© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Wunsch nach Konservierung
Geteilte Erinnerungen: Eine Ausstellung im Dresdner Buchmuseum widmet sich der Geschichte des Fotoalbums
Paul Leonhard

Vor 130 Jahren war der Erwerb eines Fotoalbums eine kostspielige und aufregende Angelegenheit. Wie sollte es gestaltet werden, einfach in Leder gefaßt oder mit Samt überzogen? Sollte der Vorderdeckel Prägungen aufweisen oder gar montierte Reliefs, sollte die Metallbeschläge verziert werden? Wie viele Seiten sollte es enthalten, in die der künftige Besitzer seine Fotos schieben konnte? Einzigartige Unikate entstanden, die von den Familien über Generationen wie Schätze gehütet wurden, während die Namen und Lebensdaten der Porträtierten allmählich in Vergessenheit gerieten. Spätestens ab der vierten Generation würden sich die meisten Familien von den Alben trennen, weil sie „für die Nachgeborenen aufgrund der unweigerlichen Informationsverluste sowie der nicht mehr vorhandenen persönlichen Beziehung zum abgelichteten Inhalt“ uninteressant geworden sind. So heißt es im Online-Katalog zur Sonderausstellung  „Geteilte Erinnerungen. Das Fotoalbum – Gesteckt, geklebt, gepostet“ im Dresdner Buchmuseum der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek (Slub).

Präsentiert wird erstmals eine Auswahl der rund 600 Objekte umfassenden Albensammlung der Deutschen Fotothek Dresden. Diese besitzt 147 Familien- und 159 Sammelalben sowie ein buntes Sammelsurium aus Reise-, Sport-, Berufs-, Kriegs- und Militäralben, Alben zu naturwissenschaftlichen Themen, zur Kunst und Völkerkunde, Ereignis- und Jubiläumsalben, Burschenschafts-, Technik-, Referenz- und Angebotsalben. Gezielt gesammelt wurden derartige Alben in der Fotothek bisher nicht, sie gelangten eher zufällig in den Bestand. Das vermutlich älteste Album datiert aus der Zeit um 1857/1860 und enthält Ferrotypien. 

Einst bestanden die Alben meist aus der „Verbindung gepreßter, ausgestanzter Kartons (Coulissen) mit dazwischen geklebten Pappen, welche die Aufnahme von Photographien ermöglichten. Eine Anzahl dieser so hergestellten starken Blätter wurden zu einem Buche vereinigt, beschnitten, mit Goldschnitt versehen und in starke, meist reich verzierte Lederdeckel gebracht, die durch Klappenschloß zusammengehalten wurden.“ Angefertigt wurden die Fotos von Berufsfotografen, die die Papierabzüge auf Pappkärtchen mit vorgegebenen Abmessungen klebten, die dann in die Fächer geschoben werden konnten. Auf der Rückseite, teilweise auch auf dem unteren Teil der Vorderseite, hatten die Fotografen ihren Namen und ihre Anschrift, meist einschließlich des Hinweises, daß die Originalplatte aufgewahrt und so Nachbestellungen möglich seien, verewigt.

Tatsächlich erzählen die alten Fotos dem heutigen Betrachter einiges über die Geschichte der Fotoateliers und die Auszeichnungen, die deren Inhaber im harten Wettbewerb untereinander auf diversen Messen gewannen, während die Namen der Fotografierten meist unbekannt sind. Somit können die Aufnahmen aber nicht mehr jene Geschichten erzählen, die einst ihren Reiz ausmachten.

Heute stelle sich beim Betrachten „bald unvermeidlich der Eindruck einer gewissen Gleichförmigkeit ein“, heißt es im Online-Katalog der Ausstellung. „Selbst in jenen Fällen, da noch Informationen zur Familie vorliegen, welcher das Album gehörte, erzählt dieses doch meist recht wenig über familiäre Beziehungen, über besondere Interessen der Dargestellten oder ihr Alltagsleben.“ Die Porträts würden bestenfalls modische Aspekte der Garderobe oder der Frisuren, des Schmuckes oder in den Accessoires dokumentieren. 

Für Nachkommen viele Informationen hinterlassen

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren Fotoalben vor allem in gutsituierten bürgerlichen Familien zu finden, wo sie zur Präsentation für Besucher auf dem Salontisch bereitlagen und vor Flecken durch eventuell überschwappenden Kaffee oder Schokolade durch Nieten auf der Unterseite geschützt waren. Nach 1900 wurden die empfindlichen Einsteckalben allmählich durch preisgünstigere Klebealben abgelöst, die zudem einen großen Gestaltungsspielraum erlaubten.

Mit der Erfindung der Kleinbildkamera durchläuft auch das Fotoalbum ab den 1920er Jahren eine rasante Entwicklung. Auf einmal wird überall und aus jedem Anlaß geknipst. Den Hobbyfotografen werden Alben mit einem Leder- oder Kunststoffeinband angeboten, in denen er seine Aufnahmen mittels Fotoecken befestigen oder einfach aufkleben kann. Zwischen zwei Seiten befindet sich meist eine Seite Spinnenpapier. Die Fotografen – oder vielmehr häufig die Ehefrauen der Fotografen – beschriften die Seiten mit Daten, den Namen der Abgebildeten oder lustigen Sprüchen. 

Die kreativsten Beispiele der Sammlung der Deutschen Fotothek würden aus den 1920er und 1930er Jahren stammen, bemerken die Kuratoren der Ausstellung. Der Einzug der Amateurfotografie habe nicht nur eine größere thematische Vielfalt mit sich gebracht, sondern auch mehr Erzählfreude und Einfallsreichtum. Zu einer rein mengenmäßigen Blütezeit gelangte das Fotoalbum nach dem Zweiten Weltkrieg mit der wachsenden Lust der Deutschen am Reisen. 

Das änderte sich erneut mit dem Aufkommen des Dias. Statt gemeinsam in Fotoalben zu blättern, wurden Vorträge gehalten. Papierabzüge wurden mangels Zeit zum Sortieren, Einkleben und Beschriften ungeordnet in Schuhkartons aufbewahrt. Dieser Niedergangs des Fotoalbums setzte in Westdeutschland bereits in den siebziger Jahren ein, während in der DDR noch fleißig geklebt wurde und das klassische Fotoalbum insbesondere nach der Öffnung der Grenzen einen neuen Boom erlebte: Die dank der erkämpften Reisefreiheit gemachten Erlebnisse sollten festgehalten und Freunde und Bekannte an ihnen teilhaben. Die Ausstellung läßt den Besucher beispielsweise Blicke in Alben werfen, in denen Erich Heller einen Betriebsausflug nach Annaberg 1960 oder Eckhard Fickler eine Dienstreise nach Hanoi 1961 festgehalten hat.

Auch wenn mit der Erfindung des digitalen Fotos heutzutage Millionen Menschen täglich ihre Fotos in soziale Netze laden, ist der Wunsch nach konservierter Erinnerung geblieben, und damit hat auch das Fotoalbum überlebt. Es hat erneut seine Form geändert und erlebt als selbst gestaltetes, gedrucktes Buch oder als Bilderdatenbank im Internet eine neue Renaissance. Und wer möchte, daß die im Familienbesitz befindlichen Fotos noch lange da verbleiben, sollte für die nachkommenden Generationen möglichst viel Informationen, am besten in kleine Geschichten verpackt, hinterlassen.

Die Ausstellung im Buchmuseum der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden, Zellescher Weg 18, ist bis zum 22 April täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei. Telefon:  03 51 / 46 77-39 00

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