© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

„Die wollten mich verrecken lassen“
Billy Six: Nach vier Monaten Haft ist der Reporter wieder in Deutschland – und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Regierung
Martina Meckelein

Die Kommunikation des Auswärtigen Amtes im Fall Billy Six war von Anfang an ein Desaster. Und seit Dienstag abend ist klar: Mit der Wahrheit nimmt man es im Ministerium nicht so genau oder gibt sich hilfsweise unwissend. Denn fest steht: Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat sich für die Freilassung Six’ eingesetzt. Genau dies hatte das Auswärtige Amt noch am Dienstag nachmittag gegenüber der JUNGEN FREIHEIT zurückgewiesen. 

Wenige Stunden zuvor im Haus der Bundespressekonferenz: Billy Six schaut nach viermonatiger Einzelhaft in Venezuela in die fragenden Gesichter seiner Kollegen. Er, der so lange zum Schweigen verdammt war, wollte seine Sicht der Dinge schildern. Es wurde eine harsche Abrechnung mit der Deutschen Botschaft in Caracas, dem Auswärtigen Amt und der Bundesregierung.

„Ich bin seit zwölf Tagen in völligem Ausnahmezustand“, beginnt Billy Six seine Schilderung, später wird er sagen, „ich war wirklich alleingelassen worden von den Leuten. Die wollten mich verrecken lassen, okay?“ Das Beben in der sonst sonoren Stimme ist ein Indikator für seine Betroffenheit. Hier sitzt ein zutiefst verletzter Mann, aber eben auch ein kampfeslustiger. Seine Forderung: „Ein deutscher Staatsbürger muß von seiner Regierung beschützt werden bei einem Notfall im Ausland.“

„Größter Gegner war die deutsche Regierung“

Rückblick: Am 16. März 2017 fliegt Billy Six im Auftrag von Joachim Siegerist, Herausgeber des Deutschland-Magazins nach Kanada. Er soll eine USA-Reportage schreiben: die Bürger und ihr Präsident Trump. Doch Six bekommt aufgrund seiner früheren Auslandseinsätze kein Visum. Von dort reist er nach Venezuela ein – ohne Visum und Akkreditierung. Von dort berichtet er unter anderem mehrfach für die JF. Nach einem Aufenthalt in Kolumbien kehrt er am 18. Oktober 2018 nach Venezuela zurück. Dort wird er einen Monat später von Einheiten des Militärgeheimdienstes DGSIM im Hotel „Los Taques“ in Punto Fijo festgenommen – ohne Haftbefehl.

„Noch in Ponte Fijo wurde ich vor ein Militärtribunal gestellt“, sagt Six der jungen freiheit. Er habe, so der Vorwurf, am 5. Juli 2017 und 2018 beim Unabhängigkeitstag Fotos von Militärparaden gemacht, er habe im Mai 2018 Staatspräsident Nicolás Maduro auf einer Wahlkampfveranstaltung innerhalb einer Sicherheitszone fotografiert und er solle Kontakt zur kolumbianischen Guerilla-Gruppe Farc aufgenommen haben. Es drohen 28 Jahre Haft. Venezuela stellt für das Tribunal eine Militäranwältin. Noch am selben Tag wird Six an den Bolivarischen Nationalen Nachrichtendienst Sebin, den Geheimdienst Venezuelas übergeben und in das Gefängnis Helicoide in Caracas überstellt.

Vier Monate wird er hier leben. Einzelzelle, selten ein Schachspiel mit seinen Bewachern. Währenddessen erlangen seine Eltern, die auf Weltreise sind, Kenntnis von seiner Inhaftierung. Es beginnt der Kampf um Billy Six’ Freilassung. Und der wird zu einem Politikum. Billy Six skizziert ihn wie folgt: „Mein größter Gegner war nicht der Diktator von Venezuela, sondern die deutsche Regierung.“

So sei der Besuch des Botschafters im Gefängnis nur auf Druck des venezolanischen Geheimdienstes zustande gekommen. Dringend benötigte Medikamente hätten Botschaftsmitarbeiter nicht vorbeigebracht. Die Vertretung durch einen Vertrauensanwalt wird nicht durch die Botschaft, sondern eine Menschenrechtsorganisation ermöglicht – und das pro bono. Niemals hätte das Auswärtige Amt Billys Freilassung verlangt, nur eben ein rechtsstaatliches Verfahren. Erst durch Druck des russischen Außenministers, aufgrund einer Initiative des AfD-Bundestagsabgeordneten Peter Bystron, sei es zur Freilassung gekommen.

