© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/19 / 22. März 2019

Arme, Reiche und das Mitgefühl
Zitelmann analysiert die Vorurteile über Reiche. Sozialneider seien besonders anfällig für derartige Sündenbock-Denken.
Michael von Prollius

Das weltberühmte Foto „Mittagspause auf einem Wolkenkratzer ist keine Montage. 11 Männer sitzen auf einem Stahlträger in luftiger Höhe, lassen ohne Sicherung die Füße baumeln, essen und unterhalten sich. Das Foto entstand 1932 zur Hochzeit der „Great Depression“. Doch die Männer hatten Arbeit. Dank des Sohnes des reichsten Menschen der Neuzeit, John D. Rockefeller.

Doch wo Bewunderung und Ehrfurcht sind, ist Bedrohung und Neid  nicht weit. Das Verhältnis einer Gesellschaft zu ihren Reichen läßt eine Reihe von Schlüssen zu. Bislang gibt es wenig Studien wie die von Rainer Zitelmann, der die „Vorurteile über eine beneidete Minderheit“ aus drei Perspektiven ergründet.

Der wohlhabende promovierte Historiker und Soziologe sorgt sich um die Verfolgung Reicher als Sündenböcke in großem Stil. Sein Ansinnen läßt sich durch die gelungene dreiteilige Vorgehensweise leicht nachverfolgen. Klarheit über den Untersuchungsgegenstand, zentrale Begriffe und Modelle sowie den Stand der Neidforschung vermittelt Teil A. Da ist vor allem der Klassismus – eine Bezeichnung für Vorurteile aufgrund von Schichtenzugehörigkeit. Zitelmanns Studie forscht am „Aufwärts-Klassismus“. Erwähnenswert ist das „Stereotypen-Inhalt-Modell“, das zugesprochene Herzlichkeit sowie Kompetenz systematisiert. Ein Ergebnis lautet: „Reiche und Geschäftsleute werden entmenschlicht, indem sie in die Nähe von kalten Rechenautomaten und Robotern gerückt werden.“ Kompetent, aber herzlos.

In Teil B „Was die Bevölkerung über Reiche denkt“ wird eine eigens konzipierte Umfrage zu den Meinungen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA ausgewertet. In diesen Ländern haben die Menschen die relativ geringsten Bedenken, sich kritisch gegen Reiche zu äußern, anders als gegen Minoritäten, die sich etwa nach Hautfarbe und Glauben unterscheiden.

Reiche werden in den Medien zu 80 Prozent negativ dargestellt

Zu den Sozialneidern zählen in Frankreich und Deutschland jeweils ein Drittel der Befragten, in den USA und Großbritannien nur knapp ein Fünftel. Das Sündenbockdenken ist hierzulande doppelt so stark vertreten wie in den angelsächsischen Ländern. Superreichen wird die Schuld an Finanz- und humanitären Krisen angedichtet. Aufhorchen läßt, daß junge Amerikaner Reiche deutlich skeptischer sehen als ältere, während es in Europa umgekehrt ist. Und noch etwas: „Würde in Deutschland nur der harte Kern der Neider wählen, kämen SPD, Grüne und Linke auf 56 Prozent.“ Linke und AfD bekämen 41 Prozent der Stimmen.

Teil C analysiert das Verhältnis der Medien zu den Reichen, das Internet und Filme eingeschlossen. Journalisten äußern sich, sowohl in informierenden als auch wertenden Artikeln – analysiert wurden fast 600 – zu 80 Prozent negativ über Reiche. Das Verhältnis ist bei Politikern noch schlechter. In 90 Prozent der 195 betrachteten Artikel zu den „Panama Papers“ wurde legale Steuergestaltung mit Steuerhinterziehung gleichgesetzt. Zwar handelt es sich nur um stichprobenartige Einblicke, aber das Bild bleibt.

Zitelmann ist durch seine vieldiskutierte Analyse von Hitler als selbstverstandenem Revolutionär bekannt geworden. Hitler war demnach im Selbst- und Fremdverständnis ein nationaler Sozialist und linker Sozialrevolutionär, dessen egalitäre „Volksgemeinschaft“ seine Anhänger begeisterte. Verdeckt die Phobie gegen Rechts heute einen erneuten Trend zur Entmenschlichung? Befördert das Mantra „sozialer Gerechtigkeit“ die unübersehbaren Vorurteile über eine beneidete Minderheit?

Die Lektüre von „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ hilft gegen Pauschalisierungen und bietet einen Ausweg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Rainer Zitelmann: Die Gesellschaft und ihre Reichen. Vorurteile über eine beneidete Minderheit. FinanzBuch-Verlag, München 2019, 464 Seiten, 34,99 Euro