© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/19 / 08. März 2019

Wie bei Oma
Gutes Essen: Neue Restaurants erinnern sich der Rezepte und des Charmes der Großmütter
Verena Rosenkranz / Gil Barkei

Erinnerungen aus der Kindheit haben sich immer dann besonders eingeprägt, wenn der Vater draußen meterhoch den Schnee aufgeschaufelt hatte und es in der warmen Küche heimelig duftete. Sie, diese Küche, ist ein zentraler Punkt so vieler positiver Betrachtungen unseres Lebens. Als Kind im Sommer selbstgemachten Eistee aus dem Kühlschrank stibitzen oder so manche heute fast vergessene Speise aus der stets bis obenhin gefüllten Vorratskammer der Großmutter serviert bekommen. Doch nicht die Küche allein ist der zentrale Ort, erst durch die Kombination mit der Oma mit vom Backen fettigen Händen wird sie zum Mittelpunkt der Kindheit und zum Gemeinschaftshort für die ganze Familie.

Während das heutige Interieur einer Küche oft so steril ist wie die eingeschweißten Zutaten, die darin verwendet werden, scheint ein Besuch bei den Großeltern immer noch einem Abend in einer Hybridversion aus Gourmethotel und gemütlicher Schenke gleichzukommen. In einer selbst für Großküchen erstaunlichen Schnelligkeit zaubert die Oma die Wünsche ihrer Kinder und Enkel wie bei einer A-la-carte-Bestellung auf den Teller, der zugleich Hausmannskost in Perfektion darstellt, und versetzt uns dabei in eine Zeit zurück, in der sie selbst neben ihrer Mutter auf einem Holzschemel über die Arbeitsplatte linste. Über Generationen hinweg wurde damals das kulinarische Wissen verfeinert, während wir uns heute gefühlt jede Woche mit einer neuen exotischen laktosefreien Diät, Light-Produkten, Fusions- und Molekularküche abmühen.

Doch eine späte Einsicht ist besser als keine. Und darum gibt es wieder immer mehr heimische Restaurants und Lebensmittelhersteller, die auf die bewährten Rezepte und den Geborgenheit ausstrahlenden Charme der Großmütter zurückgreifen. 

Modelle gegen Einsamkeit und Altersarmut

Dabei wird unter anderem ordentlich mit dem negativen Image von Innereien, Hirn oder Zunge aufgeräumt. Es darf wieder deftig sein und die Wurst mindestens so dick wie die Scheibe selbstgebackenes Brot. Doch auch vom einst klassischen Kaffeeklatsch wird die dünne Staubschicht fortgeblasen und Kuchen- und Dessertvariationen alter Rezepte wiederentdeckt. Beim Münchner Unternehmen „Kuchentratsch“ backen Senioren in eigenem Tempo und individuell gewählten Arbeitszeiten ihren persönlichen Vorlieben entsprechend – gemeinschaftliches Lachen und Quatschen während der Arbeit in der Backstube „strengstens erlaubt“. Die Torten und Kuchen werden über das Internet an Firmen, Cafés und Privatpersonen verkauft. Ein „Karottenkuchen nach Oma Irmgard“ beispielsweise kostet 36,90, der „Käsekuchen von Opa Günter“ 34,90 Euro. In München und Umland bringen drei „Liefer-Opas“ die Bestellungen zum Kunden.

Das Wiener Kaffeehaus „Vollpension“ setzt ebenfalls auf täglich frische Mehlspeisen, die von erfahrenen Großmutterhänden zubereitet werden. Aber auch Linseneintopf, Saftgulasch und ein Frühstück „Gerti“ oder „Onkel Eberhard“ stehen auf der Speisekarte des mit Neonlicht, Plüsch und Gartenzwergen poppig-bürgerlich eingerichteten „Generationencafés“. Das Ziel: Jung und Alt – ob mit oder ohne Hilfe von Eierlikör – sollen zusammengeführt werden und Senioren gleichzeitig würdevolle Möglichkeiten fern der Altersarmut und Einsamkeit erhalten. Wie bei „Kuchentratsch“ arbeiten die Senioren keineswegs ehrenamtlich, sondern sind ordentlich angestellt und versprechen nicht nur „Backweisheiten“, sondern auch „Lebensrezepte von der Oma“. 

In Italien hat man sich ebenfalls der kulinarischen Kenntnisse der Ahnen besonnen. Hier hat die Gastro-Autorin Vicky Bennison die „Pasta Grannies“ ins Leben gerufen. Über die gleichnamige Netzseite, Youtube und Instagram stellt sie über 180 „nonne“ samt ihrer traditionellen Kochkünste vor und hält diese in zahlreichen Videos, Fotos und Rezepten für die Nachwelt fest. Mehr als 350.000 Abonnenten verfolgen den Kanal und die regionalen Knet-, Falt- und Schneidetechniken regelmäßig. Viele der Großmütter jenseits der 70, 80 oder sogar 90 produzieren mittlerweile in kleinen handgefertigten Mengen für Restaurants oder Feinkostläden.

Alte Zubereitungsmethoden bewahren

Was unsere Großmütter schon mit Liebe und Leidenschaft kochten, hat sich tief in unsere Erinnerungen und Geschmackssinne eingebrannt. Nun gilt es diese Zubereitung zu bewahren. Eine Herausforderung, die immer mehr Restaurants und junge Familien begeistert annehmen. Man muß die Rezepte ja nicht neu erfinden, sondern „nur“ niederschreiben, nachkochen und weitergeben.