© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Der Flaneur
Kassierer als Wanderarbeiter
Gil Barkei

Die Schlangen an den Kassen des Supermarktes reichen bis in die Gänge. An einem Band kann es sich ja mal stauen, aber an allen vier geöffneten gleichzeitig? Ist da was kaputt? Softwareabsturz? In den Sitzkabinen erhascht man nur einige wild hantierende Hände und überfordert wirkende Gesichter.

„Wir sind doch hier nicht beim Discounter“, schimpft der ältere Herr, hinter dem ich mich anstelle, leise vor sich hin. Als kurz darauf eine zusätzliche Kasse aufblinkt und ausgerufen wird, schert er hastig mit seinem vollbepackten Einkaufswagen aus und liefert sich ein gnadenloses Wettrennen mit anderen herbeieilenden Kunden.

„Wir sind für den heutigen Tag ausgeliehen und alle das erste Mal hier“, erklärt der junge Mann.

Als ich an der Reihe bin, schaue ich in ein müdes blutjunges Gesicht. Piep, piep, piep ... zieht der Kassierer etwas unbeholfen die Lebensmittel über den Scanner. „Das ist aber im Sonderangebot“, sage ich etwas irritiert von dem höheren Preis bei einem Produkt. Das monotone Geräusch bleibt aus. Stattdessen wird in einem aufgestellten, in Plastik eingeschweißten Verzeichnis und in augenscheinlich privaten Notizen geblättert.

„Ich finde hier nirgends den reduzierten Preis“, stönt der junge Mann leicht verzweifelt. Auf die Frage, ob ich denn nicht nochmal nach dem genauen Betrag schauen könnte, erlaube ich mir die genervte Anmerkung, was denn dieses Chaos solle: „Alle müssen warten, während ich nochmal zur Auslage tingel!“ Ein entschuldigender Blick trifft mich. „Die gesamte Kassenreihe besteht heute aus Externen“, erklärt der Junge und nickt dabei mit seinem Kopf hinter sich, wo geschätzt 18- bis 22jährige in Polohemden an den Bändern sitzen. „Wir sind für den heutigen Tag ausgeliehen, und alle das erstemal hier.“ „Wanderarbeiter 2.0“ denke ich und bekomme aufgrund meines vorherigen harschen Tons ein schlechtes Gewissen. „Auf die paar Cent gepfiffen, nehmen Sie einfach den normalen Preis“, sage ich, und will diesen Laden nur noch so schnell wie möglich verlassen.