© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Das globale Dorf braucht nur einen einzigen Marktplatz
Der digitale Hammer
Florian Josef Hoffmann

Die Wirtschaft wird in Deutschland und der Welt etwa seit Beginn dieses Jahrtausends in einer Weise umgebaut, daß uns Hören und Sehen vergeht – zwar nicht überall, aber dennoch an manchen Stellen dramatisch.

 Zum einen ist es die explosive Expansion der chinesischen Wirtschaft („Das große Erwachen“, JF 4/19), wie wir an wenigen Symptomen besonders beobachten können, so unter anderem an der Entwicklung des Umschlags des Hamburger Hafens und an der eskalierenden Größe der Container-Schiffe. Oder an den ungeheuren Mengen von Billigprodukten, die wir überall kaufen können, beispielsweise in Autobahn-Raststätten, wo jede Menge Kleinzeug, von Uhren oder Spielzeug bis zu Stickern oder T-Shirts angeboten wird. Alles „Made in China“. Es ist nicht sehr übertrieben zu sagen: Wir haben unsere gesamte Textil- und Bekleidungsindustrie nach China ausgelagert. Bei uns verblieben die technischen Textilien. Immerhin.

Der Sirenengesang niedriger Preise ist der Sog, der die heimische Wirtschaft bei vielen Importprodukten – nicht nur aus China, auch aus vielen anderen Billiglohnländern – chancenlos werden ließ und läßt. Er findet Unterstützung bei den Verbraucherschützern und beim Bundeskartellamt, für die stets ausschließlich die niedrigen Preise als positive Zeichen gesehen werden: „Es ist gut für den Verbraucher“ lautet ihre Devise. Daß es schlecht für den Wettbewerb ist, weil heimische Wettbewerber zuhauf von den Märkten verschwinden, wird dabei geflissentlich übersehen.

Neben dem importierten ruinösen Preiskampf ist es eine fundamentale technische Errungenschaft, die unser Leben und unser Wirtschaftsleben umbaut: das Smartphone. Es ist ein Instrument, dem wir erlegen sind, es ist ein Gerät, dem gegenüber wir uns als schwach erweisen. Und es ist zugleich ein digitaler Hammer, mit dem wir den Wettbewerb ringsherum platt schlagen. Aus den gigantischen Fabriken der Chinesen (und der Koreaner) stammt „nur“ die Hardware, zum Beispiel von Apple-Zulieferer Foxconn (eine Million Mitarbeiter), die das beliebte iPhone produzieren.

Weit wichtiger und einflußreicher sind die Inhalte, die Software, die Anwendungen, Apps genannt, die inhaltlichen Instrumente, und die stammen nicht von den Chinesen, sondern von den Amerikanern. Hier haben die USA die Nase vorn.

Es ist wohl die Sprache und ihre umständlichen Schriftzeichen, die (noch) die Totalübernahme durch die Chinesen verhindert hat, primär wohl, weil die Welt außerhalb Chinas die lateinische Schrift und die englische Sprache bevorzugt. Aber der sprachliche Vorsprung ist es nicht allein.

Die USA konnten außerdem ihren technologischen Vorsprung nutzen, den ihnen die Abschottung Chinas durch die Strategie der Kommunistischen Partei über viele Jahrzehnte geschenkt hat. Die technische Basis der Amerikaner hieß IBM, die mit ihren Großrechnern in den 50er und 60er Jahren die Welt der Unternehmen eroberten. Microsoft und Apple personalisierten den Computer mit unabhängigen Betriebssystemen, machten aus ihnen den „Personal Computer“, den PC. 

Sie ließen und lassen die Geräte in Asien, vor allem in China, billig herstellen (aus IBMs Thinkpad wurde Chinas Lenovo) und konzentrierten sich auf die Inhalte, die Apps, die sie uns dann mit dem Smartphone buchstäblich in die Hand gaben. Ihre Namen sind bekannt: Google, Facebook und WhatsApp, Ebay, Uber und andere – und das auf aktuell wohl sechs Milliarden Geräten, bei einer Weltbevölkerung von sieben Milliarden.

Die Bemächtigung des gesamten Wissens dieser Welt begann Mitte der neunziger Jahre damit, daß Google tagtäglich über Nacht systematisch die Inhalte der am Internet angeschlossenen Server kopierte und dann per Algorithmus bewertete.

