© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Eine Brücke, sie zu knechten
Chinas neue Wege: Das Reich der Mitte sucht seinen Einfluß zu vergrößern, indem es Infrastruktur-Projekte fördert
Hinrich Rohbohm

Gebannt blicken die geladenen Gäste auf den großen Flachbildschirm. Gerade startet eine neue Gewinnrunde. Ein gutes Dutzend chinesischer Geschäftsleute holen ihre Mobiltelefone aus ihren Handtaschen oder Jacketts hervor. Es flimmert ein QR-Code über die Mattscheibe. Männer im Smoking und Frauen in Abendkleidern öffnen ihr WeChat-Programm, einen chinesischen mobilen Kommunikationsdienst. Sie scannen den Code, um sich für die nächste Gewinnrunde zu registrieren. Dann startet das Spiel. Die Gesichter der nun registrierten Teilnehmer huschen im Schnelldurchlauf über den Fernseher. Bei einer Frau um die Vierzig bleibt das Bild stehen. Jubel brandet auf. Die Frau hat 4.000 Yuan gewonnen, etwa 500 Euro.

Eine Art Tombola auf chinesische Art, die zum Festprogramm des frisch eröffneten Feinschmecker-Restaurants „Super Lujo“ gehört. Der Inhaber dieser Spezialitäten-Gastronomie mit original spanischer und italienischer Küche hat die führenden Wirtschaftsvertreter von Kunming, Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Yunnán, zu einem Zehn-Gänge-Menü geladen.

Er führt sie durch sein Unternehmen, zeigt den hinter einer Glaswand erfolgenden Prozeß der Herstellung des luftgetrockneten Parma-Schinkens. „Die Maschine dafür ist 100 Jahre alt. Sie stammt aus Deutschland“, erzählt er nicht ohne Stolz. Man speist Austern, Parma-Schinken und zahlreichen andere  luxuriöse Leckereien, zieht sich nach dem Dinner zur geschäftlichen Besprechung in den oberen Saal zurück, der exklusiven Gästen vorbehalten ist.

Die Herren rauchen Zigarren, die Damen Filterzigaretten. In der Ecke des Raumes steht ein Konzertflügel. Jeder der Anwesenden soll ein Lied aus dem Land spielen, in dem er studiert hat. Nahezu alle von ihnen haben im westlichen Ausland studiert. USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien.

Mit ihrem gesammelten Wissen sind sie nach China zurückgekehrt, haben Unternehmen gegründet, machen Geschäfte mit Europa und Amerika und verzeichnen einen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg.

Trotz gedämpfter Wachstumsprognosen für Chinas Wirtschaft herrscht Aufbruchstimmung in der Stadt. Denn durch das seit 2013 von China betriebene Projekt „One Belt, One Road“ wird sich die Provinzmetropole schon in wenigen Jahren zu einem bedeutenden Knotenpunkt für Handelsrouten nach Süd- und Südostasien entwickeln.

Mit Hochdruck treibt das Reich der Mitte den Ausbau einer neuen Seidenstraße von Asien nach Europa voran, will seine wirtschaftlichen Interessen mit neuen Handelsrouten, Häfen sowie Straßen- und Schienennetzen bündeln.

Aufgrund seiner Lage und seiner Nähe zu südostasiatischen Ländern wie Thailand, Laos, Myanmar, Kambodscha oder Vietnam wird sich die „Stadt des ewigen Frühlings“ zu einer bedeutenden Durchgangsstation für die Waren- und Verkehrsströme der Zukunft entwickeln.

Einfluß der USA in der Region zurückdrängen

„Das leitet dann zum zweiten Mal eine neue Epoche für unsere Region ein“, sagt der Vizepräsident eines bedeutenden Wirtschaftsverbandes der Provinz Yunnán während des Abendessens.

Allein in den letzten Jahren durchlebte die Provinzmetropole eine rasante Entwicklung. Im Jahre 2003 zählte sie noch drei Millionen Einwohner. Heute sind es sieben Millionen. „In ein paar Jahren dürften wir bei über zehn Millionen liegen“, prognostiziert ein Funktionär der Business Chamber of Commerce von Kunming, der ebenfalls zur erlauchten Dinner-Runde zählt. Ein neuer Flughafen wurde gebaut, das städtische U-Bahn-Netz in atemberaubender Geschwindigkeit erweitert.

