© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Zeitungsverlage ringen um die Zukunft
Deutsche Medienhäuser setzen auf Digitalisierung und neue Geschäftsfelder
Gil Barkei

Seit Jahren verlieren die meisten Zeitungen an verkaufter Druckauflage (JF 5/19). Große wie kleine Medienhäuser versuchen auf verschiedenen Wegen die Verluste digital, aber auch über neuartige Geschäftsfelder zu kompensieren.

Für Aufregung sorgte die Meldung, DuMont wolle sich von seinem Zeitungsgeschäft komplett trennen. Betroffen wären neben Druckereien und Anzeigenblättern alle Regionalzeitungen, unter anderem der Kölner Stadt-Anzeiger, die Berliner Zeitung, die Mitteldeutsche Zeitung und die Hamburger Morgenpost. Insgesamt haben die DuMont-Blätter in den vergangen zehn Jahren 44 Prozent an Auflage verloren. Das Kölner Familienunternehmen spricht lediglich von „einer Überprüfung der Strategie“, betont aber, daß nichts entschieden sei. In seinem Programm „Perspektive Wachstum“ hatte der Traditionsverlag Anfang des Jahres Bezahlinhalte, strategische Allianzen und weitere Digitalisierungen als nächste Ziele genannt. Sollte ein Verkauf ge-

lingen, blieben nur noch die Publikationsfelder „Marketing Technology“ und „Business Information“ übrig. Kenner des Zeitungsgeschäfts spekulieren über eine Bündelung der Boulevardtitel oder eine vertiefte Partnerschaft mit der Madsack-Mediengruppe. „Der Markt ist in Bewegung“, zitiert Meedia einen Insider. Viele in der Branche rechnen mit einer ganzen Reihe von Einstellungen und Übernahmen in den kommenden Monaten.

Gezielte Verbindung mit Bewegtbildern

Die Dynamik werde „eher größer als kleiner“, stellte Welt-Chef Ulf Poschardt bereits zu Jahresbeginn im Interview mit dem Branchendienst turi2 fest. Die Zukunft sieht Poschardt in der noch intensiveren trimedialen Synthese von Print, Online und TV, die Springer alle im eigenen Haus ohne Fremdquellen produzieren könne. Für die Welt sei das bereits Alltag, und er umreißt ein Beispiel: „Robin Alexander weiß, daß es eine Kampfabstimmung über den Fraktionsvorsitzenden in der Union gibt, dann haben wir das ganz schnell als Eilmeldung auf der Homepage. Robin kündigt an, daß er dazu eine Reportage schreiben wird. Die werden wir, sobald sie fertig ist, online hinter der Bezahlschranke anbieten. Dann wird sie für unsere Editionsleser ab 19 Uhr auf  der iPad-Digitalzeitung zu lesen sein. Wir machen ab, daß Robin am morgen im Fernsehstudio sitzt und nochmal eingehend erzählt, was in Reaktion auf seine Geschichte seitdem passiert ist. Die drei wichtigsten Sachen klippen wir aus und geben das als Bewegtbild in seine Reportage rein oder bringen das nochmal online im Free-Bereich.“ 

Die sozialen Medien verweisen begleitend auf die einzelnen Angebote, wobei der Kommentardialog mit den Lesern langfristig auf die eigenen Netzseiten geholt werden soll. In dem derzeit entstehenden Verlagsneubau sollen Zeitungs­redaktion und Welt-Fernsehsender zusammengeführt und Print-Reporter künftig öfter von Fernsehteams begleitet werden.

Geht es nach Springer-Chef Mathias Döpfner wird auch Bild „in zehn Jahren ein Fernsehsender“ sowie ein „Produkt des geschriebenen Wortes“ und der „Audioangebote“ sein. Das Ziel: weltweit führender Digitalverlag innerhalb eines Jahrzehnts. Schon heute gehört Springer mit seinen Internetangeboten wie immowelt.de oder meinestadt.de, die mit klassischem Journalismus wenig zu tun haben, zu den Weltmarktführern der digitalen Kleinanzeigen-Plattformen. Für Druckprodukte sieht Döpfner dagegen insgesamt kein wachsendes Geschäft mehr.

Amerikanische Zeitschriften sind bei der Umstellung auf die Digitalisierung bereits voraus. Das Wirtschaftsmagazin Forbes macht laut Chefredakteur und Verleger Steve Forbes schon heute 85 Prozent seiner Einnahmen online. 

Die taz plant ab 2022 komplett auf die gedruckte Tagesausgabe zu verzichten (JF 35/18). Dafür rechnen die Verantwortlichen unter Geschäftsführer Kalle Ruch in ihrem 20.20.20-Plan mit einem Anstieg der E-Paper- und App-Abos von 6.241 auf 20.000 und der freiwilligen „zahl-ich“-Unterstützer von 10.006 auf ebenfalls 20.000. Das Kombi-Abonnement aus E-Paper und der übrigbleibenden Print-Wochenendausgabe soll von 1.738 auf 20.000 steigen. 

Die Funke-Mediengruppe verfolgt ebenfalls ein 2022-Zukunftsprogramm – nicht ohne Protest aus den eigenen Reihen. Denn während die digitalen Bezahlmodelle ausgebaut werden, fallen die Westfalenpost-Ausgabe in Warstein, die Kompaktausgabe der Berliner Morgenpost sowie 22 Redakteursstellen der Berliner Zentralredaktion, 14 bei der WAZ und die Hälfte der Volontäre dem Rotstift zum Opfer. Sogar eine komplette Umstellung auf ein ausschließlich digitales Angebot der Thüringer Allgemeinen, Ostthüringer Zeitung und Thüringischen Landeszeitung werde geprüft.

