, er erreichte aber auch Wähler, die für die Vertreter der etablierten Politik längst verloren schienen.

Wohlüberlegte Tabubrüche sorgen für mehr Reichweite

Mehr und mehr versammelte sich hinter dem selbsternannten Anti-Establishment-Politiker eine wahre Armada sehr aktiver Internetjünger. Diese rührten im Wahlkampf gratis für ihn die Werbetrommel – mit unterhaltsamen Memes, GIFs, selbstproduzierten Musikclips, Youtube-Videos und anderen modernen Kommunikationsmitteln. Die meisten dieser Online-Aktivisten halten ihrem Präsidenten bis heute die Treue und werden von ihm dabei vor allem auf Twitter nahezu täglich neu angefeuert.

In Deutschland ist es die AfD, die am stärksten auf das „MAGA-Prinzip“ im politischen Meinungswettbewerb setzt. Mit emotionalen Bildern und griffigen Parolen liegt sie in den Facebook-Reichweiten-Statistiken immer wieder weit vorne. Eine der ersten großen Online-Kampagnen, die der Partei größere Aufmerksamkeit bescherte, kam aus den Reihen ihrer Jugendorganisation. Unter dem Motto „Ich bin keine Feministin, weil…“ posteten Aktivisten der Jungen Alternative 2014 auf Facebook Fotos von sich, auf denen sie ein beschriftetes Blatt Papier in die Kamera hielten, mit dem sie sich vom Feminismus distanzierten.

Mit Parolen wie „Ich bin keine Feministin, weil ich meine Ziele durch Leistung erreichen werde und durch keine Quote!“ oder „Ich bin keine Feministin, weil jede Frau selbst entscheiden kann, ob sie Hausfrau wird“ stellten sich die meist jungen Frauen bewußt provokant gegen den aktuellen Zeitgeist. Die empörten Reaktionen aus Politik und Medien ließen nicht lange auf sich warten.

Moderne Politstrategen verwenden für die Taktik, die solchen Kampagnen zugrunde liegt, den Begriff des „Triggerns“. Ziel ist es, durch wohlüberlegte Tabubrüche beim politischen Gegner die „richtigen Knöpfe zu drücken“ und so maximale Empörung auszulösen. Dieser wird einem dann, so das Kalkül, durch seine emotionale und überzogene Reaktion gerade die Aufmerksamkeit verschaffen, die er einem eigentlich nicht geben wollte. So erhöht sich nicht nur die Reichweite der eigenen Botschaft, man schafft auch einen Solidarisierungs-Effekt bei dem Teil der Bevölkerung, der einem innerlich zustimmt.

Viele Beobachter glauben, daß es vor allem auch die großangelegten Kampagnen in den sozialen Netzwerken waren, die für den Ausgang des Referendums über den Austritt Großbritanniens aus der EU ausschlaggebend waren. Kritiker werfen den Brexit-Befürwortern hierbei unlautere Mittel vor. Mit über das Internet verbreiteten „Fake News“ und bewußten Tatsachenverdrehungen hätten sie die Bevölkerung gezielt getäuscht und in die Irre geführt. Hierfür sollen unter anderem sogenannte „Dark Ads“ auf Facebook verwendet worden sein. Die auf „Microtargeting“ basierenden „dunklen“ oder „geheimen“ Werbe-Anzeigen sind nicht für alle Nutzer, sondern nur für eine zuvor genau festgelegte Zielgruppe zu sehen. Kritik und Widerspruch wird so weitgehend ausgeschlossen. Dafür sollen sogenannte „Sockenpuppen“, also botgesteuerte Fake-Accounts oder Zweit-Profile von Aktivisten die Netzdebatten im Sinne der Brexit-Befürworter beeinflußt haben. Vor allem der Kreml und seine „Agentur für Internet-Forschung“ stehen immer wieder im Verdacht der versuchten Einflußnahme auf die Politik in Europa und den USA. Twitter enttarnte und löschte in seinem Kampf gegen Fake-Accounts bereits Zehntausende Trollprofile, die in Verbindung mit Putins Propaganda-Agentur in St. Petersburg gestanden haben sollen.

