© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Perverse Logik des Terrors
Nach dem Massenmord von Christchurch führen einfache Antworten und Symbolpolitik nicht weiter
Kurt Zach

Fünfzig Tote. Fünfzig Menschen, vom Kleinkind bis zum Greis, von einem kaltblütigen Mörder heimtückisch aus dem Leben gerissen. Fünfzig Schicksale von Individuen und ihren Familien, über die der Attentäter namenloses Leid gebracht hat. Kein denkender und fühlender Mensch, den da nicht Mitleid und Entsetzen packt.

Doch auch nach diesem monströsen Terroranschlag, bei dem ein Fanatiker während der Gebetsstunde fünfzig Personen in zwei Moscheen in der neuseeländischen Großstadt Christchurch erschossen hat, schlägt zunächst die Stunde der einfachen Antworten, drängen sich die billigen Instrumentalisierer in den Vordergrund.

Die gleichen Leute, die nach jedem islamistischen Terroranschlag versichern, Terror im Namen Allahs habe nichts mit dem Islam zu tun, wissen nach dem Blutbad von Christchurch sofort, daß der weiße Mann im allgemeinen und „Rassismus“ und „Islamophobie“ im besonderen daran die Schuld trügen, und brandmarken Islamkritiker, Einwanderungsskeptiker und Multikulti-Gegner pauschal als geistige Mittäter.

Einfache Antworten bevorzugt auch Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern, die zum Kondolenzbesuch bei der islamischen Gemeinde in der Al-Noor-Moschee – die vor einigen Jahren als Radikalisierungsort für al-Qaida-Kämpfer in die Schlagzeilen gekommen war – demonstrativ in islamkonformer Verhüllung erschien; kurz darauf kündigte sie eine Verschärfung der neuseeländischen Waffengesetze an.

Beides ist oberflächliche Symbolpolitik. Erschwerter legaler Zugang zu Schußwaffen hat noch keinen Terroristen aufgehalten; schon gar nicht, wenn der, wie über den aus Australien stammenden Attentäter kolportiert wird, seine Tat Monate im voraus plante und über eine militärische Kampfausbildung verfügen soll.

Und wer routiniert die zum Überdruß bekannte Melodie anstimmt, Haß und Gewalt gingen ausschließlich auf Ablehnung des Islam und auf mangelnde Offenheit gegenüber Einwanderung und „Diversität“ zurück, wer jedes skeptische Wort zu Einwanderung und Islamisierung mit dem Verdikt „Haß“ und „Hetze“ belegt und jeden, der die Multikulturalisierung und ethnische Fragmentierung westlicher Gesellschaften nicht vorbehaltlos begrüßt, zum Gesinnungskomplizen und Schreibtischtäter der Gewalt gegen Einwanderer und Muslime macht, der spielt letztlich das Spiel des Attentäters.

Den Todesschützen verbindet mehr mit islamistischen Terroristen, als den Freunden einfacher Antworten lieb sein kann. Sie sind Brüder im Ungeist. Dafür spricht schon die akribische Inszenierung und skrupellose mediale Verwertung der Tat. Das perfide, aus Täterperspektive gefilmte Video des Gemetzels, das bis zur konzertierten Löschung millionenfach im Netz kursierte, ist ein direktes Echo von Enthauptungsvideos des „Islamischen Staats“ und anderen Scheußlichkeiten aus der Höllenküche des islamischen Terrors.

In seinem obskuren „Manifest“ bezeichnet sich der Christchurch-Attentäter als „Ethno-Nationalist“ und „Öko-Faschist“, der sich auf kontroverse Figuren von links wie von rechts beruft und angibt, Muslime zu hassen, aber auch Konservative. Er drückt also bewußt Knöpfe und Auslöser in der Absicht, die Gesellschaft zu spalten und Gruppen gegeneinander aufzubringen. Er tut das – auch darin den Islam-Terroristen nur allzu ähnlich – in der Erwartung, extreme Gegenreaktionen zu provozieren, die in Chaos und Bürgerkrieg münden.

Schuld und Verantwortung des Terroristen ist stets individuell, ob nun ein rassistischer Extremist in Neuseeland Muslime erschießt oder ein Islamist mit Bomben, Lastwagen oder Äxten Christen und „Ungläubige“ tötet. Der Nährboden, auf dem sich in der westlichen Welt solche verbrecherischen Charaktere in ihren Haß hineinsteigern, bis sie sich außerhalb alles Menschlichen stellen, ist aber vom ideologischen Menschenexperiment des Multikulturalismus nicht zu trennen, der Entwurzelte importiert und Einheimische entwurzelt und mit Zwang und Umerziehung einen neuen Menschen schaffen will. Die Saat geht auf, wenn westliche Intellektuelle einem besonnenen Islamkritiker wie Hamed Abdel-Samad nach Christchurch Haßbotschaften schicken und ihn persönlich verantwortlich machen. „Wenn ihr nicht den islamistischen Terror, die Integrationsmisere, die Unterwanderungsversuche der Islamisten im Westen, die ungesteuerte Migration, die Globalisierung und die Angst vor dem Abstieg, sondern alleine die Islamkritik für Haß gegen Muslime verantwortlich macht, dann werdet ihr weder den Haß im Islam noch den Haß gegen Muslime jemals bekämpfen können“, hält Abdel-Samad dagegen.

Doch genau das geschieht, wenn als Reaktion auf das Moschee-Massaker die Käseglocke, unter der muslimische Befindlichkeiten zum alleinigen Maßstab des gesellschaftlichen Diskurses erhoben wurden, nur noch fester heruntergedrückt wird. Während die Welt sich über Christchurch entsetzte, wurden in Nigeria wieder rund 50 Christen von Islamisten ermordet. Gewiß, dieser Anschlag fand, wie die meisten muslimischen Terrorakte, in der außereuropäischen Welt statt. Doch mit den Menschen, die aus dieser Welt in die westliche strömen, kommen auch die Mentalitäten, die diese Gewalttaten hervorbringen.

Der türkische Präsident Erdogan handelt wie vom Christchurch-Attentäter gewünscht, wenn er mit dessen Video seine Anhänger auf Wahlversammlungen aufpeitscht. Man werde „die Kreuzritter im eigenen Blut ersäufen“, sekundierte Erdogans noch radikalerer Bündnispartner. Am Montag griff im niederländischen Utrecht ein gebürtiger Türke zur Waffe und erschoß wahllos Fahrgäste in einer Straßenbahn. Die perverse Logik des Terrors dreht sich weiter. Der Moschee-Mörder von Christchurch ist darin nur ein kleines Rädchen.