© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Bei sich angekommen
Lena liebt Afrika, und Ulli liebt Lena: Im Kino startet diese Woche der Film „Reiß aus – Zwei Menschen. Zwei Jahre. Ein Traum“
Sebastian Hennig

Die Beziehung der beiden Reisenden zueinander wirkt weit fesselnder als alle Ereignisse, die ihnen während ihrer langen Reise von außen zustoßen in ihrer Film-Odyssee „Reiß aus – Zwei Menschen. Zwei Jahre. Ein Traum“. Dunkler und ungewisser als der afrikanische Kontinent gestaltet sich das Zusammenfinden eines deutschen Paares. Es werden dabei größere Distanzen zurückgelegt, und es geht mindestens ebenso stockend voran wie auf jenen 46.000 Kilometern, die sie durch vierzehn afrikanische Länder zurücklegen. Die innere Welt ist unwegsamer als der äußere Kontinent. Die Reise erweist sich als Therapie und Bewährung.

In den Märchen gibt es die eigensinnigen Prinzessinnen. Alle Anwärter auf ihr Herz trachten sie mit tödlichen Aufgaben aus dem Feld zu schlagen. Vor der fremdländischen Kulisse beobachten wir den nicht mehr ganz jungen Jüngling Ulrich Stirnat beim Standhalten und wie er nach langem Ringen die Prinzessin Lena endlich bekommt. 

Dabei war der Medizintechniker aus Stade mit der 1985 in Osterode geborenen Fernsehjournalistin Lena Wendt schon zusammengezogen, doch bald danach befällt ihn ein Burnout. Die afrikaerprobte Gefährtin überredet ihn zu einer Reise von Hamburg bis Südafrika im eigenen Fahrzeug. Ein Dachzelt für ihren Land Rover gibt Ullis Patentante dazu. Ende 2014 brechen sie auf. Lenas Befund kann man nach zwei Stunden Film nur zustimmen. Letztlich wären sie zwar nicht am Ziel angekommen, dafür aber „ein großes Stück mehr bei uns selbst“.

Das Format war ursprünglich nicht geplant. Kein Erfolgsdruck hat das Erlebnis vorgeprägt. Es wurde freilich „von Anfang an Videotagebuch geführt, da wir für uns nachvollziehbar festhalten wollten, wie wir uns auf dieser Reise verändern“. Erst ein Jahr nach ihrer Rückkehr im Juli 2017 kam den beiden beim Besuch einer Reisefilmreportage der Einfall: „Komm, wir machen einen Kinofilm.“ 

Für Lena ist die ganze Welt eine Party. Ulrich dagegen ist eher ein Partymuffel. Ihr meckerndes Lachen und sein unmotiviertes Grinsen bleiben sich im wesentlichen gleich. Der Hauptkonflikt des Filmes tritt klar zutage: Lena liebt Afrika, und Ulli liebt Lena. Bereits in Marokko wird die Geduld durch einen anhaltendem Sturzregen strapaziert. Nach zwölf Stunden Kreisfahrten sitzen sie zwischen Teppichen und putzen sich beflissen die Zähne. Bei dieser Tätigkeit sind sie noch einige Male zu beobachten. Sie sind und bleiben so deutsch, wie die Afrikaner afrikanisch sind. Der Kommentar besteht aus Selbstfindungs-Parolen und Begeisterungsausrufen über das erwartbar Fremde. „Die Kinder sind der Hammer“ heißt es da und: „Afrika mag finanziell arm sein, dafür um so reicher im Herzen.“ Zu einem mauretanischen Sänger wird vorhersehbar bemerkt: „Ziza ist Musiker und stellt mit seinen Texten mutig die Regierung in Frage.“

Weiße Wundermenschen lassen sich herab 

Die Wirklichkeit, sofern sie ungezügelt ins Bild kommt, korrigiert einiges wieder. Da ist der Müll am Strand. Eine endlose Kette mit Erz beladener Waggons donnert vorüber und hindert Lena nicht daran, von der Freiheit Afrikas zu schwärmen und die Beklemmung daheim zu beklagen. Am afrikanischen Wesen soll die deutsche Welt genesen. Sie bedenkt freilich nicht, wie ihre Erscheinung und ihr Auftreten ihre Erlebnisse prägen. In ihrem hochrädrigen Wagen kommen die weißen Wundermenschen angesaust wie Götter. Sie lassen sich herab, werden angestaunt und bekommen viel geschenkt. Sie treffen ihre europäischen Gesandten in Afrika. Ein Deutscher kastriert Straßenhunde. Lena macht einen Werbefilm für ihn. Andere beschützen die Schildkrötenbrut an der Küste. Schließlich kommt ein deutscher Mechaniker, um ihnen das Auto zu reparieren. 

Ulli ist zuweilen genervt. Er muß sich gegenüber seiner Liebsten bewähren, indem er das liebt, was sie verherrlicht. Am Strand ziehen sie die vollen Netze ein. Für die Mithilfe wünscht sie sich einen Fisch frei. Das Projekt zum Schildkrötenschutz ist in Ullis Worten „wie alles hier, nur halbgestrickt“. Die geschlüpften Jungtiere werden von wilden Hunden totgebissen, während der angestellte Wächter daneben ungerührt den Strand fegt. Als ein Krokodil das adoptierte Hündchen frühstückt, weinen beide in die Kamera. „Ajas Tod läßt uns näher zusammenrücken.“ Sie kommen sich in dem Maße näher, wie Afrika von ihnen abrückt, denn „niemand versteht unsere Trauer“.

Ulli will nach 14 Monaten nur noch nach Hause. Lena bleibt zurück und bedauert, daß er ihre Leidenschaft für diesen atemberaubenden Kontinent und seine herrlichen Menschen nicht zu teilen vermag. Auf einem Video posiert er vor einem Weihnachtsbaum in einer trostlosen Wohnung. Sie macht unterdessen ungestört Yoga am Strand und stellt fest, daß sie auch „allein noch gut funktioniert“.

Nach sechs Wochen Instandsetzung setzt er zum Endspurt auf Afrika, vor allem aber wohl auf die Geliebte an. Mit bunten Zöpfchen im Bart hat er Frohsinn geflaggt und tanzt auf der Straße mit Einheimischen. Auf diese Weise beginnt er Lena zu gefallen. Das geht noch einige Monate so weiter, bis Uli seine Lena ohne Verdruß zur Rückreise bewegen kann. Sie gibt zu: „Ohne Ulli wäre ich vielleicht nie hier her gekommen.“ Im Happy End blitzt vor dem Paar das Licht am Ende des Hamburger Elbtunnels auf. 

Kinostart am 14. März 2019  www.reissausderfilm.de