Auch gezielte Nutzer-Analysen helfen den modernen Meinungsmachern bei ihrer Arbeit. Die Debatte darüber, inwieweit es legitim ist, dafür, wie im Konsumentenmarketing seit langem üblich, gekaufte Daten zu verwenden, ist noch nicht entschieden. Insbesondere die Frage, inwieweit der Bürger der Verwendung seiner Daten zu diesem Zwecke zustimmen muß oder ihr, über die Nutzerbedingungen von Facebook und anderen Sozialen Netzwerken, bereits zugestimmt hat, sorgt noch immer für heftige Diskussionen, nicht nur unter Juristen und Internetexperten.

Als einer der Hauptanbieter solcher Datensätze ist in der Vergangenheit immer wieder das Datenanalyse-Unternehmen „Cambridge Analytica“ prominent in Erscheinung getreten. Facebook droht derzeit ein Bußgeld in Milliardenhöhe – wegen Weitergabe der Daten von 87 Millionen Nutzern an die inzwischen aufgelöste britische Beratungsfirma mit Sitz in New York.

Unerwünschte Personen aus dem Internet verbannt 

Der Einfluß auf die Massen, der mit der Breitenwirkung des Internets einhergeht, ist auch jenen bewußt, die darüber entscheiden, wem diese Breitenwirkung zur Verfügung gestellt wird und wem nicht. Der Verschwörungstheoretiker und Trump-Unterstützer Alex Jones ist mittlerweile von fast allen Sozialen Netzwerken, einschließlich des Videoportals Youtube, ausgeschlossen. „Deplatforming“ nennt sich die Maßnahme, bei der Personen oder Organisationen von Internetplattformen verbannt werden, weil man ihnen nicht länger ein Sprachrohr bieten will. In der Regel berufen sich die Anbieter bei der Löschung solcher Accounts auf ihre, nach Expertenmeinung oft schwammig formulierten, Nutzerbedingungen. Auf Facebook und Instagram sind unter anderem die Identitäre Bewegung und deren Symbol, ein gelbes Lambda, seit Frühjahr 2018 offiziell unerwünscht.

Meist geht einer solchen Totalsperrung, die sogar den Verlust von heute so wichtigen Bezahldiensten wie Paypal beinhalten kann, ein „Shitstorm“ voraus. Also eine größere, mitunter kampagnenartig gesteuerte Empörungswelle, bei der User geschlossen gegen eine in ihren Augen politisch inkorrekte Äußerung, Person oder Organisation Sturm laufen. In der Regel unter einem extra zu diesem Zwecke geschaffenen Hashtag.

Ein solcher Shitstorm kann nicht nur Parteien oder politische Meinungsmacher treffen. Auch eigentlich unpolitische Unternehmen können ins Visier von politisch motivierten Online-Kampagnen geraten. Manchmal liefern die Firmen das Schlagwort hierfür gleich selbst. So wie der Discounter Lidl, der seine Bagels und Donuts Anfang Februar mit einem Bild auf Instagram unter dem Hashtag „Loch ist Loch“ beworben hatte und damit Feministinnen gegen sich aufbrachte.

Die Macht des Shitstorms ist so groß, daß es sogar immer wieder Versuche gibt, einen solchen zur Not künstlich herbeizuführen, indem man unter „falscher Flagge“ möglichst radikale Äußerungen im Namen eines politischen Mitbewerbers veröffentlicht. Im Rahmen der sogenannten „Silberstein-Affäre“ wurde im österreichischen Wahlkampf 2017 vorwiegend auf Facebook und unter falscher Urheberschaft „Dirty Campaigning“ gegen den späteren ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz betrieben. Die Schmutzkampagne wurde zunächst der FPÖ zugerechnet. Später stellte sich heraus, daß das Wahlkampfteam um den für die SPÖ tätigen Politberater Tal Silberstein dahintersteckte.

Daß selbst die ausgeklügeltsten Internetkampagnen alleine auf Dauer keinen Erfolg garantieren, beweist das Beispiel der Piratenpartei. Gehörte die politische Bewegung noch vor wenigen Jahren zu den Shootingstars des Parlamentarismus, ist sie inzwischen bereits wieder weitgehend von der Bildfläche verschwunden. Die von den „Piraten“ erstmals gewichtig auf die politische Agenda gesetzten Themen wie Informationsfreiheit, Transparenz und Datenschutz sowie schnelles Internet sind dagegen präsenter denn je.