© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

„Man hat mich im Stich gelassen“
Ludger Schiffler war jahrzehntelang ein unbescholtener Hochschulprofessor mit großem Interesse an fremder, auch islamischer Kultur. Bis er eines Tages beschuldigt wurde, „Rassist“ zu sein – von seiner Universität fallengelassen und von der Presse verleumdet wurde
Moritz Schwarz

Herr Professor Schiffler, sind Sie verwirrt, wie die „Berliner Morgenpost“ berichtet? 

Ludger Schiffler: Ich habe 48 Jahre als Professor ohne Kritik von Studierenden gelehrt, inklusive zwei Gastprofessuren im Ausland. Ich fordere in jedem Semester das Qualitätsmanagement der Universität auf, die Meinung der Studierenden über meine Lehre einzuholen. Solange diese so positiv ausfällt wie bisher, glaube ich nicht, daß ich „verwirrt“ bin.

Wie ist die Schlagzeile „Professor darf wirre Vorlesungen halten“ dann zu erklären?

Schiffler: Das müssen sie die Journalisten fragen, die das geschrieben haben. 

Dabei berichtet die Medien von schlimmen Zuständen an den Unis in puncto Denunziation durch Studenten. Müßten sie also nicht kritisch mit solchen Vorwürfen umgehen? Fälle wie die Ihrer Kollegen Herfried Münkler und Jörg Baberowski sind sogar bundesweit bekannt geworden.   

Schiffler: Ich bin mit diesen Fällen nicht vertraut. 

Der „Spiegel“ spricht diesbezüglich vom „verstörenden“ Treiben einer „Gesinnungspolizei“ – und mit Blick auf US-Unis, von einem „PC-Monster“, das dort „gezüchtet wird“. Die „NZZ“ sieht gar eine „Hexenjagd auf dem Campus“ und warnt: „Wir fallen in Fragen der Meinungsfreiheit hinter das 19. Jahrhundert zurück.“ 

Schiffler: Ich halte solche Aussagen in meinem Fall nicht für angemessen. Aber ich habe mich auch nicht politisch geäußert. Mein Fach bot dazu nie Anlaß. 

Dennoch sind auch Sie ins Visier geraten. Weshalb? 

Schiffler: Ich muß vorausschicken, daß ich als Romanist Charlie Hebdo schon seit Jahrzehnten kannte. Daher hat mich der Anschlag auf das Magazin 2015, bei dem fast die ganze Redaktion ermordet wurde, sehr betroffen gemacht. Unter diesem Eindruck äußerte ich in einer Vorlesung meine Bestürzung über diesen Anschlag und die diesem zugrundeliegende Fatwa. Sowie über die Fatwas gegen deutsche Staatsbürger. Ferner äußerte ich die Befürchtung, daß, sollten noch mehr Muslime zu uns kommen, unweigerlich auch die Zahl der Salafisten zunehmen würde und damit die Gefahr, daß solche Anschläge auch in Deutschland geschehen können. 

Was ist daran „wirr“? 

Schiffler: Das frage ich mich auch. Im darauffolgenden Jahr geschah das Berliner Breitscheidplatz-Attentat. Und was oft vergessen wird: Dazu kommen fünf weitere größere Attentate, die rechtzeitig aufgedeckt werden konnten! Eine Leistung der Sicherheitsbehörden übrigens, die wir mehr würdigen sollten.

Allerdings: Sie sollen sich vor Ihren Studenten auch offen rassistisch geäußert haben. 

Schiffler: Was ist an meiner geschilderten Aussage „rassistisch“? Aber dennoch wandten sich drei Studenten in einem Brief an den Studiendirektor der Universität Bernhard Huß und forderten, mir das Lehramt zu entziehen. Was der Kollege Huß – ohne mich vorher davon zu informieren – auch sofort tat, statt mich um eine Stellungnahme zu bitten und sich ein eigenes Bild zu machen. Vorher hatte er sogar die drei Studierenden noch beauftragt, weitere Äußerungen von mir zu sammeln. 

Im Klartext? 

Schiffler: Nun, er hat sie regelrecht zu Spitzeln gegen mich gemacht. 

Warum hat er nicht das Gespräch gesucht?

Schiffler: Eben, das frage ich mich auch. 

Was vermuten Sie?

Schiffler: Mir war der Kollege zuvor persönlich kaum bekannt. Daher kann ich ihn nicht einschätzen. Doch gilt im Abendland ja schon seit römischer Zeit der Rechtsgrundsatz: „Audiatur et altera pars“ – Auch die Gegenseite ist anzuhören. Doch offenbar gilt dieser Grundsatz nicht bei Herrn Huß. 

Warum haben Sie sich nicht bei der Universität über sein Vorgehen beschwert?

Schiffler: Das habe ich! Mit einem persönlich an Präsident Peter-André Alt überreichten Brief. Es gab nie eine Reaktion.

Die Uni hat Sie also im Stich gelassen? 

Schiffler: Ja, zu meiner Enttäuschung. Das Ausbleiben der Reaktion empfand ich als Zustimmung zum Verhalten Herrn Huß.