Dabei verfolgen einige (regionale) Zeitungen parallel zur Digitalisierung durchaus auch neue vielversprechende Geschäftsfelder und Möglichkeiten der Lesergewinnung. Und Beteiligung: Die WVW/ORA-Anzeigenblätter (85 Titel im NRW-Kernland) der Funke-Mediengruppe erreichen mit ihrer Plattform lokalkompass.de 2,5 Millionen Seitenbesuche pro Monat. „Bürgerreporter“, von denen Ende 2018 der 100.000ste begrüßt wurde, können hier lokale Berichte veröffentlichen – Mitarbeiter der Anzeigenausgaben prüfen Wahrheitsgehalt und Relevanz. 

Die Landeszeitung für die Lüneburger Heide möchte die „Zeitung der Zukunft im Dialog und gemeinsam mit unseren Leserinnen und Lesern entwickeln“, sagt Chefradakteur Marc Rath dem Medium Magazin. Ein großer Testlauf war der „Wundertüten-Tag“ im November: Anstatt mit den üblichen 30 erschien die LZ mit 60 Seiten und bat angesichts neuer Rubriken und Formate um die Beantwortung eines Fragebogens. Hinzu kam ein kostenloses E-Papier und mehrere Dialogangebote, wie ein ganztätig geschaltetes Lesertelefon, eine „Speakers Corner“ in der Lüneburger Innenstadt und eine exklusive Talkrunde mit dem Verleger und Redakteuren. 

Sein Publikum genauer analysiert hat der Berliner Tagesspiegel und fünf Hauptgruppen ausgemacht, wie Herausgeber Sebastian Turner im Kress-Interview erläutert: Medizinberufe, Wissenschaft, Politik samt Verwaltung, Digitalwirtschaft und Kulturwirtschaft. Anstatt lediglich als Berichterstatter versteht sich das Blatt als Kommunikationsplattform. So gibt es im Bereich Medizin gezielte Umfragen und Sonderseiten: Welcher Arzt oder welches Krankenhaus eignet sich am besten für welche Krankheit? Dies ziehe Leser wie spezifische Anzeigen und belebe das Siegelgeschäft. Hinzu kommen eigene Veranstaltungen wie Ärzte-Kongresse, die Sponsorengelder, aber auch Einnahmen durch bis zu 1.000 Euro teure Eintrittsgelder erzielen. 

Etwa 200 Veranstaltungen stemmt der Verlag pro Jahr, von der kleinen Lesung bis zum Festival mit über 160 Referenten. „Ein Klinikchef ist idealerweise Leser, Kunde für Stellenanzeigen, Teilnehmer einer Fachtagung, Bezieher des Politmonitors und Empfänger von einem Bezirksnewsletter“, skizziert Turner den verzahnten Ansatz. Durch die fachliche Tiefe sollen zudem Mediziner in anderen Städten für das ortsungebundene E-Paper-Abo gewonnen werden.

Der Tagesspiegel entwickelt mit seinen Ansätzen und Bezirksnewslettern den lokalen Verbraucherjournalismus weiter, der nicht nur versucht, wieder näher am Leser zu sein, sondern den Konsumenten zum involvierten „Prosumenten“ macht. Im Herbst traten zum Beispiel 100 Radfahrer für die Tageszeitung in die Pedale, ausgestattet mit einem Abstandsmesser, der über das verbundene Handy des Radlers jedesmal ein Foto auslöste, sobald ein Fahrzeug mit weniger als 1,5 Meter Abstand überholte.

Kontakt zum Leser bleibt wichtig

Auch die Mitteldeutsche Zeitung hat in ihrer Zentrale eine Gesundheitsmesse mit Vorträgen und Seminaren veranstaltet. Vor einigen Jahren konzipierte Chefredakteur Hartmut Augustin den Dreiklang „Gesundheit, Sachsen-Anhalt, Mitteldeutsche Zeitung“. Über eine der medizinischen Serien wurden die Leser gleichzeitig an die auffälligste technische Neuerung herangeführt: Augmented Reality (AR). Über die App „MZ Virtuell“ experimentiert die Zeitung mit dreidimensionalen Grafiken, Karikaturen und Anzeigen, die aus den gedruckten Seiten „springen“, wenn man das Smartphone auf sie richtet. Die Dresdner Neuesten Nachrichten und die Leipziger Volkszeitung testen ebenfalls AR. 

Ein ganzes Produkt-Sortiment à la „Zeit Shop“ bietet die Allgäuer Zeitung. Neben der eigenen Internet- und Werbeagentur „rta Design“, dem regionalen „RSA Radio“ und „Allgäu TV“ bietet der Allgäuer Zeitungsverlag unter der Marke des einstigen und dann weiterentwickelten Mitmachportals „Griaß Di“ Handtücher, Regenschirme, aber auch Mottopartys an. Die den Online-Shop ergänzenden Verkaufsstellen – die AZ-Service-Center – dienen gleichzeitig als Ticketkassen, die zusätzlichen Umsatz generieren, und ermöglichen, was vielen Lesern wichtig ist, den persönlichen Kontakt zu „ihrer Zeitung“.