© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Das Mittel heiligt den Zweck
Eurokrise: Auch ohne Bargeldverbot sind anhaltende Negativzinsen durchsetzbar / Währungsreform „light“?
Dirk Meyer

Die Absenkung der Meldepflicht für Bargeschäfte auf zehntausend Euro, der Ausgabestopp des Fünfhunderters bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und die Annahmeverweigerung des Zweihunderters in zahlreichen Geschäften. Bargeldbeschränkungen in Euroländern (Frankreich: 1.000 Euro, Italien: 3.000 Euro; Österreich 500 Euro bei Bauleistungen oder Ähnliches in Portugal, Griechenland, Spanien und Belgien) – all das hat es nicht geschafft: Bargeld bleibt nach einer Bundesbank-Studie in Deutschland trotz eines langfristigen Trends hin zum elektronischen Bezahlen das beliebteste Zahlungsmittel.

Während bei 78 Prozent der Zahlungsvorgänge des Einzelhandels in bar bezahlt wird, nutzen lediglich 21 Prozent die Kartenzahlung. Hinzu kommen günstige Kosten (Kassierzeit, Geldtransport, Verwaltung) pro Zahlungsvorgang: Barzahlung 24 Cent und Girocard/Lastschrift 33 Cent. Bei der Kreditkarte wird hingegen etwa ein Euro fällig.

Psychologische Vorbereitung auf negative Sparzinsen?

Da offenbar viele weiterhin am Bargeld hängen, dringt nun aus den Reihen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EZB eine Idee (JF 9/18), die künftig zwei Preisauszeichnungen im Supermarkt zur Folge haben könnte: die höhere bei Bargeldzahlung, die niedrigere bei Kartenzahlung – undenkbar? Keinesfalls! Die abflauende Konjunktur macht Zentralbanken mit einem Leitzins von Null (EZB) oder gar einem Negativzins (Schweiz -0,25 bis -1,25 Prozent, Schweden -0,5 Prozent, Japan -0,1 Prozent) erhebliche Sorgen.

Nicht das Ausmaß einer angemessenen Leitzinssenkung zur Kreditverbilligung bereitet Kopfzerbrechen. Es ist vielmehr die Frage: Ist eine Leitzinssenkung weit in den negativen Bereich noch wirksam? Denn der negative Hauptrefinanzierungszins einer Zentralbank, an den der Einlagenzins für Giro- und Sparkonten gekoppelt ist, hat eine natürliche Grenze – die Kosten der Bargeldhaltung. Banken wie Privatkunden können ihre Wertaufbewahrung auf Bargeld umstellen, wenn die „Verwahrgebühr“ bei Banken zu hoch wird. Allerdings fallen hier Transport-, Tresor- und Versicherungskosten an. Mit dem derzeit von der EZB und einigen Geldhäusern erhobenen Strafzins von minus 0,4 Prozent pro Jahr scheint die Schwelle erreicht, denn einige Banken und vermögende Privatkunden horten bereits erhebliche Bargeldbestände. Dies zumeist in Form der 500-Euro-Banknote. Doch am 26. April wird der violettfarbene Schein letztmalig von der Bundesbank ausgegeben und müßte zur Wertaufbewahrung zukünftig durch den Zweihunderter ersetzt werden. Infolge der dann knapp 2,5fachen Kosten wäre der EZB wieder ein kleiner Spielraum beschert.

Findige Ökonomen des IWF (Ruchir Agarwal und Signe Krogstrup) und der EZB (Katrin Assenmacher) haben deshalb die Idee präsentiert, Bargeld mit einer Sondersteuer zu belegen. Sie knüpft an das sogenannte Schwundgeld nach dem Freiwirtschaftslehrer Silvio Gesell (1916) an. Etwas vereinfacht schlagen sie Euro-Bargeld und Euro-E-Geld (Sicht- und Spareinlagen) als zwei Währungen mit festem Umtauschkurs vor. Das Bargeld würde in Höhe des negativen Leitzinses bzw. Tagesgeldsatzes (Euro Overnight Index Average/Eonia) gegenüber dem Euro-Buchgeld abgewertet.

Beträgt der Leitzins bspw. minus drei Prozent, wären Scheine und Münzen pro Jahr gegenüber dem E-Geld drei Prozent weniger wert. Das Halten von abgewertetem Bargeld wäre genauso (un-)attraktiv wie eine Einzahlung auf das Girokonto mit negativem Einlagenzins. Damit wäre dem Euro-Bargeldhalter die Alternative versperrt, einer Quasi-Enteignung zu entgehen, und die EZB hätte Handlungsspielraum zurückgewonnen.

