© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Hau drauf!
Vandalismus als Geschäftsmodell: Im „Wutraum“ darf man die Sau rauslassen
Bernd Rademacher

Wut packt uns ständig – auf den „Penner!“ im Auto vor uns, über den Schwachkopf von Chef mit seinen „innovativen“ Ideen, über das dumme Gequatsche aus dem Radio. Aber wohin mit der Wut? Sie in sich hineinzufressen führt unweigerlich zu Magengeschwüren. Andererseits würde es mit gesellschaftlichen Konventionen kollidieren, dem Chef oder rücksichtslosen Passanten mit Anlauf in den Hintern zu treten, und ist wegen der Gesetzeslage auch gar nicht ohne weiteres zulässig. Zorn braucht ein Ventil – daraus ist ein neues international erfolgreiches Geschäftsmodell entstanden: der Wutraum.

Der Wutraum ist ein vollständig eingerichtetes, meist fensterloses Zimmer mit Möbeln, Dekoration, Bildern und Unterhaltungselektronik. Vor Betreten bewaffnet sich der Klient nach Wahl mit Vorschlaghammer, Spaltaxt oder Baseballschläger – und darf den gesamten Raum zu Kleinholz zerlegen. Eine halbe Stunde Totalabriß kosten durchschnittlich 140 Euro. Doch die Kunden sind anschließend glücklich, ausgeglichen und zufrieden.

Viele Kunden bringen Fotos mit

Ein erfolgreicher Betreiber aus Halle berichtet, die meisten Besucher seien anfangs noch etwas gehemmt. Darum ermutigt er sie durch gutes Zureden, alle Fesseln abzuwerfen und den Aggressionen freien Lauf zu lassen – quasi ein betreuter Tobsuchtsanfall.

Natürlich erfolgt zuvor eine Sicherheitsunterweisung: „Beim Zuschlagen mit dem Hammer immer breitbeinig stehen. Und schön aus den Schultern heraus zuhauen.“ Eine Splitterschutzbrille ist Vorschrift. Dann geht’s rund! Die Profis bestücken den Raum mit kleinen zerbrechlichen Gegenständen, damit die Kunden schnelle Erfolgserlebnisse haben, aber auch mit einigen widerstandsfähigen Dingen, an denen man sich so richtig bis zur Erschöpfung abarbeiten kann. Der Materialnachschub kommt von Flohmärkten, Haushaltsauflösungen und Trödelrampen. Wer mag, kann sich auch ein Schrottauto bestellen und es mit Hammer und Brecheisen auf dem Firmenhof zerdeppern.

In Deutschland gibt es Wuträume bisher unter anderem in Halle, München und Berlin. Bei der Dekoration gehen die Anbieter auf individuelle Wünsche ein, man kann zwischen der Einrichtung „Büro“ oder „Wohnzimmer“ wählen. Die Kunden dürfen auch eigene Gegenstände mitbringen, die sie zerstören möchten. Daß die meisten ein ausgedrucktes Bild ihres Arbeitgebers mitbringen, wirft ein zweifelhaftes Licht auf die Sozialkompetenz vieler Chefs. Was würden Sie am liebsten mitbringen und kaputtschlagen?

Büroelektronik, die einen im Arbeitsalltag oft genug zur Weißglut bringt, wird bevorzugt zerstört: Drucker, Laptops, Telefone. Auch der Fernseher steht hoch im Kurs. Wer hat nicht schon mal davon geträumt, die Mattscheibe mit dem Vorschlaghammer zu pulverisieren, wenn das Programm mal wieder unterirdisch ist? Hier darf man es hemmungslos tun! Nimm das, Computer! „Mach kaputt, was dich kaputtmacht ...“

Interessanterweise ist der Frauenanteil unter den Kunden signifikant hoch. Die Mehrfachbelastung zwischen Beruf, Familie und Mode-Idealen scheint bei vielen Frauen zu latenter Aggression zu führen.

Das Konzept ist eine Mischung aus Spaß-Event und Therapie. Nach der Zerstörungsorgie sind die Kunden ausgepowert und entspannt. Aber auch Kreative kommen auf ihre Kosten: in einigen Angeboten kann man sich auch mit Torten und Farben bewerfen und alles einmal richtig einsauen.

Freilich: Als Jungs sich noch kloppen durften, Eltern auf dem Spielplatz nicht in jedem Augenblick hinter ihren Kindern standen („Paß auf! Fall da nicht runter! Du tust dir noch weh!“) und der gesellschaftliche Kodex nicht überall auf „gewaltfreie Konfliktlösung“ programmiert war, brauchte es keine Wuträume. Auf dem Land übrigens auch nicht, da hackt man Kaminholz. Aber Kamine werden gewiß auch bald noch verboten. Immerhin kann man die Fotos der größten Verbots-Moralapostel mit in den Wutraum bringen.