© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Aufschwung und Umschwung
„Neue Seidenstraße“: Thailand, ehemals treuester Verbündeter der USA in der Region, wendet sich zunehmend Richtung China
Hinrich Rohbohm

Der Himmel ist wolkenlos. Strahlender Sonnenschein. Dennoch hängt eine gelbe Dunstglocke über Bangkok. Smog. Der schlimmste, den die thailändische Hauptstadt je erlebt hat. Wochenlang müssen ihre Einwohner heiße, schmutzige und stickige Luft ertragen. Anhaltende Windstille hatte im vergangenen Monat dafür gesorgt, daß sich aufgrund der permanenten Massen an Autoabgasen und des Baubooms in der Stadt ein regelrechter Grauschleier über die Millionenmetropole gelegt hat. 

Die Luftqualität hatte sich dermaßen verschlechtert, daß Wissenschafter sie als „ungesund“ einstuften. Die Stadtverwaltung schloß deshalb vorsorglich 400 Schulen. Zahlreiche Menschen verließen ihre Wohnung nur noch mit Mundschutz oder Atemschutzmasken. Das Gesundheitsministerium riet von Aktivitäten im Freien ab. Bangkoks Gouverneur rief sogar eine Luftverschmutzungskontrollzone aus, in der Straßen und Baustellen geschlossen und das Entfachen privater Feuer untersagt werden konnten.

Hochgeschwindigkeitszüge aus chinesischer Hand

Anek Taohom quält sich in diesen Tagen mit seinem Mitsubishi-SUV durch den einmal mehr nahezu vollkommen zum Erliegen gekommenen Innenstadtverkehr, eingereiht in nicht enden wollenden Autoschlangen. „Zwischen 16 und 20 Uhr geht nichts mehr“, sagt er. Immer mehr Leute steigen deshalb auf Metro und Skytrain um, die modernen öffentlichen Verkehrsmittel Bangkoks. Die Züge können die Massen an Mitfahrern kaum bewältigen. „Alles hoffnungslos überfüllt zu dieser Zeit“, erklärt der Einzelunternehmer, der mit seinem Wagen zumeist Touristen und Geschäftsleute chauffiert. Gut möglich, daß er bald weniger Kundschaft haben wird.

Denn die schlechte Luft und die verstopften Straßen haben zu steigender Unzufriedenheit besonders unter Bangkoks Mittelschicht geführt, die die thailändische Militärregierung mit Sorge betrachtet. Mit Hochdruck treibt sie daher den Ausbau neuer Strecken für den Schienenverkehr voran. Sowohl den für den Nahverkehr Bangkoks als auch den Überlandverkehr mit Hochgeschwindigkeitszügen. Premierminister Prayut Chan-o-cha kündigte schon vor zwei Jahren an, Thailand zu einem „regionalen Verkehrsknotenpunkt“ für den Schienenverkehr auszubauen. 

Ein Unterfangen, bei dem vor allem China nur allzu gern bereit ist, Unterstützung zu leisten. Dessen Billionen-Dollar teure „Belt and Road“-Offensive, die der Öffentlichkeit zumeist als neue Seidenstraße von Asien nach Europa verkauft wird, paßt da genau ins Konzept. Und so lockt das Reich der Mitte auch in Thailand mit Investitionen und Krediten, finanziert den Ausbau einer knapp 900 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsstrecke von der thailändisch-laotischen Grenze bis nach Bangkok. Das Ziel: Mit 250 Kilometern die Stunde sollen schon bald Hochgeschwindigkeitszüge sogar bis nach Singapur fahren. 

Umgerechnet knapp eine Milliarde Euro chinesischer Staatsanleihen stellt das Reich der Mitte den Mekong-Ländern Thailand, Kambodscha, Laos, Vietnam und Myanmar zur Verfügung. Und gewinnt auf diese Weise zunehmend an politischem Einfluß in der Region. „Der Anteil Chinas an ausländischen Investitionen steigt kontinuierlich an“, erklärt ein hoher Mitarbeiter des thailändischen Wirtschaftsministeriums gegenüber der JF. Mit der Höhe des Investitionsanteils steige aber auch der Druck der Supermacht in außenpolitischen Fragen. 

„In bezug auf Positionen im konflikt­reichen Chinesischen Meer und den Auseinandersetzungen Pekings mit Washington schwenkt die Militärregierung zusehends hinüber zu den Interessen der Volksrepublik“, kritisieren Anhänger der Opposition. So gelingt es dem Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) inzwischen nicht mehr, sich auf eine Position zur Eindämmung chinesischer Machtambitionen zu verständigen, da sich Staaten auf Druck Pekings querstellen und ihr Veto einlegen. 

Thailand galt bisher stets als treuester Verbündeter der Vereinigten Staaten in Südostasien. Doch als 2014 die Militärregierung unter Premierminister Prayut Chan-o-cha an die Macht kam, war die Obama-Administration auf Distanz zum Land des Lächelns gegangen. Ein verheerender Schritt, den Obama auch bei einem weiteren stets loyalen Verbündeten wiederholte, als auf den Philippinen Rodrigo Duterte zum Präsidenten gewählt wurde. Die Folge: Durch den Rückzug der USA wendeten sich die beiden Länder verstärkt der Volksrepublik China zu.