Genereller Vertrauensverlust

De facto handelt es sich um zwei Euro-Parallelwährungen. Diese Währungsreform müßte in einer Änderung der EU-Verträge einstimmig beschlossen werden – was bei einigen Ländern auf Widerstand stoßen dürfte. Danach wären in einer weiteren EU-Verordnung niederzulegen: die Anerkennung beider Währungen als gesetzliches Zahlungsmittel; die Berechnung des Wechsel-/Umtauschkurses zwischen Bargeld und E-Geld; Regelungen für Altverträge sowie für Verträge, die den schuldbefreienden Euro nicht spezifizieren; sodann Verträge in fremder Währung. Allein die rechtliche Komplexität erfordert Aufklärung, soll das Vertrauen in die Währung nicht (weiter) erschüttert werden.

Fortan würde der E-Euro als Recheneinheit und Vertragswährung, insbesondere bei wiederkehrenden Leistungen dominieren. Der Euro-Bürger würde deshalb beim täglichen Einkauf voraussichtlich nur noch den E-Preis in der Warenauszeichnung auffinden. Da jedoch in Deutschland die Barzahlung dominiert, würden spätestens an der Kasse die aufaddierten Abwertungen des Bargeldes sichtbar. Entweder führt dieser psychologische Effekt zu einem generellen Vertrauensverlust in die Euro-Währung und/oder die Tendenz zur bargeldlosen Zahlungsweise würde verstärkt. In jedem Fall benötigte die EZB enorme Kommunikationsanstrengungen, um Akzeptanz zu erreichen.

Zwar soll bei Leitzinsen über Null eine entsprechende Bargeld-Aufwertung erfolgen. Doch gerade wegen der Schwierigkeiten eines Ausstiegs aus der Nullzinspolitik entstand der Vorschlag einer Bargeldabwertung. Da die EZB mit Blick auf die Euro-Krisenstaaten die Macht über eine Zinserhöhung verloren zu haben scheint, wirkt der Negativzins als Sperrklinke. Jede Rezession oder Krise schafft ein neues Negativzinsniveau, das als Basis für zukünftige Zinssenkungen dienen muß. Allein die Annahme eines dauerhaften Leitzinses von minus fünf Prozent würde – ohne jegliche Inflation, die zur Kaufkraftentwertung noch hinzukäme – alle 14 Jahre eine Halbierung des Bargeld-Eurokurses bewirken.

Die Kollateralschäden dieser fortgeführten Negativzinspolitik für Sparer und die Geschäftsmodelle von Lebensversicherungen und Banken bleiben in diesem kreativen, aber kaum innovativen Ansatz zukünftiger Währungspolitik unbeachtet. Weitaus schwergewichtiger wiegen letztendlich negative Anleihezinsen für Unternehmen und Staaten. Zwar gab es Perioden negativer Realzinsen von bis zu minus zwei Prozent (Spareckzins) bereits vor der Euro-Einführung, doch brachten die Risikoprämien den Anleihezins zurück ins Plus. Nun drohen Kapitalvernichtung durch Investitionen mit negativer Wertschöpfung und ausuferndem, schuldenfinanziertem Sozialstaat. Das Mittel heiligt den Zweck – die Währungsunion in ihrer jetzigen Zusammensetzung an Mitgliedern. Nationale Parallelwährungen mit flexiblen Wechselkursen wären der bessere Weg, denn sie entlasten die EZB aus ihrer Rolle, für alle 19 Eurostaaten die passende Geldpolitik schneidern zu müssen.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.





Schnellere Zahlungen mit Bargeld

Ohne Bargeld gäbe es weniger Schwarzarbeit, Steuerbetrug, illegale Geschäfte und Geldwäsche, argumentieren Politiker. Bargeld ist teuer und wegen der auf Geldscheinen lauernden Bakterien ungesund, sagen beispielsweise Kreditkartenanbieter. Dennoch ist Bargeld in Deutschland weiterhin das beliebteste Zahlungsmittel – und es spart sogar Zeit, wie eine Bundesbank-Studie zeigt. Zumindest bis zu einem Zahlungsbetrag von 100 Euro. Erst bei Beträgen darüber erweisen sich Kartenzahlungen als schneller. Und Barzahlungen bis 50 Euro seien auch kostengünstiger, da die Fixkosten im Vergleich zur elektronischen Abrechnung im Durchschnitt niedriger seien. Jährlich werden an den Kassen des deutschen Einzelhandels rund 20 Milliarden Zahlungen getätigt – drei Viertel davon in bar. Auch gemessen am Gesamtumsatz von 410 Milliarden Euro (2018) liegen Barzahlungen mit einem Umsatzanteil von rund 51 Prozent vorne.

Bundesbank-Studie „Kosten der Bargeldzahlungim Einzelhandel“ (2/19):  www.bundesbank.de/