Ihre erste bedeutende Entwicklung hatte die Stadt ebenfalls einer großen Infrastrukturmaßnahme zu verdanken. Als vor über hundert Jahren, zur Zeit der französischen Kolonialherrschaft in Indochina, mit dem Bau einer Eisenbahnlinie vom chinesischen Kunming ins vietnamesische Saigon begonnen wurde.

„Das war genau hier an diesem Ort, im Jahre 1903“, erzählt der Vizepräsident. Die Gastronomie befindet sich inmitten dieses Ortes, der bei seiner Einweihung vor wenigen Jahren aus jenem historischen Grund „Park 1903“ getauft wurde. Ein riesiges Tor aus Glas, verziert mit Hunderten in der Nacht leuchtenden Lampen dient als Symbol dafür. Es ist weniger ein Park als vielmehr eine Geschäfts- und Einkaufsstraße mit edlen Weinen, Markenläden, Bars und Cafés im Süden Kunmings.

Inzwischen existieren viele solcher moderner Einkaufszentren in der Stadt, die in bezug auf Sicherheit, Sauberkeit, Architektur und Modernität europäischen Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen längst den Rang ablaufen.

Mit den Planungen von Hochgeschwindigkeitszügen der Transasiatischen Bahn wegen der „Belt and Road“-Offensive beginnt nun wieder eine neue Epoche für die Stadt. Kunming wird dabei als Zentrum fungieren, von dem zukünftig der Güterverkehr durch Asien nach Europa fließen soll.

Streckenabschnitte sind bereits Richtung Süden bis nach Singapur geplant, Richtung Westen bis ins indische Kalkutta. Glaubt man den Verlautbarungen der chinesischen Regierung, dann werden die ersten Streckenabschnitte bereits 2021 fertiggestellt sein. Später soll der Personenverkehr folgen.

Doch spielen längst nicht nur wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Schritt für Schritt unternimmt China mit seinen Infrastrukturmaßnahmen den Versuch, auch die politische Vorherrschaft im südostasiatischen Raum zu erringen und vor allem den Einfluß der USA in der Region zurückzudrängen.

 Dabei lockt das bevölkerungsreichste Land der Erde mit umfangreichen Investitionen in die Infrastruktur der südostasiatischen Länder, vergibt zunächst großzügig Kredite. Zumeist an Politiker und Staatschefs der korrupteren Art.

 Charaktere, die erwarten lassen, daß sie das geliehene Geld der Wählerstimmen zuliebe mit vollen Händen ausgeben und später nicht mehr zurückzahlen können. Auf diese Weise kann China beispielsweise schon heute weitestgehend die Außenpolitik Kambodschas diktieren. Dessen Hafenstadt Sihanoukville steht nahezu vollständig unter chinesischer Kontrolle. Ebenso der größte Hafen Sri Lankas in Hambantota.

Sri Lanka hatte die großzügigen Kredite bereitwillig angenommen. Neben dem Hafen ließ die dortige Regierung einen neuen modernen internationalen Flughafen errichten, auf dem bis heute allerdings kaum ein Flugzeug startet oder landet. Autobahnen wurden gebaut, auf denen bis heute so gut wie keine Autos fahren. Stattdessen ist das Geld ausgegeben, Sri Lanka verschuldet und der vor allem aufgrund seiner strategischen Lage wichtige Hafen von Hambantota für 99 Jahre im Besitz der Chinesen. Wie folgenreich diese Abhängigkeiten in geostrategischer Hinsicht sein können wurde spätestens klar, als ein chinesisches U-Boot im Hafen von Colombo einlief. Eine Machtdemonstration.

Auch die Malediven haben bei den Chinesen inzwischen Schulden in Höhe von drei Milliarden Dollar angehäuft. Ein Betrag, den der Inselstaat mit seinen 400.000 Einwohnern und einem Bruttosozialprodukt von gerade einmal 4,9 Milliarden Dollar unmöglich wird zurückzahlen können. China hingegen erhält auf diese Weise Zugang in die Herzkammer des Indischen Ozeans. Denn mit seinen 1.200 Inseln und 860.000 Quadratkilometern umfassen die Malediven ein Gebiet, das unter anderem die Hauptschiffahrtsroute zwischen China, dem Nahen Osten und Europa umfaßt. Und damit vor allem für die wichtigen Öllieferungen von großer Bedeutung ist.

Nach dem gleichen Muster möchte die kommunistische Regierung Chinas nun auch Länder wie Thailand, Myanmar, Malaysia oder die Philippinen unter seine Kontrolle bringen. Im Südchinesischen Meer hat sie bereits Schritt für Schritt ihre militärische Präsenz ausgebaut und Mittelstreckenraketen auf den strategisch wichtigen Spratly-Inseln stationiert. Sogar im Hoheitsgebiet der Philippinen.