Sogar gemeinsame Militärmanöver und Waffengeschäfte zwischen Thailand und China waren die Folge. Die Militärregierung kaufte inzwischen sogar drei chinesische U-Boote der Yuan-Klasse vom Typ S26T im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar. Ein Vorgang, der die Amerikaner aufs höchste alarmierte. Denn dadurch werde es dem chinesischen Militär ermöglicht, Zugang zur in der Nähe von Pattaya befindlichen wichtigen Militärbasis in Sattahip zu erhalten. Es ist die größte Marinebasis der Royal Thai Navy. Regelmäßig hält die amerikanische Marine hier Militärmanöver ab. Für die Vereinigten Staaten ein sensibler Bereich. 

China baut einen neuen Kanal am Isthmus von Kra 

Auch ein weiteres Zukunftsprojekt könnte die Machtverhältnisse in Südostasien einschneidend verändern. So plant China, einen Kanal mit Schleusensystem am Isthmus von Kra zu bauen. Das Gebiet im Süden von Thailand ist der engste Landstrich, der den Golf von Siam vom Indischen Ozean trennt. „Wenn die Chinesen im gleichen Tempo wie bisher vorgehen, dann könnte das Projekt schon in fünf Jahren realisiert sein“, prognostiziert unser Informant aus dem Wirtschaftsministerium. Die Chinesen könnten dadurch den deutlich längeren Seeverkehr durch die Straße von Malakka bei Singapur umgehen und abkürzen. Ein enormer Handelsvorteil, der dann ebenso unter der Kontrolle Pekings stünde wie die kambod­schanische Hafenstadt Sihanoukville auf der gegenüberliegenden Seite des Golfs von Siam. 

„Wird das Projekt verwirklicht, steht Thailand endgültig unter der Kontrolle Chinas“, kritisiert ein Oppositionsvertreter. Entsprechend zurückhaltend verhält sich die Militärregierung derzeit in dieser Frage. Denn am 24. März wird in Thailand ein neues Parlament gewählt. Es ist die erste Wahl, seitdem das Militär 2014 die Macht im Land übernommen hatte (siehe Infokasten).

Keine Rücksicht auf Wahlen muß dagegen die chinesische Regierung in Peking nehmen. In der kommunistischen Diktatur trat dieser Tage der Volkskongreß zusammen. Nach außen sind es die üblichen Lobesarien auf Staatspräsident Xi Jinping und die KPC, die von Parteifunktionären verlesen werden. Scheinoppositionelle, wie der Hongkonger Vertreter Michael Tien dürfen dann gelegentlich zu Wort kommen und ihre Alibi-Kritik vortragen. Eine Farce, die allein schon eine Aussage Tiens verdeutlicht: „Ich würde niemals wagen, die Position der Kommunistischen Partei Chinas in Frage zu stellen. Ich würde niemals für ein Mehrparteiensystem eintreten.“ 

Auch die scheinbare wirtschaftliche Öffnung des Landes steht mehr denn je unter dem Diktat der Kommunistischen Partei. Jedes Unternehmen steht unter der Aufsicht eines KP-Funktionärs, keine relevante ökonomische Entscheidung ist möglich, ohne zuvor grünes Licht von der Partei zu erhalten. Hinter den Kulissen des Volkskongresses dürfte es jedoch dieser Tage um entscheidende Weichenstellungen im Hinblick auf die weitere Expansion und hegemonialen Bestrebungen Chinas gehen. 

KPC-Kader wohnen  gut gesichert und luxuriös

Neben dem Volkskongreß in Peking tagen derzeit auch die Kongresse in den Provinzen. So auch in Kunming, der Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Yunnán. Abgeschieden und abgeriegelt von der Bevölkerung tagt man hier auf einem riesigen Areal im Edel-Stadtteil von Xishan. Eine Schranke versperrt die Zufahrt auf das im Parteibesitz befindliche Hotel, das in eine riesige luxuriöse Gartenlandschaft eingebettet ist. Wachpersonal kontrolliert die Einfahrenden, Ausweise müssen vorgezeigt werden. Überall auf dem Gelände patrouilliert Sicherheitspersonal. Wer mit dem Wagen anhält und aussteigt, ruft umgehend Wachleute auf den Plan.

Rund um das Hotel stehen Hunderte prunkvoller Villen, die von hohen Mauern umgeben sind. Auch sie befinden sich im Besitz der KPC. In der Villa mit der Hausnummer 1 wohnt Staatspräsident Xi Jinping, wenn er sich in Kunming aufhält. Die übrigen Villen sind ebenfalls hohen Parteikadern vorbehalten. Mächtige, zumeist verschlossene Metalltore stehen vor ihren Eingängen, hinter denen sich ebenfalls prachtvolle Gärten verbergen. Auf der Straße davor sind alle 50 Meter Videokameras installiert. Die Räume der Villen sind groß, das Mobiliar luxuriös. Miete müssen die Funktionäre im Gegensatz zur Bevölkerung nicht zahlen. Ein Areal, das sehr stark an den Ort Wandlitz in der DDR erinnert. Nur luxuriöser.

Lesen Sie in der kommenden JF im Wirtschafs-Ressort den dritten Teil dieser Reportage: „Die Neue Seidenstraße – Auswirkungen auf Deutschland und Europa“.