© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/19 / 15. März 2019

Der Flaneur
15 Zeichen über das Bügeln
Paul Leonhard

Klick, klick, klick. Meine Sitznachbarin im ICE tippt Buchstaben in ihr Notebook. Die formen sich zu einem Satz und zu einem zweiten. Dann schaut sie auf den Text und löscht alles. Anschließend macht sie das Löschen wieder rückgängig und formuliert neu. Ich wende den Blick ab. So was tut man einfach nicht, in fremden Computern mitlesen. Andererseits ist es interessant. Die Frau scheint für eines der unzähligen bunten Frauenmagazine zu arbeiten.

Ich schaue wieder, möglichst unauffällig, der Frau bei der Arbeit zu. Eine ganze Magazinseite ist zu sehen. Alles gefüllt mit Berichten, Fotos und Grafiken, nur ein Block mit 15 kurzen Zeilen ist noch frei. Offenbar muß die Dame ihren Lesern ein Buch empfehlen. Das Cover steht bereits auf der Seite. Leider kann ich den Titel nicht erkennen, aber es dreht sich um die richtige Art zu bügeln. 

Ich würde gern mit ihr meine Idee für den Einstiegssatz diskutieren, aber nun ist es zu spät.

Worüber Menschen alles Bücher schreiben, denke ich verwundert. Ein ganzes Buch – vielleicht sogar 400 Seiten dick – über das Bügeln. Meiner Nachbarin scheint es schwerzufallen, die 15 freien Zeilen zu füllen, denn erneut hat sie das Geschriebene gelöscht. Jetzt recherchiert sie im Internet nach der Zahl der jährlich in Deutschland verkauften Bügeleisen. Dann nach Dampfbügeleisen, der Geschichte des Bügelns. Sie blickt nachdenklich, tippt wieder Sätze, löscht diese, schreibt erneut.

Fast drei Stunden lang. Dann fährt der Zug in den Hamburger Hauptbahnhof ein. Sie klappt das Notebook zu. Ich war für sie keine Muse, denn noch immer besteht der Text nur aus dem angefangenen Satz. Vielleicht hätte ich mich einmischen und ihr einen Ratschlag als im Bügeln von Hemden erfahrener Hausmann geben sollen. Auch habe ich inzwischen einen ersten Satz für ihren Text: Bücher über unnütze Ratschläge gibt es wie Sand am Meer, aber das Bügel-Buch von XY sticht heraus wie ein Seeigel am Strand. Diese Idee hätte ich gern mit ihr diskutiert. Aber dafür ist es jetzt zu spät.