© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Grüße aus Buenos Aires
Ästhetische Selbstzerstörung
Jörg Sobolewski

Diese Stadt lebt im Rhythmus des Tango Argentino. Sogar am Tag scheint das geschäftige Treiben ein wenig in ihm zu pulsieren, aber spätestens in den Nächten gibt es kein Entkommen mehr.

Dann zaubert der Tango, der aus den vielen kleinen Bars und Restaurants erklingt, eine ganz besondere Atmosphäre, und es wird auf den Straßen und Plazas eng umschlungen der Passion vieler Argentinier nachgegangen.

Die tanzenden Paare verschmelzen im warmen Licht der Laternen scheinbar zu einem einzigen Wesen, dessen Schatten sich nach geheimen Gesetzen verbiegen und verwandeln. Dabei führt stets der Mann – etwas anderes käme gar nicht in Frage.

Das mußten nun auch einige europäische Touristinnen aus den Niederlanden und Schweden erleben, die eines Abends etwas unbeholfen im gleichen Hostel standen. Ich war gerade auf der Durchreise und genoß für ein paar Tage die Lebensfreude der Argentinier. Welch ein Gegensatz waren da die Europäerinnen, die mehr schlecht als recht zu der Unterkunft gefunden hatten und so gar keine Lockerheit zu besitzen schienen.

Gerade hier wirkten ihre Kapuzenpullover und flachen Sneakers wie verkleidet.

Nach Einbruch der Dunkelheit traf ich die vier im Barrio San Telmo in einer Bar wieder. Die vier blonden Mädchen mit ihrer hellen Haut fielen auf in der Menge der beinah durchgehend dunkelhaarigen Argentinier. Allerdings stach nicht nur ihre Haarfarbe wie ein Leuchtturm hervor: Gerade hier in Buenos Aires, wo sich Frauen aller Altersgruppen betont elegant und weiblich kleiden, wirkten ihre Kapuzenpullover und flachen Sneakers wie verkleidet.

Immer wenn das Akkordeon für einige Minuten unterbrach, schnappte ich ein paar Wortfetzen auf, sie fühlten sich unwohl – kein Wunder dachte ich bei mir und sinnierte einige Minuten über die ästhetische Selbstzerstörung der nordeuropäischen Weiblichkeit nach.

Mit fortschreitendem Abend jedoch drang auch in das emanzipierteste Frauenherz der Charme dieser Metropole am Río de la Plata, und eine nach der anderen ließen sich die vier Eisköniginnen aus dem kalten Norden zum Tanze auffordern.

Bald drehten sie sich, etwas hüftsteif, aber nicht minder begeistert im Arm eleganter Herren durch die laue Sommernacht. Ob sie sich dabei wohl haben führen lassen? Na sicher – die Herren ließen sich nicht aus der Ruhe bringen.