Warum hat die Uni das getan? Aus Angst? 

Schiffler: Nein. Die Regelverletzungen seitens der Universität im Umgang mit mir haben mich fast mehr getroffen als die falschen Anschuldigungen der Studierenden. Daß ich das Recht zu meinen Äußerungen hatte, zeigte dann das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin 2016.

Dabei hatte die Uni zuvor doch noch darauf verzichtet, Ihnen die Lehrerlaubnis zu entziehen und Sie statt dessen „nur noch“ aus dem Vorlesungsverzeichnis gestrichen. Was bedeutete das für Sie? 

Schiffler: Der Entzug der venia legendi, also der Lehrerlaubnis, ist das „Todesurteil“ für einen Hochschullehrer, da er ohne sie nicht mehr lesen darf. Aber auch eine Streichung aus dem Vorlesungsverzeichnis läuft darauf hinaus. Denn dann erfahren die Studenten nicht, daß es Ihre Vorlesung überhaupt gibt, und niemand kommt. Deshalb hat das Gericht dies auch aufgehoben. Denn eben das ist passiert: Der Studiendirektor ließ meine Ankündigung für das nächste Semester streichen, ohne mir das zu sagen! Als ich zu Semesterbeginn meine Vorlesung halten wollte, stand ich, zum ersten Mal nach damals 45 Lehrjahren, völlig ratlos vor leeren Bänken – bis ich den Grund herausfand und vor Gericht zog.

Wer waren eigentlich die drei Studenten, die Sie denunziert haben?

Schiffler: Drei Deutsche, eine war die Ehefrau eines Muslims. Doch würde ich nicht von „denunzieren“ sprechen. Ich denke eher, es war ein Mißverständnis. 

Inwiefern? 

Schiffler: Die Frau war schwanger und wohl wegen ihres Mannes zum Islam konvertiert. Ich nehme an, sie hat sich durch meine Äußerungen verletzt gefühlt. Obwohl sich meine Bemerkungen nicht gegen Muslime richteten, sondern nur gegen die Gefahr durch zu Terror bereite Salafisten.

Haben die drei nicht erstmal die Diskussion mit Ihnen gesucht, um das zu klären?

Schiffler: Nein. Das hätte ich begrüßt.

Stattdessen haben sie Sie sofort gemeldet. Wenn das keine Denunziation ist, was dann?

Schiffler: Sie haben eben geglaubt, ich sei ein Muslim-Hasser. Nein, der Skandal war das Verhalten des Studiendirektors. 

Die Studenten haben weitere Vorwürfe gegen Sie erhoben, die nichts mit dem Islam zu tun haben. Legt das nicht den Schluß nahe, daß Sie doch Opfer eines ideologischen Säuberungsversuchs geworden sind?

Schiffler: Nein, keineswegs. Sie waren ja von Herrn Huß dazu aufgefordert worden, weitere „Verfehlungen“ zu melden. So wurde mir schließlich meine Erwähnung der „Petits Blancs“ im französischen Überseeterritorium Guadeloupe als „rassistisch“ ausgelegt; insofern ich erklärt hatte, daß deren Kleinwüchsigkeit darauf zurückzuführen sei, daß sie, als Nachfahren französischer Kolonisatoren, sich nicht mit den farbigen Einwohnern der Insel vermischt hätten. Es hieß, ich hätte mich angeblich gegen die Vermischung der Rassen ausgesprochen.

Was an Ihrer Äußerung ließ denn darauf schließen? 

Schiffler: Nichts. Ich habe lediglich die Tatsache festgestellt, daß sie sich nicht vermischen. Ich machte sogar deutlich, daß dies der Grund ist, warum sie an Gestalt kleiner sind als die anderen Inselbewohner – weshalb sie auch „Petits Blancs“ (die kleinen Weißen) heißen. Ich habe also obendrein darauf hingewiesen, daß das Nichtvermischen nachteilig ist. Um so absurder ist es, aus dieser anti-rassistischen Bemerkung „Rassismus“ herauszulesen! Weiter wurde mir der Begriff „Ausländerdeutsch“ vorgeworfen. 

Und was ist daran rassistisch?

Schiffler: Ebenfalls nichts! Es ist sogar ein Terminus in der fremdsprachendidaktischen Fachliteratur. Er beschreibt die Übertragung fremdsprachiger Strukturen in einen deutschen Satz. So sagt der Franzose nicht: Ich habe mir ein Buch gekauft. Sondern: Ich mir bin gekauft ein Buch. Dieser Satz „spiegelt“ so die Struktur der französischen Grammatik. Diese Methode hilft deutschen Studenten, die Französisch lernen, Fehler zu vermeiden. Und dieser Terminus nun wurde dem Studiendirektor als „Beweis“ für meinen „Rassismus“ gemeldet. 

Ist das nicht völlig kafkaesk? 

Schiffler: Durchaus. Doch seitdem spreche ich von „Spiegelung“ und vermeide den Terminus „Ausländerdeutsch“.

Warum? Sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen, vor Gericht sogar recht bekommen.  

Schiffler: Eben. 

Aber ist das nicht Kapitulation?

