© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

„Lösungen für die Energiewende“
Energiepolitik: Synthetische Kraftstoffe als Erdölersatz? / Dresdner Firma Sunfire setzt mit neuen Technologien Ausrufezeichen in der Stahlbranche
Paul Leonhard

Die Bundesregierung will mit ihrem Klimaschutzgesetz (JF 11/19) Benzin, Diesel, Heizöl und Gas perspektivisch drastisch verteuern. Gleichzeitig sind schon heute E-Autos von der Kfz-Steuer befreit. Sie dürfen ansonsten gesperrte Fahrspuren und Parkplätze benutzen. E-Lkws sind von der Maut befreit. Die AfD wollte diese Bevorzugung mit einem Bundestagantrag (19/6007) auch auf Fahrzeuge ausweiten, die mit Biosprit oder synthetisch hergestellten Kraftstoffen („E-Fuels“) betrieben werden: „Diese Antriebsarten weisen gegenüber dem Elektroantrieb keinerlei schlechtere Umweltauswirkungen auf und haben zusätzlich den Vorteil, bei der Versorgung der Fahrzeuge auf das vorhandene Tankstellennetz zurückgreifen zu können.“ Die Initiative scheiterte.

Die Union hielt das für Zukunftsmusik, die Grünen behaupteten, die E-Kraftstoffproduktion würde 4,50 Euro pro Liter kosten. Dabei ist die Technik längst weiter als gedacht (JF 10/13). Die Sunfire GmbH beispielsweise erforscht seit neun Jahren E-Fuels. Die Dresdner wollen dabei nicht nur Benzin- und Dieselersatz anbieten, sondern „klimaneutrale“ Kraftstoffe und Gase für Sektoren herstellen, die bisher kaum auf fossile Energieträger verzichten können. Stahlproduktion, Schwerlasttransport, Luftfahrt oder Chemie. „Grüner“ Wasserstoff wird dabei auf Basis von Ökostrom via Hochtemperatur-Co-Elektrolyse durch Nutzung von Industrieabwärme erzeugt.

In Deutschland wurden zwischen 2009 und 2016 33 Projekte im Förderprogramm „Stoffliche Nutzung CO2“ des Bundesforschungsministeriums finanziell unterstützt. Sie alle nutzen Kohlendioxid als Erdöl-Alternative und produzieren daraus Methanol, welches nicht nur als Kraftstoff (E85) genutzt werden kann, sondern auch als Basischemikalie für Kunststoffe und Medikamente.

Sunfire produzierte als erste Firma weltweit synthetischen Diesel im Testbetrieb, um zu beweisen, daß eine kontinuierliche Produktion möglich ist. Im kommenden Jahr soll die Massenproduktion starten. Zehn Millionen Liter synthetischen Kraftstoffs e-Crude will das norwegische Unternehmen Nordic Blue Crude (NBC) mit Hilfe der Sunfire-Technologie auf einer Basis von 20 Megawatt Eingangsleistung herstellen.

Geht die Anlage im Industriepark Herøya (Provinz Telemark) in Betrieb, sollen 21.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr vermieden werden, da Abwärme aus Industrieprozessen und Energie aus Wasserkraft eingesetzt wird. 13.000 herkömmliche Pkws könnten damit ein Jahr lang vollständig mit synthetischem Ökokraftstoff versorgt werden. Perspektivisch soll dieser E-Fuel auch für Flugzeuge, Raketen und Schiffe sowie bei der Eisenbahn Verwendung finden. NBC plant, die Kapazität in Herøya zu verzehnfachen und weitere Anlagen an anderen Standorten aufzubauen.

Wasserstoffbasierte Roheisenproduktion

Mit dem erfolgreichen Testbetrieb von mehr als 500 Stunden einer Hochtemperatur-Co-Elektrolyse seit November 2018 am Standort Dresden sei „ein technologischer Durchbruch für die Energiewende gelungen“, glaubt Sunfire. Und in der neuesten Produktvariante könne die Hochtemperatur-Elektrolyse nicht nur Wasser, sondern auch CO2 „reaktivieren“ und so auf direktestem Weg die Abgase der Verbrennung wieder in einen sauberen Rohstoff zurückverwandeln, der Erdöl oder Erdgas ersetzt.

Der erzeugte Wasserstoff (H2) könne direkt genutzt oder über weitere Prozeßschritte zum „CO2-neutralen“ Erdölersatz e-Crude gewandelt werden. In Raffinerien ließe sich dieser zu e-Benzin, e-Diesel und insbesondere zu e-Kerosin für die Luftfahrt weiterverarbeiteten. Derzeit baut Sunfire die erste Hochtemperatur-Elektrolyse im Megawatt-Maßstab.

Anfang Januar meldete Sunfire, daß es gelungen sei, für diese Großprojekte 25 Millionen Euro an frischem Kapital zu akquirieren. Mit der luxemburgischen Technologiefirma Paul Wurth S.A. (seit 2012 Teil des Düsseldorfer Maschinen- und Anlagenbauers SMS Group) könnte ein neuer Hauptinvestor gewonnen werden. Dies sei ein „wesentlicher Schritt auf dem Weg zu grüner Stahlerzeugung und eine Möglichkeit, in den wachsenden Markt für e-Fuels einzutreten“, freute sich Sunfire. Paul Wurth plant und baut seit bald 150 Jahren Hochofenanlagen und Kokereien sowie inzwischen auch Reststoffaufbereitungsanlagen für die Primärphase der Stahlerzeugung.

„Wir möchten unsere Kunden auch auf dem Weg zu einer wasserstoffbasierten Roheisenproduktion begleiten und dabei unterstützen, Klimaschutzziele zu erfüllen“, sagt Wurth-Chef Georges Rassel. Die Kooperation mit Sunfire sei Ausdruck „unserer Strategie, eine führende Rolle in der anstehenden Transformation der Stahlindustrie hin zu einer CO2-freien Stahlerzeugung zu spielen“.

Auch Sunfire-Chef Carl Berninghausen ist euphorisch: „Wir spüren tagtäglich, wie das Interesse an unseren Lösungen für die Energiewende zunimmt.“ Nun seien die Weichen in Richtung Industrialisierung der Sunfire-Pilotanlagen gestellt. Beringhausen verweist auf die Salzgitter Flachstahl GmbH, die in einem Erstprojekt auf „grünen“ Wasserstoff setze: „Damit haben wir in der Stahlbranche schon Ausrufezeichen gesetzt.“ Mit dem Wurth-Einstieg mache Sunfire einen weiteren „konsequenten Schritt zum Industrieunternehmen“.

Sunfire wird nach eigenen Angaben auch von Audi, Boeing oder dem Rüstungsunternehmen ThyssenKrupp Marine Systems unterstützt. Ziel sei die konsequente Weiterentwicklung von Elektrolyse- und Brennstoffzellen-Systemen (etwa in U-Booten) und deren Industrialisierung. Diese ist Voraussetzung für die Etablierung der Sunfire-Technologien als Eckpfeiler des dezentralen Energiesystems der Zukunft.

 www.sunfire.de

 nordicbluecrude.no

 www.paulwurth.com

 www.thyssenkrupp-marinesystems.com