© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Pankraz,
das Buch, das Licht und die Öffentlichkeit

Bücher lesen heißt, Licht ins Leben bringen“, meinte ein zwar kleiner, aber leidenschaftlicher Verleger anläßlich der Eröffnung der Leipziger Buchmesse an diesem Mittwoch. Büchermacher seien geborene Beleuchtungsspezialisten. Sie kämen von Anfang an als Lichtbringer, als „Aufklärer“, die den religiösen „Dunkelmännern“ den Kampf ansagten und ihnen „heimleuchteten“. Das „Licht der Wissenschaft“ strahle viel heller als das angebliche, von innen herausstrahlende „Licht der Offenbarung“. Es dringe noch in den letzten Winkel vor und ziehe Dinge ans Licht, von denen die wenigstens geahnt hatten, daß es sie gibt.

Immerhin räumte der Leipziger Eiferer ein, daß auch schon vor der Erfindung des Buchdrucks und des modernen Verlegertums diverse Beleuchtungs- beziehungsweise Erleuchtungs-Spezialisten unterwegs gewesen seien. Die Menschen hätten eben von Anfang an eine tiefe Sehnsucht nach Licht gehabt. Alles, was mit Licht, mit Erleuchtung und Strahlenkranz zu tun hatte, wurde gepriesen, gefeiert, besungen, in Verse gefaßt. Sämtliche Religionen auf Erden waren Lichtreligionen. „Es werde Licht, sprach der HERR, und es ward Licht.“ Im Lichte zu wandeln, war identisch mit Erlösung und ewigem Leben.

Unsere Alltagssprache ist bis oben hin mit Lichtsymbolik angefüllt. Alle naselang geht jemandem „ein Licht auf“, und töricht ist – besonders heute  in der modernen Mediengesellschaft –, wer sein eigenes Licht „unter den Scheffel stellt“. Als höchste Tugend in der Mediengesellschaft gilt, etwas „ans Licht der Öffentlichkeit“ zu ziehen. Tagtäglich vernehmen wir Klagen darüber, daß lichtscheue Firmenleute oder katholische Großpfaffen sich geweigert hätten, tapferen und geduldigen Journalisten, welche bei ihnen anklopften, ordentlich Auskunft zu geben, ihnen endlich „ein Licht aufzustecken“.


Allerdings gibt es mittlerweile auch Gegenbewegungen.Viele Ökologen sprechen angesichts der vielen riesenhaften Illuminationen am Abend in den geschäftigen Stadtzentren ungeniert von „Lichtverschmutzung“, womit keineswegs eine Verschmutzung, Verfärbung oder Eintrübung des Lichtes selbst gemeint ist, sondern vielmehr eine Verschmutzung der Umwelt durch Licht. Aber auch der unideologische Laie merkt allmählich, daß „Licht pur“ in einer geradezu hämischen Kurve zur Finsternis zurückführt, daß das Licht die Dunkelheit, die Schatten und Halbschatten braucht, um wahrgenommen zu werden. 

Wir sehen nicht das Licht, sondern nur Beleuchtetes, und wir sehen es einzig deshalb, weil es die Dunkelheit gibt. Erst Licht und Schatten zusammen lassen für uns Welt entstehen. Ein von allen Seiten grell und gleichmäßig angeleuchteter Gegenstand entschwindet aus unserem Auge, seine Vorhandenheit muß von anderen Sinnen, in erster Linie vom Tastsinn, bezeugt und sichergestellt werden. Und das „pure Licht“ stiftet nicht nur Verwirrung der Sinne und Erkenntnisschäden, sondern hat auch schwere physiologisch-psychologische Giftpfeile im Köcher. 

Ein Übermaß an Licht führt zu fast unerträglichen Schmerzen, wie jeder Häftling weiß, dem beim Verhör die Verhörlampe permanent ins Gesicht gehalten wird. Man kann mit Licht foltern. Man kann mit ihm sogar (Laserstrahl) die härtesten Substanzen zerstören. Und was für die Physiologie, für die Körperwelt, gilt, gilt für die Psyche, die Seelenwelt, nicht minder. Licht, „Aufklärung“ und Laserstrahl allein zerstören. Es muß die Möglichkeit zur Verbergung dazutreten, zur Geheimnis-Stiftung, man muß in jedem Fall einen Absonderungsbereich haben, in dem man ganz für sich allein bleiben kann.

Das wichtigste Kommunikationsmittel des Menschen, die Sprache, ist ein Medium der Aufklärung wie der Verdunkelung gleichermaßen. Elaborierte Sprechweisen wie Poesie oder Liturgie verbergen im Grunde mehr, als sie enthüllen. Der Zustand von Informiertheit, den sie herstellen, ist in erster Linie  eine geheimnishaltige Annäherung an die gemeinte Sache statt ihre „Aufklärung“, ihre Ausleuchtung. Man bleibt im Vorhof der Wahrheit, bekommt eine Ahnung von ihr und wohnt sich allmählich in diesen Zustand ein, Licht und Dunkelheit verharren in ausgewogener Schwebe.


Nicht zuletzt die Wissenschaften, die Naturwissenschaft, Physik und Kosmologie, bestätigen diese Konstellation. All ihre Vermutungen über Energiebündelungen, Teilchenbeschleunigung und glaubhafte kosmische Modelle mündeten schließlich in der allgemein akzeptierten Installierung des Begriffs „dunkle Energie“. Über neunzig Prozent des Kosmos, so war man sich in allen Quartieren einig, sind „dunkle Energie“: Phänomene, die sich nicht ans Licht physikalischer oder sonstiger Theorien ziehen lassen. Seriöse Forschung ist nur möglich, wenn wir sie im teilweise Dunklen belassen.

Wohlgemerkt: Die Konstatierung dunkler Energie ist nicht das Eingeständnis wissenschaftlicher Ignoranz, sondern der schlichte Hinweis darauf, daß sich jede Wissenschaft (wie auch jedes andere Erkenntnisstreben)  stets nur im Vorhof einer ersehnten und erhofften Wahrheit bewegen kann und daß wir nur forschen können, wenn wir das  respektieren. Dunkle Energie ist nach den Worten Michael S. Turners, welcher den Begriff 1998 geprägt hat, „eine Verallgemeinerung der kosmologischen Konstanten, die die Forschung im Lauf der Jahrhunderte glaubhaft erörtert hat“.

Dies also ins Gästebuch der Leipziger Messe 2019. Die Geschäfte mit Büchern gehen zur Zeit bekanntlich miserabel, die Branche ist in Not und hat allen Grund, sich höflich, liberal und variationsfreudig zu präsentieren. Jedes Auftrumpfen der Messeleitung, die sich anmaßt, Meinungspolizist zu spielen und ihr unbequeme Aussteller in dunkle Ecken und Winkel der Ausstallungshallen zu verbannen, geht da unheilvoll nach hinten los. Natürlich waltet nicht in jedem Winkel der Messe dunkle Ener-

gie im Sinne der modernen Physik, aber heuer, nach Vertreibung mißliebiger Verlage, waltet dort nur noch Geruch aus den nahe liegenden Toiletten.