Schiffler: Das denke ich nicht. Den neuen Begriff Spiegelung halte ich für eindeutiger. Das war meine Entscheidung.

Ebnen Sie damit nicht den Weg für ein weiteres Vordringen jener Ideologisierung, der Sie fast zum Opfer gefallen wären? 

Schiffler: Nein. Wie gesagt, das Gericht hat mir doch recht gegeben. Jedoch das Verhalten des Präsidenten Alt, Herrn Huß nicht zu rügen, kann dazu führen daß sein Verhalten Schule macht. Und erschüttert hat mich auch, daß mir außerdem „Rassismus“ vorgeworfen wurde, wenn ich mein Unverständnis darüber äußerte, daß unser Außenminister nicht in der Lage ist, auf diplomatischem Wege eine Aufhebung islamischer Fatwas gegen deutsche Bürger wie die Publizisten Hamed Abdel-Samad und Seyran Ates zu erwirken. Dabei sehe ich den Islam durchaus differenziert: Ich kenne die kritische Theologie der muslimischen Mutaziliten, die vor eintausend Jahren allerdings verstummt sind. Durch meine Reisen in verschiedene arabische Länder habe ich Bewunderung für die islamische Kunst entwickelt und darüber Vorträge gehalten. Daher weiß ich auch, wie diese Länder, etwa Ägypten, Syrien, Iran oder Indonesien, früher waren – nämlich modern und aufgeschlossen und nicht zu vergleichen mit den Verhältnissen, die seit ihrer Re-Islamisierung dort herrschen.

Offenheit für fremde Kulturen und die Moderne – klingt eher nach der Haltung eines Liberalen als nach der eines Rassisten?

Schiffler: Eben. Ich bin nur sensibel für die problematischen Seiten des Islam, etwa daß im Koran 21mal zur Tötung von Ungläubigen aufgerufen wird. Natürlich unterstelle ich nicht, daß deshalb von allen Muslimen eine Gefahr ausginge, das ist Unsinn. Aber es gibt eben die Salafisten, die seit eintausend Jahren auf der wörtlichen Auslegung des Korans bestehen. Da bin ich ganz einer Meinung mit Abdel-Samad oder Seyran Ates. Dieses Problem muß von islamischer Seite erkannt werden! Frau Ates sagt, zuerst kommen die Menschenrechte, dann der Koran. Und dafür wird sie mit der Fatwa belegt! Was soll das alles mit „Rassismus“ meinerseits zu tun haben? Ganz im Gegenteil, das ist ein Eintreten für die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung!

Nimmt denn die Zahl islamistischer Studenten zu und wächst da an unseren Universitäten eine Bedrohung heran? 

Schiffler: Das ist angesichts der Einwandererzahlen zwar möglich, doch geht es letztlich um die Frage, wie aufgeklärt die Muslime mit dem Islam umgehen. Wir müssen den Prozeß der kritischen Aufklärung im Islam unterstützen! 

Aber ist das nicht genau das, was Hamed Abdel-Samad kritisiert: Der deutsche Irrglaube, diese Aufklärung werde sich schon bewerkstelligen lassen – woraus eine fatale Unterschätzung der Gefahr resultiere. 

Schiffler: Ja, ich habe seine Bücher gelesen und mir ist bewußt, daß sich die Annahme, unser Lebensmodell sei so attraktiv, daß es mit der Zeit von allen Muslimen übernommen werden wird, als Irrtum erweisen könnte. Andererseits war der Islam schon einmal auf dem Weg einer Modernisierung. Allerdings ist diese, wie vorhin erwähnt, vor eintausend Jahren abgebrochen. Und ich kenne auch die Situation von Menschen wie Abdel-Samad, die darum kämpfen, dort wieder anzuknüpfen. Ich weiß, wie er leben muß – in ständiger Gefahr, immer versteckt, angewiesen auf Polizeischutz rund um die Uhr. Man muß sich das einmal vor Augen führen! Seine Lebensumstände sind durch die schreckliche Fatwa gegen ihn unfaßbar geworden und ein tieftrauriges Zeugnis für die Radikalität des Islams. Doch um so wichtiger ist es, daß die liberalen Kräfte in Europa und unsere Regierung mutige liberale Muslime wie ihn, Seyran Ates oder Necla Kelek mit aller Kraft unterstützen. 






Prof. Dr. Ludger Schiffler, der Romanist und Pädagoge lehrte Didaktik der französischen Sprache und Literatur. Zunächst an der Pädagogischen Hochschule Berlin, dann als Lehrstuhlinhaber und ab dem Jahr 2002 als Emeritus am Institut für Romanische Philologie an der Freien Universität Berlin. Außerdem nahm er Gastprofessuren an den Universitäten Paris Saint-Denis und Paris Nanterre wahr. Geboren wurde Ludger Schiffler 1937 in Frankfurt am Main.

Foto: Volle Ränge – Studenten in einer Vorlesung (Universität Ulm, 2017): „Das war quasi ein ‘Todesurteil‘ ... Nach 45 Lehrjahren stand ich plötzlich erstmals vor leeren Bänken, völlig ratlos“ 

 

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