© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

„Order“, zum zweiten
Brexit: Eine Anordnung aus dem 17. Jahrhundert macht May einen Strich durch die Austrittsrechnung
Josef Hämmerling

Der Brexit ist mittlerweile gleichbedeutend mit Chaos. Hatte die britische Premierministerin Theresa May ihren mit der EU-Kommission ausgehandelten Austrittsvertrag eigentlich am Dienstag oder Mittwoch noch ein drittes Mal vor dem Parlament zur Abstimmung bringen wollen, machte ihr Parlamentspräsident John Bercow am Montag abend einen Strich durch die Rechnung: Unter Berufung auf eine Anordnung aus dem 17. Jahrhundert untersagte Bercow eine erneute Abstimmung, sofern der Vorschlag „gleichlautend“ oder „substantiell gleich“ mit einem früheren Antrag sei. Handele es sich dagegen um einen neuen Vorschlag, sei „alles in Ordnung“.

 Mehrere konservative Abgeordnete reagierten wütend auf die Entscheidung Bercows, dem von vielen schon seit längerem eine zu EU-freundliche Haltung vorgeworfen wird. So meinte Tory-Abgeordneter James Gray, er sei „total wütend“ auf Bercow. Und sein Parteikollege Robert Buckland konstatierte, Großbritannien befinde sich jetzt in einer „konstitutionellen Krise“.

 „Besser eine Ehrenrunde als ein harter Austritt“

Während im Vereinigten Königreich nicht ersichtlich ist, daß der Brexit jemals vorankommt, berieten die Außenminister der übrigen 27 EU-Staaten in Brüssel über das, was dann folgen würde. Eine endgültige Entscheidung wird allerdings erst vom Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag erwartet. Hierbei könnte Italien eine Schlüsselrolle zukommen: Allgemein wird erwartet, daß die 26 anderen Ländern einer Verschiebung des Brexits – wie von May gewollt – zustimmen würden. Laut Aussage des EU-Parlamentsabgeordneten und früheren UKIP-Vorsitzenden Nigel Farage gebe es dagegen eine Absprache mit „dem starken Mann der italienischen Regierung“, Innenminister Matteo Salvini, wonach Rom eine wie auch immer geartete Verlängerung der Brexit-Frist ablehnen werde. „Dann ist das Spiel beendet“, kommentierte der Brexit-Beauftragte der Europäischen Volkspartei (EVP), Elmar Brok (CDU). Gleichzeitig sprach sich Brok für einen Aufschub bis maximal zum 23. Mai aus, da Großbritannien anderenfalls an der Wahl des Europaparlaments teilnehme. Und dies sei „unerträglich“.

Die restlichen EU-Außenminister möchten zwar auch einen harten Brexit verhindern, zeigen sich aber optimistisch, daß dieser zu bewältigen sei. So sagte Belgiens Außenminister Didier Reynders: „Wir sind vorbereitet.“ Zwar wäre ein harter Brexit „eine Lose-Lose-Situation“, aber „die Gesetze für den Fall, daß es zu einem ‘No Deal’ kommt, sind verabschiedet“. So hatten sich EU-Parlament und EU-Rat in den vergangenen Tagen über 17 Vorschläge geeinigt oder sie förmlich angenommen. Bei zweien laufen die Arbeiten noch. Zu den angenommenen Regelungen gehören rechtliche Garantien für derzeitige Erasmus-Studenten und Lehrer im oder aus dem Vereinigten Königreich, um ihre laufenden Stipendien im Ausland abzuschließen, die weitere Finanzierung des PEACE-Programms in Nordirland sowie Bestimmungen zur Aufrechterhaltung grundlegender Dienste im Luft-, Reisebus- und Güterkraftverkehr zwischen der EU und Großbritannien. Zudem soll Fischern der gegenseitige Zugang zu britischen und EU-Gewässern über ein vereinfachtes Verfahren bis Ende 2019 gesichert werden. Diese hätten Anspruch auf Ausgleichszahlungen, wenn sie plötzlich nicht mehr in britischen Gewässern fischen dürften.

Dagegen will Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) einen „No Deal“ unbedingt verhindern. Da die EU-Kommission eine Verlängerung der Austrittsgespräche vor allem davon abhängig macht, ob eine solche sinnvoll sei, fordert Maas die Briten auf, so schnell wie möglich Argumente zu liefern. „Bevor es zu einem ‘harten Brexit’ kommt, ist es auf jeden Fall sinnvoller, noch eine Ehrenrunde zu drehen, als sich mit dem auseinanderzusetzen, was ein ‘harter Brexit’ bedeutet: nämlich viele Nachteile auf beiden Seiten“, so der SPD-Politiker. Nicht ganz so optimistisch ist der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) für die im Mai anstehenden Europawahlen, Manfred Weber. Auf einer Veranstaltung der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft in München warnte Weber London: „Der Geduldsfaden ist am Reißen.“

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