Harsche Vorwürfe, die das Deutsche Auswärtige Amt zurückgewiesen hat. In einer Regierungs-Pressekonferenz noch am Montag, dem 18. März, also an dem Tag, an dem Billy Six in Berlin landete, sagte eine Mitarbeiterin des Deutschen Auswärtigen Amtes: „Was ich gerne sage und auch noch einmal betone, ist, daß sich die Deutsche Botschaft von Beginn der Inhaftierung von Billy Six an für seine Freilassung eingesetzt hat und den Fall engstmöglich, so eng es die Umstände zuließen, betreut hat. Es hat insgesamt vier Haftbesuche gegeben. Die Haft war, glaube ich, insgesamt knapp vier Monate lang. Wir haben uns dort im steten Kontakt mit den zuständigen Behörden ins Zeug gelegt, und die Botschaft hat Herrn Six auch das ganze letzte Wochenende lang bis zur Ausreise Tag und Nacht begleitet. Wir haben das uns Mögliche getan, damit er sicher außer Landes kommt.“ 

Die Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes gegenüber der Presse lauteten über Wochen gleich: „Der Fall Six ist dem Auswärtigen Amt bekannt. Die Botschaft Caracas betreut ihn konsularisch.“ Das Ministerium erklärte seine Einsilbigkeit immer mit Hinweis auf den Schutz der  Persönlichkeitsrechte des Betroffenen.

Ist es da ein Wunder, daß die besorgten Eltern selbständig agierten? Daß sie Demonstrationen organisierten? Daß sie alle 709 Bundestagsabgeordneten und auch alle Parteien anschrieben und um Hilfe baten? Noch einen Tag vor Billys Freilassung standen sie mit 60 Sympathisanten vor dem Auswärtigen Amt, schwenkten „Free Billy“-Fahnen. 

Am Donnerstag wurde ein Entschließungsantrag im Landtag Brandenburg behandelt. Billys Eltern waren extra dazu angereist. Edward Six: „Der Antrag sollte die Landesregierung auffordern, auf die deutsche Regierung einzuwirken, den diplomatischen Schutz endlich auszuüben. Doch die Fraktionen der CDU, Linken und der SPD lehnten ihn ab, die Grünen enthielten sich. Weil der Antrag von der AfD eingebracht wurde.“

AfD-Politiker Bystron und seine Frau schalten sich ein

Auf der Pressekonferenz am Dienstag sagte Edward Six: „Wir wollten nicht dieses Stigma links-rechts.“ Doch nur ein Abgeordneter der Linken und ein CDU-Abgeordneter setzten sich, so der Vater, dann für Billy ein – und die AfD. „Mein Mann und ich saßen beim Abendbrot und unterhielten uns über den Fall“, sagt Stepanka Bystron der Jungen Freiheit. Und ihr Mann Petr Bystron ergänzt: „Im Fall des in der Türkei inhaftierten und später freigelassenen Journalisten Deniz Yücel hatte die Regierung doch sofort die Freilassung gefordert.“ Seine Frau kontaktierte deshalb vor knapp zwei Wochen einen alten Bekannten. „Ich arbeitete bis vor 20 Jahren im diplomatischen Dienst. Ich habe aus dieser Zeit noch einen guten Bekannten, der in der Russischen Botschaft in Wien arbeitet, den fragte ich, ob er helfen könne.“ Der Diplomat erklärte sich, so Bystron, bereit, zwei Briefe der Eltern, die den Fall Six schildern, dem russischen Außenminister zu übergeben. 