Die weitere Entwicklung vollzog sich in mehreren Schritten. Der erste Schritt war die Erfindung eines neuen Geschäftsmodells im Silicon Valley: der Kostenlos-Wirtschaft. Mit den Kostenlos-Angeboten verwerteten Google, Youtube, Facebook, WhatsApp und andere die Inhalte des WorldWideWeb, die sie sich zuvor angeeignet hatten oder die sie generiert haben, indem sie – für die Nutzer von Anfang an kostenlos – mit ihren Programmen vorher die Türen geöffnet hatten.

Die Aneignung des Wissens, sozusagen der Raubzug, das heißt die Bemächtigung des gesamten Wissens dieser Welt (das war von Anfang an das Ziel!), begann Mitte der neunziger Jahre damit, daß Google tagtäglich über Nacht systematisch die Inhalte der am Internet angeschlossenen Server kopierte, sodann Algorithmen entwickelte, die die Inhalte bewerteten.

Das im Laufe von zwei Jahrzehnten angehäufte und täglich aktualisierte, gigantische Wissen kann jedermann überall und jederzeit abfragen. Das ist das Lockmittel, und es erzeugt zugleich die totale Markttransparenz. Letztere ist genau das, was die Leute in aller Welt lieben und was kleine wie große Märkte der Welt betrifft. Die Transparenz ist es, die den Wettbewerb der Anbieter untereinander potenziert.

Da es immer nur einen Billigsten geben kann, wird nur er von den Nutzern begünstigt – die anderen scheiden aus. „The winner takes it all“ ist die bekannte Devise der amerikanischen Wirtschaft, die sich auch hier durchsetzt. Es ist die Chancenlosigkeit der Schwächeren, quasi das Grundgesetz des Neoliberalismus. Das große Zeitungssterben bei uns ist eines der Spiegelbilder dieser Art von Verdrängung.

Dann ging es weiter: Die kostenlose Nutzung der Apps, angekündigt als Web 2.0, bedeutete, daß der Nutzer aktiv wurde. Aus der einseitigen Lieferung von Programmen wurde die Belieferung mit Inhalten durch den Nutzer. Dann kam der nächste Schritt: Google war so schlau, diese Nutzerdaten ebenfalls einzusammeln und zu sortieren, Daten, die auf den geheimsten Wünschen der Menschen beruhen, die sie als Anfragen in die Suchmaske eingeben. Auf ähnlichen Geschäftsmodellen beruhen Ebay, WhatsApp, Youtube und andere. Lauter Monopole.

Die Einführung der Kostenlos-Wirtschaft war die Vorarbeit. Was folgte, war die Verfestigung der Monopolstellung durch das Smartphone. Die Begründung ist einfach: Es gibt auf dem kleinen Bildschirm des Smartphones  ohnehin kaum einen Platz für ein zweites Angebot mit demselben Inhalt.

Platz gäbe es vielleicht schon, aber ein zweites Google hat keinen Sinn, denn was soll die Installation eines zweiten Suchbuttons, der genau zu denselben oder annähernd denselben Ergebnissen kommt? Ebenso überflüssig ist ein zweites Wikipedia, das identische Inhalte aufbewahrt, noch weniger ein zweites Ebay, in dem die Anbieter dieselben Angebote ein zweites Mal einstellen müssen.

Völlig abwegig wäre ein zweites Facebook, in dem man nur die Hälfte seiner „Freunde“ erreicht oder treffen kann. Derartige Marktplätze brauchen einen zweiten genausowenig, wie es für eine Gemeinde Sinn macht, in ihrem Zentrum nebeneinander zwei Marktplätze zu bauen. Macht auch niemand, man will sich schließlich treffen und nicht vom einen zum anderen suchen müssen! Und wenn ein zweiter Marktplatz auf dem Smartphone vielleicht doch möglich wäre (viele andere Spezialmarktplätze gibt es durchaus), dann siegt unsere Faulheit und wir, die Konsumenten, bestellen alles nur noch bei Amazon. Finito.

Der einzelne Verbraucher hat offensichtlich kein Interesse am Erhalt der Wettbewerber, es sei denn, es geht um einen Preiswettbewerb, der ihm einen Preisvorteil bringt. Daß es genau wieder der Preiswettbewerb ist, der zum Ausscheiden der nicht ganz so starken – aber vielleicht qualitätsbewußteren – Wettbewerber führt, ist dem Nutzer, der nur seinen (kurzfristigen) Vorteil kennt, egal.

