© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Hygge ist die Hölle
Nach einem Höhenflug gerät der skandinavische Trend zunehmend in Verruf
Bernd Rademacher

Hygge“ heißt der ungebrochen aktuelle Wohntrend der Einrichtungshäuser. Der skandinavische Ausdruck steht für Behaglichkeit: Gedeckte Naturtöne, natürliche Materialien, weiche Stoffbezüge, kombiniert mit Kissen oder Fellen und eine organische Formensprache zeichnen das Wohnkonzept aus. 

Besonders in der dunklen Jahreszeit zaubert der Hygge-Stil genau das richtige Ambiente, um sich mit Buch und Kakao zu Hause auf das Sofa zu kuscheln. Doch hätten Sie’s gewußt? Hygge ist hochgradig politisch verdächtig und potentiell reaktionär, oder sogar noch Schlimmeres – Gott behüte!

Zumindest für linke Tugendwächter, denn denen war „Gemütlichkeit“ schon immer ein Graus und als typisch deutsch suspekt. Schon das Bauhaus – das in diesem Jahr hundert Jahre alt wird – war ein radikaler Bruch mit bürgerlicher Butzenscheiben-Behaglichkeit. „Gemütlichkeit“, das riecht dem linken Spießer nach röhrendem Hirsch an der Wand und Stammtisch-Mief mit brauner Soße.

In der Zeit vom 7. März wütet Autorin Anna Gien gegen den Kuscheltrend und steigert sich so lange in ihren Hygge-Haß hinein, bis sie – Sie ahnen es schon – beim Nazi-Vorwurf landet. Der WDR nahm den Ball auf und spielte ihn weiter.

Unter dem Titel „Die Verkuschelung der Welt“ läßt Gien ihrer Hygge-Phobie freien Lauf. Wie sie selbst einräumt, liegt der Schlüssel dazu in ihrer Kindheit: „Schon als ich fünf war und Widerstand leistete, haben meine Eltern mich zur ‘Entspannung’ auf mein Zimmer geschickt, wo ich dann vor lauter Wut so lange im Kreis lief, bis ich mich auf den Teppich übergeben mußte.“ Das tut uns leid.

Dafür zahlt sie es den Gemütlichkeits- und Entspannungsfanatikern jetzt gründlich heim: Sie konstruiert die Sehnsucht nach Behaglichkeit zum Eskapismus um. Sie schreibt, der Rückzug in „unseren Wohlfühl-Bunker“ erfolge aus „tiefgreifender Angst, verletzlich zu sein und führe zu „Erfahrungsarmut“.

Vielleicht trägt die striktere dänische Politik Mitschuld

Dann küchenpsychologisiert sie, daß uns der nordische Wohnstyle entpolitisiere: „Wir hören auf, widerständig zu sein“ und können vor lauter Gemütlichkeit kein „revolutionäres Gefühl“ mehr empfinden. Ist der dänische Einrichtungstrend also eine perfide Strategie der „Herrschenden“?

Dann wird’s historisch: Die unter anderem für die Zeit schreibene Autorin weiß, daß die „neue skandinavische Gemütlichkeit vor allem durch die Ausgrenzung der lustvollen Verwahrlosung und Hemmungslosigkeit“ entstand. Denn einst „war das Privileg des Müßiggangs (…) in erster Linie der weißen Oberschicht vorbehalten, etwa in der Figur des Kolonialherrn, als er (…) die Früchte der Ausbeutung genießt“. Haben wir es doch geahnt! Der verfluchten „Entspannung“ steht die edle „Arbeitsverweigerung des Sklaven“ entgegen, die als „rassisch unterlegene Charakterschwäche verbrämt wurde“, in Wahrheit aber ein Akt des „passiven Widerstands“ ist. Soweit mitgekommen?

Der Westdeutsche Rundfunk hat in seiner Presseschau im Programm von WDR Kultur noch eins draufgesetzt. Im Alarmmodus wurde dem Hörerpublikum der Höhepunkt des Gienschen Elaborates eingebleut: Demnach ist Hygge ein Reflex „gegen die Dunkelheit im Außen“. Diese „ Idee einer vagen Bedrohung“ dient dem „Heraufbeschwören einer diffusen Gefahr, die in erster Linie ‘dunkel’ und ‘fremd’ ist“ und „gegen die ein völkisch-nationalistisch anmutendes Wir-Gefühl aufgefahren wird“. Wir lernen: Hygge gleich Flucht vor irrationalen Ängsten, vor dunklen Fremden, gleich Nationalismus, gleich Nazi.

Herrje, was für ein verquaster Firlefanz. Aber woher dieses linke Ressentiment gegen den skandinavischen Lebensstil? Galt Dänemark doch früher als putziges Urlaubs-Legoland, in dem eben alles viel „entspannter“ war als im spießigen Deutschland. Tja, seit die Dänen aus Schaden klüger geworden und auf eine rationale und restriktive Zuwanderungspolitik umgeschwenkt sind, hat sie der deutsche Linke nicht mehr lieb. Aber wir wissen ja: „Dänen lügen nicht …“.