© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Die Nase ist eine Viertelstunde früher da
Literaturgeschichte: Vor 400 Jahren wurde der französische Schriftsteller Cyrano de Bergerac geboren
Alain de Benoist

Wer würde sich heute an Cyrano de Bergerac erinnern, gäbe es nicht das gleichnamige romantische Schauspiel von Edmond Rostand, das bei seiner ersten Aufführung am 28. Dezember 1897 in Paris sofort erfolgreich war und nach wie vor das in Frankreich und weltweit am meisten gespielte französische Theaterstück ist? Cyrano von Bergerac, von dem es ebenfalls ein gutes Dutzend Verfilmungen gibt, ist eine Art Hymne an die heroische Eleganz – in Frankreich auch als „Panache“ (etwa: Schneid) bezeichnet –, die mit ihren Momenten der Bravour (die berühmte „Nasentirade“: „Denn beim letzten Verse stech ich“!) eine Figur geschaffen hat, welche wie Hamlet oder Don Quichotte ein wirklicher Mythos geworden ist.

Wer war aber nun der „wirkliche“ Cyrano von Bergerac? Über sein Leben ist nur wenig bekannt. Sicher ist, daß er im Gegensatz zu der Legende, der zufolge er aus Bergerac im Périgord kommt, nicht aus der Gascogne stammte. Das Wort Bergerac, das er ab 1638 in seinem Namen verwendete, bezog sich vielmehr auf ein kleines Stück Land, das seine Familie im Tal von Chevreuse unweit von Versailles besaß.

Glaubensbekenntnis als Freidenker

1619 als Sohn eines Parlamentsanwalts in Paris geboren, führte Savinien de Cyrano de Bergerac in seiner Jugend zunächst ein Bohemeleben, wobei er sich zahlreiche Freuden gönnte. So hielt er sich fleißig in den Nachtlokalen, an den Spieltischen und in den Bordellen der Hauptstadt auf, hatte viele Frauengeschichten (obwohl man ihm auch homosexuelle Beziehungen nachsagte) und führte vor allem Duelle, von denen er schwärmte und die er fast immer gewann, so daß er hohes Ansehen erwarb. Deshalb wandte er sich dem Soldatenhandwerk zu und trat im Alter von 20 Jahren als Kadett in die berühmte Gardekompanie ein. Durch seinen Mut verdiente er sich dort bald den Spitznamen „Dämon der Bravour“. Insbesondere beteiligte er sich an Kämpfen zwischen Franzosen und Spaniern im Dreißigjährigen Krieg. Zweimal wurde er dabei verwundet: bei der Belagerung von Mouzon 1639 (mit „einem Musketenschuß durch den Körper“) und dann bei der Belagerung von Arras im darauffolgenden Jahr (durch einen „Schwerthieb in den Hals“). Nach Paris kehrte er 1641 zurück und begann dort, bei dem Astronomen, katholischen Kanoniker und dennoch freidenkerischen Philosophen Pierre Gassendi Unterricht zu nehmen.

Ab 1645 betätigte er sich schriftstellerisch, aber es gelang ihm nicht, von seinen Werken zu leben. Auf der Suche nach einem Mäzen trat er 1652 in den Dienst des Herzogs von Arpajon, ehemals außerordentlicher Botschafter beim König von Polen. Er schrieb sodann die Komödie „Le pédant joué“ (Der getäuschte Pedant, 1645), die Molière bei den „Fourberies de Scapin“ (Scapins Streiche) beeinflussen sollte, sowie eine Tragödie unter dem Titel „La mort d’Agrippine“ (Der Tod der Agrippina), die 1653 im Theater des Hotels von Bourgogne uraufgeführt wurde.

In dem Stück inszenierte er eine gegen den Kaiser Tiberius gerichtete Verschwörung. Bei dieser Gelegenheit gab Cyrano auch sein Glaubensbekenntnis als Freidenker ab und entwickelte seine Kritik an religiösen Dogmen. Sein Sprecher war dabei Séjanus, Minister und Günstling von Tiberius, der zahlreiche Erwiderungen in der Art von Machiavelli abgab und sich mit „diesen Göttern, die der Mensch gemacht hat, aber die keinesfalls den Menschen gemacht haben“, anlegte. Wie zu erwarten war, erregte das Stück großen Aufruhr und wurde nach nur wenigen Vorstellungen verboten.

Autor von zwei Science-fiction-Romanen

Cyrano schrieb ebenfalls zwei utopische Romane, „Les Etats et empires de la Lune“ (Die Staaten und Reiche des Mondes, 1649) und „Les Etats et empires du Soleil“ (Die Staaten und Reiche der Sonne, 1652), die zu den ersten Werken dieses heute als Science-fiction bezeichneten Genres gehören. Dabei „erfand“ er insbesondere die Stufenrakete und das Grammophon. Keiner dieser Romane sollte jedoch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht werden, zumal sie als Bedrohung für die bestehende Gesellschaftsordnung und die Verfechter der Religion verstanden werden konnten.

In der Tat äußert Cyrano von Bergerac hier in Gestalt eines Reisenden  – beide Bücher sind in der ersten Person geschrieben – und in einem burlesken Stil mit viel Humor und Ironie seine freidenkerische und atheistische Weltanschauung, die auf einem stark relativistisch eingefärbten Materialismus beruht. Cyrano kritisiert sowohl die sozialen Ungerechtigkeiten, als auch die herkömmliche, aristotelisch inspirierte Physik, den Geozentrismus und die anthropozentrische Auffassung der Schöpfung, was ihm wohl keine Sympathien einbringt! 

Der echte Cyrano starb am 28. Juli 1655 im Alter von nur 36 Jahren an den Folgen einer Verletzung durch einen Holzbalken, der  ihm auf den Kopf gefallen war, ohne daß man je erfahren hat, ob es sich um einen Unfall oder einen Mordversuch handelte.

Und die Nase von Cyrano, die fast so viel von sich hat reden machen wie die von Kleopatra? Sie gab es vielleicht wirklich, wenn man einer Passage in „Meniagiana“ (1694) Glauben schenkt, nach der „seine Nase, die ganz unförmig war, ihn mehr als zehn Menschen töten ließ. Er konnte es nicht ausstehen, daß man ihn ansah, sondern ergriff dann sofort das Schwert.“ Aber das ist vielleicht schon eine Legende. Im „Getäuschten Pedanten“ schreibt Cyrano demgegenüber zu einer seiner Figuren, dem Professor Granger: „Für seine Nase verdient er wohl eine besondere Schramme. Dieser echte Zinken trifft überall eine Viertelstunde vor seinem Träger ein; zehn ansehnlich runde Schuster können darunter vor Regen geschützt arbeiten“!

Man hat Savinien de Cyrano de Bergerac zu einem Erben von Montaigne und Rabelais, einem Vorläufer von Voltaire und Beaumarchais sowie auch von Rimbaud und Alfred Jarry erklärt. Aber diese Etiketten werden ihm kaum gerecht. „Es gibt viele Menschen“, schrieb er, „deren Redegewandtheit nur daher rührt, daß sie nicht den Mund halten können.“