Es sollte Google und Co. erlaubt sein, sich in Verbänden zu organisieren. So könnte der Wettbewerb erhalten bleiben. Das verbietet das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, und solange das so bleibt, sind wir der Entwicklung

ausgeliefert.

Ist das Kind nun schon in den Brunnen gefallen oder gibt es noch einen Ansatz, die Entwicklung in eine akzeptablere Richtung zu steuern? Steuern oder aufhalten kann man die Entwicklung grundsätzlich so lange nicht, solange der Informationsaustausch der Menschen untereinander, also das Telefonieren, das Versenden von Nachrichten und der Datenverkehr noch frei sind.

Niemand, wirklich niemand, wird in diese Freiheit eingreifen wollen. Dieser Weg ist tabu. Außer für unseren deutschen Staat, der mit seinem grundgesetzwidrigen Netzwerkdurchsetzungsgesetz in den Sozialen Medien Zensur betreibt.

Eine Möglichkeit, dennoch den Wettbewerb auf den Märkten zu erhalten, wäre jedoch so denkbar, daß man dem grenzenlosen Egoismus der Verbraucher einen Egoismus der Anbieter entgegengesetzt. Sprich: Es sollte den Wettbewerbern erlaubt sein, sich zu solidarisieren, sich in Verbänden und Gemeinschaften als Gegengewicht zu organisieren. 

So könnten die Wettbewerber – und damit der Wettbewerb – erhalten bleiben. Das Gesetz verbietet aktuell genau das in Paragraph 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, und solange das so bleibt, sind wir der Entwicklung ausgeliefert.

Was allerdings in der Tat unter staatliche Kontrolle gehört, ist die Ansammlung von Wissen in den großen Systemen, und was gesetzlich geregelt werden muß, ist die Verwertung von Nutzerdaten.

Wenn sich Google zu Beginn seiner Entstehung zur Aufgabe gemacht hat, sämtliches Wissen dieser Welt (!) auf seinen Rechnern zu versammeln, auf seinen Festplatten abzuspeichern, dann erhebt sich diese „Institution“ Google über jede Staatsmacht. Das darf nicht sein, denn die Staaten sind souverän. Niemand darf sich über die Staaten erheben, mit Ausnahme des Völkerrechts.

Die neuzeitliche Erkenntnis des englischen Philosophen Francis Bacon „Wissen ist Macht“ ist bis heute gültig, das heißt, die Macht Googles, allen voran, muß gebrochen werden, indem das Wissen staatlicher Kontrolle unterworfen wird.

Jeder Ansatz, hier mit kleinen oder größeren Maßnahmen eine rechtlich erträgliche Situation zu schaffen, scheitert aktuell jedoch an genau dieser Staatssouveränität, nämlich der Souveränität der USA, auf deren Hoheitsgebiet sich Google befindet.

Aber wenn der amerikanische Präsident Donald Trump schon „protection“ des Staatsgebiets nach außen fordert und durchsetzt, dann könnte man ihn vielleicht überreden, auch die Übermacht Googles zu brechen und den Schutz seiner Bevölkerung davor von innen zu organisieren.

Einfacher, aber gleichfalls nur mit US-Unterstützung möglich, ist die Regelung der Erhebung und der Gebrauch der Nutzerdaten. Wenn das Bundeskartellamt dieser Tage mit seiner Verfügung in Sachen Facebook ein Verbot der Vermischung von Nutzerdaten anderer Apps versucht hat, so ist das löblich, aber das Wettbewerbsrecht ist dafür die falsche Rechtsgrundlage und für Facebook „weltweit“ unerheblich. Auch hier geht der Weg nur über die USA beziehungsweise ihren Präsidenten.






Florian Josef Hoffmann, Jahrgang 1946, ist Rechtsanwalt, IHK-Präsident a. D., Buchautor und Leiter des „European Trust Institute“ und bekannt als „Kartell-Rebell“, der die alte soziale Marktwirtschaft wiederhergestellt haben möchte.

Foto: Alles aus einer Hand: Die totale Markttransparenz, erschaffen von Google und jederzeit nutzbar durch das Smartphone, zermalmt die Wettbewerber. Verbände könnten dagegen schützen.