Kritiker sehen politische Ziele hinter Investitionen 

Politische statt wirtschaftliche Ziele vermuten auch die Kritiker eines weiteren Megaprojekts Pekings, das erst vor vier Monaten für den Verkehr freigegeben wurde: die Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke, kurz HZMB genannt. Die mit 55 Kilometern längste Seebrücke der Welt verbindet die beiden Sonderwirtschaftszonen Hongkong und Macao. Sie führt dabei gleichzeitig durch die Stadt Zhuhai und verbindet so beide mit dem chinesischen Festland.

„Das Projekt dient nur vordergründig der wirtschaftlichen Entwicklung. Langfristig gesehen soll es die Eigenständigkeit Hongkongs und Macaos unterlaufen. Peking will mit solchen Projekten auf die lautlose Art die Sonderwirtschaftszonen mit dem Festland assimilieren“, sagen regierungskritische Studenten der Universität Hongkong gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

„Du bist mit der Fähre in 45 Minuten von Hongkong in Macao. Und du bist dann gleich mitten im Zentrum. Wenn du über die Brücke fährst, brauchst du allein schon aufgrund der Grenzkontrollen deutlich mehr Zeit. Hinzu kommt, daß die Busterminals weit außerhalb liegen, da benötigst du zusätzlich Zeit, und du hast noch den Ärger mit dem mehrmaligen Umsteigen“, erklärt einer von ihnen. Verfolgt die Zentralregierung mit dem Brückenbau also tatsächlich mehr politische als wirtschaftliche Ziele?

Wir machen den Test, fahren mit dem Shuttle-Bus von Macao über das neue Bauwerk nach Hongkong. Schon ein Blick auf die Karte erstaunt. Der Busterminal befindet sich auf offener See. Errichtet auf gewaltigen aufgeschütteten Sandinseln, zu denen schon hier langgezogene Brücken über das Meer hinführen. Das Terminalgelände ist riesig – und menschenleer. Wenige Wochen nach der Eröffnung hatten noch Massen Schlange gestanden, um ein Fährkarte zu kaufen, neugierig darauf, die neue Brücke einmal auszutesten. Davon ist jetzt nichts mehr zu spüren. Eine Vielzahl an Busparkbuchten sind errichtet worden. Busse aber sind nur wenige anzutreffen.

In der Ferne schiebt eine ältere Frau einsam ihren Koffer in die Tickethalle. Vor den Fahrkartenschaltern sind massenweise Sicherheitsbänder und Absperrgitter für Warteschlangen errichtet. Doch kaum jemand kauft ein Ticket. 

Keine Musik, kein Stimmengewirr. Riesige lange Gänge, in denen Filmen und Fotografieren streng untersagt sind. Alles ist neu. Es ist eine gespenstische Szenerie, die einen unweigerlich an Science-fiction-Filme denken läßt, in denen futuristische Gebäude stehen, die Menschen aber ausgestorben sind. Wie am Flughafen durchlaufen die wenigen sich in den riesigen Hallen verlierenden Passagiere Paß- und Gepäckkontrollen.

Auch die folgende Überfahrt mit dem Shuttle-Bus ist aufschlußreich. Kaum ein Pkw befährt die Brücke. Keine Taxis, keine Lkws. Die wenigen Fahrzeuge, die einem auf der zumeist leeren Fahrbahn begegnen, sind fast ausschließlich Shuttle-Busse.

Dabei sollte das neue Bauwerk doch gerade den Güterverkehr beschleunigen. Stattdessen erwarten uns in Hongkong erneute Kontrollen, weitere Zeitverzögerungen. Alles zusammen gerechnet benötigt man statt der 45 Minuten mit der Fähre knapp 90 mit dem Bus. Lediglich der günstige Ticketpreis von sieben Euro taugt als Argument, sich gegen die Fähre zu entscheiden. Angesichts des sehr großen Bau-Aufwandes ein sehr schwaches Argument.

Lesen Sie in der kommenden JF-Ausgabe auf der Hintergrund-Seite den zweiten Teil dieser Reportage: „Kampf um Thailand: Wie China und die USA um die Vorherrschaft in Südostasien ringen“.

Foto: Die Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke stärkt die Anbindung beider Städte an das kommunistische Festland: Die Fährüberfahrt ist doppelt so schnell, als die Nutzung von Brücke und Tunnel, wo scharf kontrolliert wird