Gleich am Tag danach, während des bilateralen Treffens mit dem venezolanischen Außenminister in Wien hat Lawrow den Fall Billy Six direkt angesprochen. „Ende vergangener Woche bekam ich dann die Rückmeldung, daß Billy Six sich dem zivilen Prozeß in Caracas stellen sollte. Dort würde dann die Entscheidung fallen, daß er auf freien Fuß gesetzt werden würde, um das Land so schnell wie möglich zu verlassen.“

Billy Six schildert die Situation um das Zivilverfahren folgendermaßen: „Ich wollte nicht dort hin, ich traute denen nicht, dachte, es sei eine Farce.“ Doch das war es nicht. Billy Six wurde freigelassen. Am 12. März unterschrieb Außenminister Heiko Maas einen zweiseitigen Brief an die Eltern Six. In ihm versichert der Außenminister den Eltern, „daß sich sowohl die Botschaft Caracas als auch das Auswärtige Amt seit der Inhaftierung Ihres Sohnes intensiv und auf höchster Ebene für seine Rechte einsetzen.“ Auf der letzten Seite steht: „Die Botschaft steht hinsichtlich einer weiteren Verbesserung der Haftbedingungen ihres Sohnes in Kontakt mit der Haftanstalt und dem venezolanischen Außenministerium.“

Ist es da verwunderlich, wenn Edward Six dem Auswärtigen Amt vorwirft, nicht gegen die Inhaftierung seines Sohnes protestiert zu haben? Der Vater will jetzt gerichtlich gegen das Außenministerium vorgehen. Auf der Pressekonferenz sagte er, daß er wegen mangelnder Unterstützung seines Sohnes durch die Bundesregierung eine Fortsetzungsfeststellungsklage einreichen wolle.

Billy Six sagte: „Ich möchte erreichen, daß nie wieder einem deutschen Staatsbürger passiert, was mir passiert ist, sondern daß wir uns hundertprozentig auf die deutsche Regierung verlassen können.“





Chronik 

17/19. November 2018

Billy Six wird von Einheiten des venezolanischen Militärgeheimdienstes in Punto Fijo festgenommen – ohne Haftbefehl. Der Vorwurf (unter anderem): Six habe im Mai 2018 Präsident Nicolás Maduro im Wahlkampf innerhalb einer Sicherheitszone fotografiert. Es drohen 28 Jahre Haft. Verlegung ins Geheimdienstgefängnis El Helicoide.

24. November

Die Eltern informieren die deutsche Botschaft und das Auswärtige Amt. 

12. Dezember

„Reporter ohne Grenzen“ fordert öffentlich, Six aus der Haft zu entlassen. 

14. Dezember

Erster telefonischer Kontakt zwischen Billy Six und der Deutschen Botschaft in Caracas.

24. Dezember

Der zuvor längere Zeit in der Türkei inhaftierte Journalist Deniz Yücel setzt sich auf Twitter für Six ein. 

9. Januar 2019

Erster Haftbesuch der Botschaft

8. Februar

Zweiter Haftbesuch der Botschaft

26. Februar

Verhandlung vor dem Militärgericht. Dies erklärt sich für nicht zuständig, Überweisung des Falls an ein Zivilgericht.

6. März 

Dritter Haftbesuch der Deutschen Botschaft. 

12. März

Vierter Haftbesuch der Deutschen Botschaft. 

13. März 

UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet besucht das Gefängnis

14. März

Rußlands Außenminister Sergej Lawrow macht sich in Wien gegenüber seinem Amtskollegen aus Venezuela, Jorge Arreaza, für Billy Six stark.

15. März

Verhandlung vor dem Zivilgericht in Caracas. Die Richter setzen Six gegen Auflagen auf freien Fuß. 

17. März

Billy Six kann Venezuela per Flugzeug um 14.15 Uhr deutscher Zeit verlassen.