© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Gesinnung geht über Inhalte
Wahrheit in Zeiten technischer Reproduzierbarkeit: Sven Recker liefert mit „Fake Metal Jacket“ eine umfassende Medienkritik
Felix Dirsch

Zu den bedenklichsten Erscheinungen im Zeitalter digitaler Medien gehört die definitive Einlösung des Kreter-Paradoxons: „Epimenides der Kreter sagte: Alle Kreter sind Lügner.“ Jede Lüge stellt damit die Wahrheit dar (und umgekehrt).

Wenn ein enttarnter angeblicher Kriegsfotograf wie Eduardo Martin und ein aufgeflogener Lügen-Journalist wie Claas Relotius (und seine Auftraggeber) konstatieren, wir lügen jetzt, so sagen sie Zutreffendes, und es ist nicht selten, daß sich diese Herrschaften in Widersprüche verwickeln. Rechtfertigungsfloskeln für die Täuschungsmanöver sind schnell gefunden: Schließlich beliefere man nur einen Markt, der danach lechze, diejenigen Informationen zu erhalten, die er bekommen wolle. So wird munter drauflosproduziert – ohne Bedenken; denn Fake-News-Erzeuger gehören nun mal zu den Guten.

Folglich ist das Bashing Donald Trumps ebenso geboten und legitim wie mutatis mutandis die Darstellung des syrischen Staatschefs Assad, über den selten ohne die Beifügung „Diktator“ berichtet wird.

An solche Narrative läßt sich leicht andocken, auch in belletristischen Beiträgen. Der Protagonist in Sven Reckers Roman „Fake Metal Jacket“, Peter Larsen, ein scheinbar umtriebiger Kriegsberichterstatter in Krisengebieten der Welt, auch in Syrien, ist ein solcher Guter, der seine Fälschermasche mit der Naivität der Leser rechtfertigt: Sie sind doch selbst schuld, wenn sie alles glauben! Fälschungen sind demnach, so der Anschein, keine Lügen. Man bereitet ja lediglich auf. Dabei handelt es sich um eine größere Leistung, als das bei der Wiedergabe eins zu eins der Fall ist, bei der man die Wünsche der eigenen Leserschaft, die man zu kennen glaubt, ignoriert – so jedenfalls die Denkweise, die auch bei Larsen immer wieder durchscheint.

Syrische Asylbewerber sind in Wahrheit Afghanen 

Die Wahrheit irgendwie ans Tageslicht zu bringen erscheint als unsinnig, hat sie sich doch nie im Dunkeln (oder irgendwo sonst) verborgen. Mit dem Verweis auf seine Mutter, die ihn als begnadeten Geschichtenerzähler betrachtet, macht Larsen sich Mut. Schließlich, so sagt er sich, besitzt er doch die richtige Einstellung: gegen Assad, für die Freiheit und den Westen, gegen russische Phosphorbomben. Die Gesinnung läßt über alles andere leicht hinwegsehen – selbst über erfundene Inhalte.

Ein ums andere Mal kann sich der erfolgreiche Reporter auf die Schultern klopfen: Der Artikel, den er gerade verfaßt hat, kann 136.843 Klicks verbuchen, 31.537mal wird er geteilt, 365mal kommentiert. Da stört es niemanden, so denkt Larsen, wenn ich Bilder etwas blumiger beschreibe und einige Bilder aus dem Netz entsprechend frisiere. Beeindruckend ist der Umfang seines Archivs, als er schließlich enttarnt wird: exakt 321 Dateien – Videos, Posts, Texte, Tweets und einiges mehr. Für den Urheber sind dies lediglich „Kopien der Wahrheit“, keinesfalls deren Verunstaltung. 

Seine Gespräche mit Flüchtlingen, Schleusern und anderen an den Gegenwartsdramen Beteiligten finden großen Anklang. Ebenso führt Larsen fingierte „Gespräche über die libysche Lage“. Die Kolumne „Taxi Tripolis“ umfaßt 1.531 Zeichen täglich. Gewiß besuchte er mal Jordanien oder Libyen, aber nicht die Kampfzonen. Lieber saß er in Hotelbars. Warum sich in Gefahr begeben, wenn man mit ein paar Klicks bessere Informationen erhalten kann? Eigentlich interessiert es ja kaum jemanden, ob die syrischen Asylbewerber in Wirklichkeit Afghanen sind. Die unmittelbarste Erfahrung muß nicht die beste sein. Der Flunker-Journalist generiert lieber Netzwerke als sich in waghalsige Einzelunternehmungen zu verstricken.

Selbst ein über einen längeren Zeitraum erfolgreiches Ein-Mann-Unternehmen wie das von Larsen braucht Unterstützung. Ahmad wird sein wichtigster Zuträger. Dessen Cousine Leila, mit der es zur fast unvermeidlichen Affäre kommt, erpreßt Larsen in Zusammenarbeit mit einem gewissen Omar. Es kommt bei Larsen zum Seitenwechsel; von nun an soll er zugunsten des Assad-Regimes berichten. Das ist dem Wankelmütigen aber auch egal – für ihn ist  Journalismus stets der große Profiteur von Konflikten aller Art ist. Es bleibt nur der kleine Lügner Larsen übrig – dieses Eingeständnis steht am Ende der Erzählung.

Die Sprache ist ebenso atemlos wie der wiederholte Versuch des Reporters, alle möglichen Haken zu schlagen. Parataktische Sätze und Stakkato-Stil zeichnen den Roman aus. „Ihr feigen Wichser!“ wird auch von Larsens nicht deutschsprachiger Umgebung verstanden. 

Doch selbst der so systemkonforme Schreiberling wird mit den Realitäten der politischen Korrektheit konfrontiert: Im Rahmen eines Interviews mit einem Geschäftsmann gebraucht dieser die Umschreibungen „Deutsche Seele“ und „Deutsches Volk“. Larsen tilgt sie in Absprache mit dem Befragten nicht. Als der Unternehmer sich nach der Veröffentlichung doch um seinen Ruf sorgt, strengt er einen Prozeß gegen den Verlag an. Larsen muß deshalb als freier Mitarbeit seinen Hut nehmen. Von nun an ist er noch mehr auf sich selbst gestellt.

Recker, der etliche Krisenregionen aus eigener Erfahrung kennt und Journalisten aus verschiedenen Ländern geschult hat, findet mit seinem neuesten Roman wenig Resonanz. Gründe hierfür sind eine oft oberflächliche Sprache, aber auch die nicht immer ausreichende Konturierung der geschilderten Personen. Weiter liegt es auf der Hand, daß sich „Lückenpresse“-Organe nur ungern mit ihren blinden Flecken auseinandersetzen. Einfacher sind da noch die gleich einem Mantra vorgetragenen Einwände, es handle sich bei den Täuschern praktisch nur um Einzelfälle, mehr nicht. Man kann sich also beruhigt zurücklehnen. Die Wahrheit ist gerettet.

Sven Recker: Fake Metal Jacket. Roman, Edition Nautilus, Hamburg 2018, gebunden, 126 Seiten, 18 Euro